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Fünf Schauspielerinnen haben gemeinsam an einem Vorsprechen teilgenommen, das ihr Leben geprägt hat. Sie werfen der Produktion sexuelle Nötigung vor und machen sich zugleich Vorwürfe, sich nicht dagegen gewehrt zu haben. Alison Kuhn gibt ihnen in ihrem Dokumentarfilm eine Stimme.  

The Case You - Ein Fall Von Vielen (2020)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Zurück vor die Kamera

Im ersten Moment sind ihre Gesichter noch fröhlich, sie sprechen darüber, wieso sie sich einst entschlossen haben, Schauspielerinnen zu werden. Dann verfinstern sich ihre Mienen aber, denn gemeinsam teilen sie ein Erlebnis, das zumindest eine unter ihnen die Berufsentscheidung in der Zwischenzeit hat bereuen lassen. Gabriela bricht in Tränen aus, als sie von dem einen Casting erzählt, das sie und ihre Kolleginnen nachhaltig geprägt hat. 

Gabriela Burkhardt, Lisa Marie Stojcev, Milena Straube, Isabelle Bertges und Aileen Lakatos sind die Protagonistinnen dieses mit reduzierten Mitteln realisierten Dokumentarfilms von Alison Kuhn. Mit The Case You – Ein Fall von vielen arbeitet die Regisseurin die traumatisierenden Erfahrungen, die diese Frauen gemacht haben, auf. Sie weiß ganz genau, wovon sie sprechen, denn an diesem einen Vorsprechen im Jahre 2015 hat sie ebenfalls teilgenommen. Und wie über die #MeToo-Kampagne sichtbar geworden ist, sind sie bei weitem nicht die einzigen Betroffenen. 

Im Theatersaal der Filmuniversität Babelsberg konfrontieren sich die fünf Frauen. Sie stehen im Rechtsstreit mit der Produktionsfirma, die mittlerweile aus den Casting-Aufnahmen von damals einen Film zusammengestellt hat. Sie klagen sie wegen der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte an, denn sie wollen nicht, dass diese Bilder, diese Zeugnisse eines an ihnen verübten Unrechts, veröffentlicht werden. Sie haben die Aufnahmen nie selbst gesehen, doch das soll auch kein anderer. Nach und nach lässt sich aus ihren Beschreibungen erahnen, wie diese aussehen könnten. Es sind Bilder, die man zur Genüge kennt, die aber durch die bloße verbale Umschreibung betroffen, traurig und wütend machen. 

Der Regisseur, dessen Name im Film nie fällt – zum einen aus rechtlichen Gründen, zum anderen tut dies auch nicht viel zur Sache – ließ ein Vorsprechen für einen Spielfilm organisieren, dessen Handlung sich um das Motiv des Inzests drehen sollte. Reihenweise junge Frauen, darunter auch minderjährige, wurden mit den Worten eingeladen, dass man nichts dagegen haben würde, wenn sie sich beim Vorsprechen entblößen würden. Gemäß den Berichten der Frauen kam es aber im weiteren Verlauf zu einer Nötigungssituation. Die Frauen wurden von hinten sowohl von Männern als auch von Frauen an den Geschlechtsteilen angefasst, man zerrte an ihrer Kleidung. Einmal stand ein nackter Mann vor ihnen, der mit seinem Glied spielte, während sie ihren Text aufsagten. 

Mit bebender Stimme berichten die Frauen von diesen Erlebnissen. Sie gehen auf der Theaterbühne auf und ab, stellen ein paar Gegenstände, Stühle, einen umgedrehten Eimer oder einen Mikrofonhalter so hin, dass sie das räumliche Gefühl des besagten Castings einigermaßen rekonstruieren können. Die Kamera ist in diesen Szenen immer ganz nah und bewegt sich mit den Protagonistinnen mit. Meist ist sie ihr Freund, anders als damals, aber manchmal blicken die Frauen auch fordernd hinein, endlich machen sie ihrer Wut Luft. Man könnte meinen, sie sehen in ihr die Personen, die sie enttäuscht und verletzt haben, zeigen sich aber selbstbewusst und stark. 

Fast noch eindrücklicher als die Wiedergabe der sexuellen Nötigung, die sie erfahren haben, ist an den Aussagen der Frauen die Selbstkritik, die sich darin spiegelt. Alle berichten davon, dass sie sich schämen, sich nicht sofort gewehrt zu haben. Sie zeigen, wie tief gesellschaftliche Konventionen sitzen, wenn sie überlegen, ob sie vielleicht doch einfach nur „übertreiben“ würden mit ihren Reaktionen. Müsse es vielleicht einfach so sein, fragte sich beispielsweise eine von ihnen. 

Heute ist ihnen klar, dass sie sich haben manipulieren lassen, dass sie sich diesem Machtverhältnis zwischen Produktionsfirmen und Schauspielern einerseits, Mann und Frau andererseits nicht entziehen konnten. Und das ist vermutlich die ernüchterndste Erkenntnis aus dem Film. Denn hier kollidieren die vielen Hoffnungen und Träume, die Leidenschaft, die die Frauen mit der Wahl ihres Berufes verbinden, mit einer der Realitäten, die sie vorgefunden haben. Aus The Case You wird aber auch klar, dass sich diese Wirklichkeit nur mit dem Zutun aller Beteiligten verändern lässt. Eine von ihnen sagt einmal, dass sie inständig gehofft hatte, jemand würde eingreifen, ihr helfen, als sie beim Vorsprechen vor allen gedemütigt wurde. 

Und nicht zuletzt wirft der Film die Frage auf, wie wir allgemein mit Werken umgehen, die unter kontroversen, wenn nicht gar kriminellen Voraussetzungen entstanden sind. Zuletzt wurde die Diskussion im Zusammenhang mit dem DAU-Projekt von Ilya Khrzhanovsky angeregt, doch noch streitet man sich darüber, inwiefern die Erhebung eines solchen Films zum Kunstwerk nicht etwa mit einer Verhöhnung der Betroffenen einhergehen könnte. 

Mit ihrem Film gibt Kuhn ihren Protagonistinnen ihre Würde zurück. Sie haben die Kontrolle über sich und ihren Körper, sie finden zu einem unverkrampften Verhältnis zur Bühne und Kamera zurück. Geschickt findet die Regisseurin verschiedene visuelle Schlüssel zum Thema, indem sie von bewegter Kamera zu fester Kamera wechselt und sich wenn nötig selbst ins Spiel bringt.

The Case You - Ein Fall Von Vielen (2020)

Fünf Schauspielerinnen verbringen einige Tage in einem Theatersaal. Sie haben alle vor über vier Jahren an einem Casting teilgenommen, bei dem es zu sexuellen und gewaltsamen Übergriffen kam. Auch die Regisseurin war damals eine der Bewerberinnen. In dem geschützten Raum brechen die jungen Frauen ihr Schweigen und ergründen gemeinsam, was damals geschah und was die Geschehnisse für ihre Gegenwart bedeuten.

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