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Auch Bücher, das Sammeln und Handeln mit ihnen, haben eine lange Tradition und Kultur. Ihre Geschichte, ihre Besonderheiten und ihre mögliche Zukunft – und was das mit der conditio humana zu tun hat, davon erzählt „The Booksellers“.

The Booksellers - Aus Liebe zum Buch (2019)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Das Buch und die conditio humana

Ein nachdenkliches musikalisches Motiv setzt ein, legt sich über vergilbte Seiten, handschriftlich beschrieben, filigrane Zeichnungen, dann wird Buchtitel nach Buchtitel eingeblendet, Oscar Wilde neben Lyrik, die Titelseite eines Buchs über Frauenrechte. Eine Stimme aus dem Off, die sagt: „If books will disappear, history will disappear. And human beings will also disappear.“ Ein Monographie von Darwin wird eingeblendet; nach und nach entsteht ein Dialog zwischen dem Gesagten und dem Gezeigten, den gesprochenen Worten und den Titeln. Um dann mit Virginia Woolf im Hintergrund zu schließen: Bücher seien so viel mehr als eine Flucht in eine Fantasiewelt, sie würden uns erst zu ganzen Menschen machen. 

Damit ist das, was D.W. Young mit seinem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm The Booksellers zu verteidigen sucht, gesagt. Die Welt, in die er die Zuschauenden mitnimmt, um seine Prämisse zu verdeutlichen, ist die der Antiquariate und Buchhandlungen, die der mit Büchern vollgestopfter Wohnungen – ein Freund habe seine Wohnung mit einer Unsumme verstärken müssen –, angemieteter Lagerhallen, privater Bibliotheken und Archive und die der New Yorker Buchmesse. 

Der Fokus liegt dabei auf New York, auf der dortigen Szene rund um die Buchmesse, wo die Händler*innen und Sammler*innen jährlich zusammenkommen; es ist auch die Geschichte der dort (noch) ansässigen Antiquariate, der Entwicklung abgerundet mit einem bangen Blick vieler in die Zukunft. Ab und an wird ein Seitenblick auf Großbritannien eingestreut. 

Eine besondere Stärke des Films liegt dabei auf der Vielzahl der Stimmen und Perspektiven, die hier gezeigt werden. Da die Geschichte des Sammelns und der Antiquariate beleuchtet wird, gilt es, diese zu dekonstruieren und auf ihre Hierarchien, ihre Systematik und ihre Ein- und Ausschlussmechanismen zu befragen. Die Polyphonie aus Stimmen macht deutlich, wie stark auch diese Historie patriarchal und hegemonial geprägt ist, wie wichtig Sammler*innen und Händler*innen sind, die vermeintliche Nischen besetzen und so bisher im Verborgenen gebliebene Geschichten erzählen, Zusammenhänge aufdecken können.

The Booksellers zeigt außerdem eine Welt, die sich vor dem Untergang wähnt. Das Internet habe so vieles verändert und kaputt gemacht, heißt es im Film. Was mal ein Buch für 120 Dollar war, sei heute nur noch eines für vielleicht 40 Dollar. Antiquariate, die selbst ihren eigenen Bestand nicht in Gänze kennen, die gebe es heute fast so nicht mehr. Viele Aspekte dieser Art werden im Film angesprochen, die Angst vor der Zukunft hängt wie eine unheilschwangere Wolke über den Köpfen der Sammler*innen und Händler*innen. 

Ein wenig paradox ist es dann schon, dass ausgerechnet Film, ein ja fast schon rivalisierendes Medium, da Screens die bedruckten Seiten zu verdrängen scheinen, eine Lanze für das Buch bricht, dessen es sich so gerne bedient: Doch das schon so oft totgesagte Medium Film beziehungsweise nun die Angst vor dem (erneuten) Tod des Kinos hat gerade dieses mit feinen Antennen für Veränderungen ausgestattet. So kommt Film dem Buch zur Hilfe, um mit den eigenen Mitteln die Dringlichkeit des Überlebens einer Welt zu verdeutlichen, von der man vielleicht selbst gar nicht wusste, dass sie so existiert und auf eine lange Tradition blicken kann.

Auch wenn der eingangs selbst gesetzte und zugegeben sehr große Anspruch letztendlich nicht vollends eingelöst werden kann, ist D.W. Young, seinem Team und allen Beteiligten mit The Booksellers ein Film gelungen, der uns daran erinnert, wie wichtig das Buch für unsere Kultur ist, welcher Platz ihm gebührt. Was für ein Privileg es auch ist oder sein kann, sich auf eine Entdeckungsreise in einem Buchladen oder einer Bibliothek begeben zu können. Dass die Ideen, die zwischen den Buchdeckeln leben, erst im haptischen Kontakt zwischen Buch und Leser*innen zum Leben erweckt werden. Und wie viel Bücher über ihren Inhalt hinaus zu erzählen haben: Da sind die Anmerkungen, die Gebrauchsspuren, die Materialien. The Booksellers blickt hoffnungsvoll in die Zukunft und ist hoffentlich selbst daher erst ein Kapitel irgendwo in der Mitte — und nicht das Ende.  

The Booksellers - Aus Liebe zum Buch (2019)

D.W. Youngs Dokumentarfilm durchstreift die Bücherwelt New Yorks, erforscht Antiquariate und Buchhandlungen sowie die vollgestopften Wohnungen von Buchsammler und -käufern.

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