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Stephen Karam übersetzt mit „The Humans“ sein eigenes Bühnenwerk ins Filmische – und entwickelt dabei eine faszinierende Bildsprache.

The Humans (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

„Ich liebe dich, ich sag’s ja nur …“

Wenn Theaterstücke verfilmt werden, entsteht dabei oft das, was wir als „großes Schauspielkino“ bezeichnen. So dürfen sich Stars wie Jodie Foster, Kate Winslet, John C. Reilly und Christoph Waltz in „Der Gott des Gemetzels“ (2011) oder Meryl Streep und Julia Roberts in „Im August in Osage County“ (2013) in prächtigen Dialogfeuerwerken so richtig ausleben, während die Kamera ihr furioses Mienenspiel einfängt. Die Bühnenhaftigkeit der Stoffe lässt sich dabei kaum verbergen; der Trumpf der Leinwandadaptionen besteht in erster Linie in der prominente(re)n Besetzung und der Tatsache, dass wir durch Close-ups noch näher an den Figuren dran sein können.

Der 1980 geborene US-Dramatiker Stephen Karam hat mit The Humans sein eigenes, gleichnamiges Bühnenwerk, das 2016 mit dem Tony Award ausgezeichnet wurde, adaptiert und gibt damit sein Debüt als Filmregisseur. Erstaunlicherweise hat er hierfür einen filmischen Zugang gefunden, der denkbar weit von den genannten Klischees einer Theaterstückverfilmung entfernt ist. Die Maisonettewohnung, in der sich nahezu die komplette Handlung zuträgt, ist hier nicht einfach eine Kulisse, sondern mit all ihren engen Fluren, dunklen Ecken, fleckigen Wänden und Decken, knarrenden Böden und lärmenden Rohren ein unbändiges, ziemlich gruseliges Lebewesen, bei dem wir uns nie sicher sein können, was es wohl noch so im Schilde führt.

Karam und sein Kameramann Lol Crawley nutzen unter anderem Türspalte, Fensterrahmen, Glasscheiben, Spiegel und Treppengeländer zur inneren Montage, um das Bild zu gliedern und dem Raum Tiefe zu verleihen. Platzende Glühbirnen und plötzliche Rums-Geräusche werden mindestens so effektiv eingesetzt wie in Spukhaus-Klassikern von Bis das Blut gefriert (1963) bis Amityville Horror (1979). Und auch die Außenwelt, die lange Zeit nur eine Ahnung bleibt, wird gekonnt eingebunden. Sind das etwa Schneeflocken, die da vom Himmel fallen? Oder leert hier nur jemand im oberen Stockwerk einen Aschenbecher aus?

Die Prämisse von The Humans mutet recht simpel und altbekannt an: Die Familie Blake trifft sich zu Thanksgiving in der neuen (und doch sehr, sehr alten) Wohnung der jüngeren Tochter Brigid (Beanie Feldstein) und deren Partner Richard (Steven Yeun) in Chinatown, Manhattan. Die Eltern, Erik (Richard Jenkins) und Deirdre (Jayne Houdyshell), sind zusammen mit Eriks dementer Mutter Momo (June Squibb) aus Scranton angereist; die ältere Tochter Aimee (Amy Schumer) stößt aus Philadelphia hinzu. Der Schauplatz, in der Nähe des New Yorker Ground Zero, lässt rasch erahnen, dass es hier auch um spezifisch US-amerikanische Traumata geht. Vor allem aber werden zwischenmenschliche Konflikte geschildert – nicht im Stil eines ausufernden Melodrams, sondern in kleinen bis mittelgroßen Sticheleien, in halbbewusst verursachten Verletzungen, in Momenten des alltäglichen Scheiterns.

Wie verdammt schwierig ist es doch, miteinander zu kommunizieren! Die Figuren in The Humans fallen sich ins Wort; es misslingt ihnen, einander über die verbalen Geschosse hinweg etwas mitzuteilen („I can’t hear you!“). Hinweise auf kaputte Toilettensitze oder fehlendes Licht werden als Kränkungen empfunden, Gespräche über körperliche oder geistige Gesundheit, über Geld und Religion enden in unangenehmen, peinlichen Diskussionen. Der Satz „Ich liebe dich, ich sag’s ja nur“, den Deirdre ihrer Tochter Brigid entschuldigend hinwirft, könnte das Motto der Geschichte sein.

Der Film lebt von unzähligen Nuancen. Um Internetempfang auf seinem Smartphone zu haben, muss sich Erik ganz, ganz fest ans beschlagene Fenster zum Innenhof drücken – sonst funktioniert das leider nicht. Als Aimee ihre Ex-Freundin anruft und danach kurz vor einem Nervenzusammenbruch steht, sind die Tröstungsversuche von Erik ebenso unbeholfen wie Aimees Reaktion darauf. Das alles ist natürlich letztlich auch wieder großes Schauspielkino – allerdings anders als gedacht. Weil die Größe gerade im Kleinen liegt.

Einige emotionale Szenen spielen fast im Dunkeln. Die Kamera ist wunderbar eigensinnig, wählt mal die Distanz, mal das Detail. Mal umkreist sie das Personal, mal widmet sie ihre Aufmerksamkeit völlig den Dingen, statt die Menschen zu erfassen. Es ist unmöglich, hier einzelne Schauspielleistungen hervorzuheben. Alle Beteiligten – sei es die Theaterveteranin Jayne Houdyshell, die ihren Part bereits auf der Bühne verkörpert hat, oder die gegen ihr Comedy-Image besetzte Amy Schumer – liefern einen unverzichtbaren Beitrag zu diesem sperrigen und zugleich tief berührenden Film über dieses seltsame Konstrukt, das wir Familie nennen.

The Humans (2021)

Eigentlich will die Familie Blake gemütlich Thanksgiving verbringen und hat sich in Manhattan zusammengefunden. Neben den Töchtern Aimee und Brigid nimmt auch deren Freund Richard an der Feier teil. Ihre Eltern Erik und Deirdre sind aus Scranton in Pennsylvania angereist. Am Abend jedoch erreichen die Spannungen in der Familie ihren Siedepunkt. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Einakter des Regisseurs.

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