The Grandmaster (2013)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Gefangen im Flickenteppich der fliegenden Fäuste

Vielleicht liegt es ja daran, dass die Erwartungen, geschürt von einem Filmausschnitt beim Festival von Cannes 2012, recht hoch waren. Oder daran, dass Wong Kar Wai Mitte der 1990er Jahre einmal eine der großen Hoffnungen des Weltkinos war: Weil seine urbanen Melodramen wie Chungking Express, Days of Being Wild und Fallen Angels etwas spürbar, sichtbar, erfahrbar werden ließen von der Fin-de-siècle-Stimmung in Hongkong, von der Vergänglichkeit des Daseins, der Liebe und der Stadt, deren „splendid isolation“ bis 1997 währte. Mit der Übernahme der Stadt durch China, so hat man das Gefühl, änderte sich auch der Blick Wong Kar Wais – aus der Melancholie der Gegenwart als Zustandsbeschreibung der Brüchigkeit der Welt wurde eine rückwärtsgewandte Nostalgie, die in Erinnerungen, in Bildfetzen, Bruchstücken und Fragmenten schwelgt. Und die ehrlich gesagt im Laufe der Zeit immer mehr von ihrer Magie verlor, die die frühen Werke des Regisseurs besaßen.

Mit seinem neuen Werk The Grandmaster, das die 63. Berlinale eröffnete, setzt sich dieser Weg des Filmemachers, der zugleich als Jurypräsident des Festivals fungiert, nahezu nahlos fort. Und das ist nur teilweise eine gute Nachricht: Sein Epos um den legendären Ip Man (1893-1972, im Film dargestellt von Tony Leung), einen Großmeister der Wing Chun-Schule, der unter anderem Bruce Lee unterrichtete, ist zwar ein Film, der auf den ersten Blick mit seinen gediegenen Bildern und atemberaubenden Kampfszenen beeindruckt. Hinter der glänzenden Oberfläche aber sorgen eine zerstückelte Dramaturgie und eine mangelhafte Figurenzeichnung dafür, dass die emotionale Beteiligung am Lebensweg des Kampfkünstlers gegen Null tendiert und nicht einmal die platonische Liebesgeschichte zu der aus dem Norden Chinas stammenden Gong Er (Ziyi Zhang) daran etwas ändern kann. Wie er, so verflacht auch ihr Charakter im Laufe des Films zusehends, wird zu einer zwar äußerlich äußerst vitalen, innerlich aber niemals greifbaren Hülle, einem begnadeten Körper, dem es an Seele fehlt.

Der Weg des Großmeisters, so heißt es an einer Stelle, bestehe aus drei Schritten: „Sein“ – „Wissen“ – „Tun“. Spätestens hierbei wird einem schlagartig klar, was dem Großmeister des Kinos Wong Kar Wai in seinem neuen Film The Grandmaster entschieden fehlt – das Fühlen. Seine nach wie vor erlesenen Bilder, die auf Hochglanz polierten Settings, das Ballett aus fliegenden Fäusten, schwerelosen Körpern, aus Wassertropfen und Schneeflocken, die rasante Schnittfrequenz der Kampfszenen, gepaart mit seiner Neigung zur leichten filmischen Verzögerung in Form von exzessiven Zeitlupen – sie sind zwar größtenteils wundervoll anzuschauen. Was ihnen aber fehlt, ist die Tiefe, das Gefühl, die Empfindung. Und das trifft nicht nur auf all die Einstellungen zu, bei denen wir sehen, wie eine Hand oder ein Fuß ein Gesicht trifft, ein Knochen gebrochen wird oder ein Kopf ein Stück Mauerwerk herausschlägt. Ebenso gefühllos bleiben wir bei all den psychischen Erfahrungen von Schmerz, die Ip Man und Gong Er im Laufe des Filmes erleiden müssen. Ob Krieg oder Vertreibung, Tod, Rache oder unerfüllte Liebe: Im alles nivellierenden Bilderteppich, in der elegischen Filmmusik, im Tanz der Wassertropfen und Schneeflocken, in den Rauschwaden, die den Film immer wieder durchwabern, wird selbst die tiefste zwischenmenschliche Empfindung, der größte Schicksalsschlag zu im Film geronnener Nostalgie, die allenfalls wehmütig ausschaut, dies aber nicht im nachvollziehbaren Maße auch ist.

Vielleicht liegt dies ja auch an der bruchstückhaften Erzählweise, die Wong Kar Wai wählt, an den Momentaufnahmen und Schlaglichtern, die immer wieder von den Kampfszenen durchbrochen werden, an der Art und Weise, wie er die Chronologie des Erzählten durch Rückblenden immer wieder aufbricht, an der verwirrenden Vielfalt von Kampfstilen und -schulen, die einem hier beinahe ebenso schnell um die Ohren fliegen wie den Kämpfern selbst die Fäuste und Fußtritte.

Hinzu kommen historische Exkurse, die einschneidende Ereignisse der chinesischen Geschichte wie etwa die Besetzung des Landes durch Japan so beiläufig be- und abhandeln, als erfülle man hier lediglich eine lästige Chronistenpflicht, die eben auch dazu gehört, wenn man vom Leben eines Mannes wie Ip Man erzählt. Wirkliches Interesse an der Biographie oder dem Wesen des Großmeisters verspürt man selten bis nie. Vielmehr wird man den Verdacht nicht los, als ginge es Wong Kar Wai vor allem um seine Bilder, nicht aber um die Menschen, die Geschichten, die Schicksale, die im Flickenteppich der fliegenden Fäuste unterzugehen drohen.
 

The Grandmaster (2013)

Vielleicht liegt es ja daran, dass die Erwartungen, geschürt von einem Filmausschnitt beim Festival von Cannes 2012, recht hoch waren. Oder daran, dass Wong Kar Wai Mitte der 1990er Jahre einmal eine der großen Hoffnungen des Weltkinos war: Weil seine urbanen Melodramen wie „Chungking Express“, „Days of Being Wild“ und „Fallen Angels“ etwas spürbar, sichtbar, erfahrbar werden ließen von der Fin-de-siècle-Stimmung in Hongkong, von der Vergänglichkeit des Daseins, der Liebe und der Stadt, deren „splendid isolation“ bis 1997 währte.

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