The Fall (2006)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Meisterwerk oder gigantischer Werbefilm mit Esoterik-Botschaft?

Der Werbefilmer und Regisseur von Musikvideos Tarsem Singh (Am bekanntesten dürfte wohl der Clip zu REMs „Losing My Religion“ sein) ist im Kino bislang vor allem als Schöpfer des Films The Cell (USA, 2000) aufgefallen, in dem Jennifer Lopez eine Psychiaterin spielt, die in die Psyche eines psychopathischen Mörders vordringt, um dessen letztes, noch lebendes Opfer aufzuspüren. Schon damals lobte die Kritik Singhs Mut zum Experiment und seinen äußerst kreativen Umgang mit der Kamera. Mit The Fall geht der aus Indien stammende Filmemacher noch einige Schritte über die gewagten Bilder seines Erstlings hinaus und legt einen Film von teilweise entrückter Schönheit vor. Leider vernachlässigt der Rausch der Bilder, Farben und Sounds eine stringente Story und verlässt sich ganz auf die Kraft seiner visuellen Kreativität.

Der Film beginnt mit elegischen Schwarzweiß-Aufnahmen in Zeitlupe, die – unterlegt vom getragenen 2. Satz aus Beethovens 7. Sinfonie – von den Rettungsversuchen erzählt, in deren Verlauf ein Mann und ein Pferd aus einem Fluss gezogen werden. Erst mit der Zeit enthüllt sich der Hintergrund zu diesem furiosen Einstieg: Die Eingangsszene ist die Folge eines Unfalls, den der Stuntman Roy Walker (Lee Pace) während den Dreharbeiten zu einem Film erlitt, der in Los Angeles während der frühen Zwanzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts gedreht wird. Vieles deutet darauf hin, dass dieser Unfall durchaus auch ein Selbstmordversuch gewesen sein könnte. Denn Walker wurde von der Frau verlassen, die ihn liebt und hat seitdem seinen Willen zum Weiterleben verloren. Seine Lebensmüdigkeit wird noch verstärkt durch die Tatsache, dass er seit dem Unfall gelähmt ist und wohl nie wieder seine Beine wird benutzen können. In dem Krankenhaus, in dem er nun liegt, begegnet er dem Mädchen Alexandria (Catinca Untaru), die sich den Arm gebrochen hat. Um das Mädchen zu faszinieren und letztendlich dazu zu bringen, ihm die Medikamente zu besorgen, die ihm die Vollendung seiner Selbstmordabsichten ermöglichen, beginnt der Stuntman damit, Alexandria eine Geschichte über sechs Helden (einer von ihnen wird ebenfalls von Lee Pace dargestellt) zu erzählen, die allesamt Rache am grausamen Gouverneur Odious (Daniel Caltagirone) nehmen wollen. Mit der Zeit verschmelzen die Wirklichkeit des Krankenhauses und die ausufernde Phantasie von Roys Erzählung immer mehr miteinander, Figuren aus der einen Welt tauchen in der anderen auf und die Ereignisse beider Sphären bedingen einander. Zudem verliert Roy mehr und mehr die Herrschaft über die Geschichte an das kleine Mädchen.

Anders als bei Sheherazade in den Märchen aus 1001 Nacht ist das Erzählen von erfundenen Geschichten in Tarsem Singhs Opus The Fall nicht Mittel zum Überleben, sondern dient dazu, den Todeswunsch des liebeskranken Stuntman zu erfüllen. Allerdings gerät diese faszinierende Variante einer Reflektion über die Macht von Geschichten vor dem Hintergrund der Tableaus, die Tarsem Singh malt, schnell zur Nebensache. Visuell weiß der von David Fincher und Spike Jonze produzierte The Fall jedenfalls zumindest teilweise zu überzeugen und manchmal auch wie in der beschriebenen Eingangssequenz restlos zu begeistern. Zumindest dann, wenn man sich für extrem stilisierte Bildgebungen erwärmen kann, die einerseits als Anregung für Generationen von Werbefilmern dienen könnten und andererseits an Künstler wie Matthew Barney erinnern. Der Balanceakt zwischen Kinomärchen und anspruchvollem Kunstkino gelingt aber nur teilweise. Die quietschbunten Bilder des Rachefeldzugs gegen den Tyrannen, die mit großem Aufwand in rund 20 Ländern an realen Schauplätzen in Szene gesetzt wurden, finden nicht immer die Balance zwischen Stilisierung und Kitsch und erreichen nur selten den magischen Sog der Rahmenhandlung. Was bleibt, ist ein Film, dessen Bilder man zwar lange Zeit nicht vergessen kann, dessen Handlung aber kaum den gewünschten gleichen Effekt haben dürfte.

„There is never a sense that ‚The Fall‘ exists for any reason besides simply being something nice to look at“, schreibt Marc Olsen in der Los Angeles Times vom 9. Mai 2008. Zutreffender kann man es eigentlich kaum ausdrücken.
 

The Fall (2006)

Der Werbefilmer und Regisseur von Musikvideos Tarsem Singh (Am bekanntesten dürfte wohl der Clip zu REMs „Losing My Religion“ sein) ist im Kino bislang vor allem als Schöpfer des Films „The Cell“ (USA, 2000) aufgefallen, in dem Jennifer Lopez eine Psychiaterin spielt, die in die Psyche eines psychopathischen Mörders vordringt, um dessen letztes, noch lebendes Opfer aufzuspüren. Schon damals lobte die Kritik Singhs Mut zum Experiment und seinen äußerst kreativen Umgang mit der Kamera.

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Meinungen

Sneak Preview Schauer · 24.03.2009

Ich hatte das Glück diesen Film vor gut 4-5 Wochen im Sneak Preview zu sehen. Einfach unglaubliche Bilder, die man natürlich unbedingt im Kino sehen muss und für die jeder Fernseher eine Beleidigung wäre!
Die Phantasie Tarsems ist anscheinend unendlich, die verschiedenen skurrilen Charaktere, die Kostüme, die Schauplätze und der Handlungsverlauf der erzählten Geschichte sind beeindruckend.
So wird die Nebengeschichte zur Hauptgeschichte und man ist schon fast enttäuscht wenn es von der Märchenwelt wieder in die reale Welt übergeht.
Sehr selten habe ich mich mit offenem Mund im Kino erwischt, dieser Film hat es seit langem wieder mal geschafft!

Reingehen, anschauen, umhauen lassen!!

Besucher · 14.03.2009

Man wird diesen Film sicher nicht vergessen.. Ich hab ihn vor einigen Wochen auch in der Sneak gesehen.. Fazit: 117 Min meines Lebens, die ich leider nicht wieder bekomme....

Holger P. · 10.03.2009

THE FALL ist mehr als nur eine viuelle Stilübung. Habe den Film in der Sneak-preview gesehen und er wird mich noch lange begleiten: es ist kein Film, den man nach 2 Tagen vergessen hat. Für mich eins der ersten richtigen Kinohighlights in diesem Jahr. Nicht verpassen!