The First Rasta

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wie die Rastafari-Bewegung in die Welt kam

Wenn man allein nach dem Kinoprogramm der nächsten Zeit geht, steht uns offenbar ein Revival der Reggae-Musik und der damit verbundenen Rastafari-Bewegung bevor. Am 17.5. startet mit Marley ein Dokumentarfilm über die Reggae-Ikone Bob Marley in den deutschen Kinos. Und nur drei Wochen zuvor beleuchtet Hélène Lees The First Rasta eine andere, bislang eher unbekannte, aber nicht minder faszinierende Facette der Rasta-Kultur – und zwar deren historische Ursprünge. Die sind bislang vor allem Expertenwissen für Eingeweihte, doch mit Lees profunder Dokumentation soll und wird sich das grundlegend ändern.
Leonard Percival Howell (1898 – 1981) alias „The Gong“ gilt als einer der ersten echten Rastafari der Bewegung, anhand seines bewegten und abenteuerlichen Lebens, das Hélène Lee mittels Gesprächen und Archivmaterial ebenso akribisch wie unterhaltsam rekonstruiert, zeichnet sie die Entstehung der Bewegung vor dem Hintergrund von Kolonialismus und Unterdrückung nach. 1915 verlässt Howell seine Heimat Jamaika, weil er mit dem kolonialen Justizwesen in Konflikt gerät und lebt wie viele seiner Landsleute in Panama, wo er als Seemann anheuert. Seine Reisen bringen ihn unter anderem in Kontakt mit der gerade neu gegründeten Sowjetunion und mit dem Kommunismus, dessen (theoretische) Prinzipien von „Friede, Land und Brot“ ihn faszinieren – eine Reise ins Mutterland des Kommunismus aber ernüchtert ihn. In New York, wo er anschließend strandet, kommt er mit Juden und Anhängern Gandhis, aber auch mit Marcus Garvey, einem einflussreichen Publizisten in Berührung, der als Prophet der Rastafarians gilt. Dessen Thesen haben erheblichen Einfluss auf Howell, der Garveys Pan African Movement beitritt, das eine Auswanderung in ein geeintes schwarzes Afrika propagiert, das von dem gerade gekrönten Kaiser Äthiopiens Haile Selassie angeführt werden soll. Dessen Geburtsname Ras Tafari (Makonnen) wird zur Bezeichnung der neu entstehenden Bewegung, die für die Kolonialherren zur beständigen Bedrohung wird.

Wie Garvey wird auch Howell nach Kingston deportiert, doch statt sich gemeinsam mit Garvey offen politisch zu engagieren, zieht er sich zurück und arbeitet als Heiler und Prediger, der vor allem die religiösen und spirituellen Aspekte der Rastafari lehrt. Dennoch wird Howell immer wieder von den Kolonialbehörden drangsaliert und inhaftiert, wodurch er zunehmend bekannter wird und seine Lehren sich in Jamaika immer weiter verbreiten. 1940 gründet „The Gong“ die Kommune The Pinnacle, in der während ihrer Blütezeit rund 2600 Menschen leben. Immer wieder, selbst nach der Unabhängigkeit Jamaikas im Jahre 1962 sehen sich Howell und seine Anhänger Verleumdungen und Verfolgungen ausgesetzt, mehrmals lassen ihn die Behörden in psychiatrische Kliniken einweisen, um den charismatischen Führer der Rastas mundtot zu machen. Doch auch sie und sein zunehmender Rückzug in die selbstgewählte Isolation können nicht verhindern, dass die Rastas und ihre Musik, der Reggae, das kulturelle und geistige Leben der Ghettos mehr und mehr prägen. Mit Bob Marley werden die Rastafari schließlich weltbekannt, ihr Urvater „The Gong“ stirbt 1981, im gleichen Jahr wie Bob Marley. Während bei letzterem eine weltweite Welle der Trauer einsetzt, wird Howells Tod nur von seinen engsten Anhängern in Jamaika überhaupt wahrgenommen.

Man merkt dem Film deutlich an, dass die französische Journalistin Hélène Lee sich seit vielen Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt hat – vor 13 Jahren ist bereits ein Buch von ihr über Leonard Percival Howell erschienen. Es trug bereits den gleichen Titel im Französischen (Le premier rasta), den auch heute auf englisch ihr Film trägt. Ihre Beschäftigung mit der Kultur und Geschichte der Rastafari reicht aber noch viel weiter zurück und hat bereits zu einem Film mit dem Titel Jimmy Cliff, Moving on geführt, der schon bei ARTE gezeigt wurde.

Mit The First Rasta setzt der Berliner Arthouse-Verleih Neue Visionen eine Linie fort, die schon zu einer Tradition des Labels geworden ist: Wie kaum ein anderer Filmverleiher reflektiert man hier die Geschichte musikalischer, gesellschaftlicher und politischer Subkulturen wie zuletzt in Noise and Resistance und bildet damit ein dringend benötigtes Gegengewicht zur wachsenden Verflachung und Entpolitisierung, die man auch im Kino beobachten kann. Nicht allein deswegen und nicht nur für Reggae-Freaks und Rastafarians ist The First Rasta ein Dokumentarfilm, wie man ihn auch im anspruchsvollen Kino mittlerweile eher selten zu sehen bekommt.

The First Rasta

Wenn man allein nach dem Kinoprogramm der nächsten Zeit geht, steht uns offenbar ein Revival der Reggae-Musik und der damit verbundenen Rastafari-Bewegung bevor. Am 17.5. startet mit „Marley“ ein Dokumentarfilm über die Reggae-Ikone Bob Marley in den deutschen Kinos. Und nur drei Wochen zuvor beleuchtet Hélène Lees „The First Rasta“ eine andere, bislang eher unbekannte, aber nicht minder faszinierende Facette der Rasta-Kultur – und zwar deren historische Ursprünge.
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