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Gawain, der Neffe des legendären König Artus, will seine Ritterlichkeit unter Beweis stellen und bricht zu einer gefahrvollen Reise auf. US-Regisseur David Lowery flirtet mit den Tropen des fantastischen Spektakelkinos, liefert aber eine erstaunlich meditative Arbeit ab.

The Green Knight (2021)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Spielschulden sind Ehrenschulden

A24 – hinter diesem Namen verbirgt sich eines der spannendsten Unternehmen der US-Filmbranche. Abgründige, Konventionen sprengende Titel wie Enemy“, Under the Skin“, The Witch“, The Killing of a Sacred Deer“, Midsommar“ und Der Leuchtturm“ brachte die 2012 gegründete Firma in die nordamerikanischen Kinos und war bei manchen Werken zudem als Produzent mit an Bord. Im Portfolio des in New York ansässigen Independent-Players befindet sich auch der Sagenstoff The Green Knight“, die neue Regiearbeit des Autorenfilmers David Lowery, der neben der eher klassischen Studioarbeit Elliot, der Drache“ auch mehrere Grenzen austestende Filme in seiner Vita stehen hat. The Saints – Sie kannten kein Gesetz“ etwa ist eine eigenwillige Auseinandersetzung mit der Outlaw-Tradition. Und die Gespenstermär A Ghost Story“ entpuppt sich als tiefgründiges, Vergänglichkeit und Trauer thematisierendes Drama.

Weiß man um Lowerys Leidenschaft für ungewöhnliche, herausfordernde Ansätze, dürfte es nicht verwundern, dass er der zur Artusepik gehörende Ritterlegende Sir Gawain and the Green Knight in seiner Leinwandadaption eine ganz eigene Note verpasst. Wenngleich sein Film mit prominenten Gesichtern besetzt ist, von einer Heldenreise handelt und magische Elemente besitzt, sollte man kein spektakelfreudiges, plotgetriebenes Fantasy-Epos im Stil von Peter Jacksons Der Herr der Ringe-Trilogie erwarten. The Green Knight trumpft zwar mit imposanten Bildern auf, holt aber wahrscheinlich eher all jene Zuschauer*innen ab, die sich für kontemplative Mittelalterabenteuer wie Justin Kurzels Shakespeare-Neuinterpretation Macbeth begeistern können.

Mit einem ruhmreichen Ritter der Tafelrunde hat Protagonist Gawain (Dev Patel) noch nicht viel gemein, als wir ihm das erste Mal begegnen. Halb verschlafen erhebt sich der junge Hallodri aus irgendeinem Bett und macht sich, begleitet von seiner Geliebten Essel (Alicia Vikander), auf den Weg nach Hause. Seine Mutter (Sarita Choudhury) merkt sofort, dass er, anders als behauptet, nicht aus der Messe kommt, und schickt ihren Sohn zum Schloss von König Artus (Sean Harris), ihrem Bruder, der seine treuen Kämpfer anlässlich des Weihnachtsfestes empfängt.

Die Feierlichkeiten, bei denen Gawain überraschend neben seinem Onkel Platz nehmen darf, werden allerdings durch die Ankunft des Grünen Ritters (Ralph Ineson), eines mysteriösen naturverbundenen Wesens, unterbrochen. Der Grund seines Besuchs: ein makabres Spiel, mit dem er einen der tapferen Artus-Gefährten herausfordern will. Wer mutig genug sei, dürfe sofort einen Schlag gegen den ungebetenen Gast ausführen, müsse aber versprechen, dass er, der Grüne Ritter, sollte er überleben, den Hieb ein Jahr später erwidern könne. Gawain, dem es noch an besonderen Taten mangelt, will sich vor dem König profilieren und köpft schließlich seinen Gegner, der sich kampflos in sein Schicksal fügt. Groß ist jedoch das Erstaunen, als sich der Getroffene wieder erhebt, sein Haupt einsammelt und lachend davonreitet. Im nächsten Winter hat Gawains Akt ihn längst zu einem berühmten Mann gemacht – einem Mann, der seiner Vereinbarung nicht entkommen kann. Um den Pakt zu erfüllen und seine Ehre zu beweisen, verlässt er den Hof und bricht zur Grünen Kapelle auf, wo ihn sein Kontrahent erwartet.

The Green Knight ist ein mittelalterliches Roadmovie mit Coming-of-Age-Einschlag, das weniger von ausgeklügelten Wendungen lebt als von episodenhaften Begegnungen, die Gawain vor immer neue Herausforderungen stellen. Lowerys Bearbeitung der Sage aus dem 14. Jahrhundert kann man durchaus prätentiös finden. Reizvolle atmosphärische Qualitäten lassen sich ihr allerdings keineswegs absprechen. Dass der Regisseur und Drehbuchautor eine gewisse Theatralik in Kauf nimmt, manche Dinge – zum Beispiel die Rolle von Gawains Mutter – verschleiert und Entschleunigung zum zentralen Motiv erhebt, wird nicht wenige Betrachter*innen verschrecken. Wer dennoch bereit ist, sich auf den langsamen, meditativen, mit experimenteller Musik untermalten Erzählrhythmus einzulassen, entdeckt immer wieder Momente, in denen man komplett versinken kann. Die zuweilen ausgefallenen Kamerabewegungen und die ausgesuchten, mal rauen, mal verwunschen-surrealen Landschaftsbilder (verantwortlich: Andrew Droz Palermo) entfalten eine hypnotische Kraft und verlangen nach einer großen Leinwand.

Das Etikett „Style Over Substance“ wird der Film bis zum Ende zwar nicht los. Von einer emotionalen Wucht, wie sie das oben erwähnte Drama A Ghost Story hervorbringt, ist The Green Knight ein ganzes Stück entfernt. Und doch umweht Gawains Selbstfindungsreise, die auch ein wenig über das Ringen zwischen Natur und Mensch aussagt, ein eigentümlicher Zauber, dem man sich nicht so leicht entziehen kann.

The Green Knight (2021)

In seinem neuen Film setzt sich David Lowery mit der mittelalterlichen Ritteromanze um Sir Gawain und den Grünen Ritter auseinander, die um 1400 verfasst wurde und die in der Tradition um die Artusepik steht.

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Meinungen

wignanak-hp · 01.05.2022

Der Film entfaltet durch das Zusammenspiel seiner Bildern, des Sounds und der Geschichte einen hypnotischen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Er kam mit seinen Bildern immer wieder zu mir zurück, wie ich es bei Filmen selten erlebe. Meist war es das ratlose Gesicht Gavains, der durch die Welt stolpert, ohne recht zu wissen, was er will. Jedes Detail, jeder Satz hat Gewicht, so z.B. dass Gavains Sohn nach der Geburt von einem männlichen Priester gesegnet wird, obwohl doch der ganze Film von dem weiblichen Prinzip durchzogen ist. Sicherlich ein Film, den man mehrfach anschauen muss, um alles zu begreifen.