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In „The Adults“ spürt Dustin Guy Defa gekonnt der einzigartigen Sprache nach, die (nur) zwischen Geschwistern besteht.

The Adults (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Mögen? Nein. Lieben? Ja.

Als „die längste Beziehung, die wir uns denken können“ wird das Verhältnis zu unseren Geschwistern in einem lesenswerten Artikel von Andrea Köhler in der Neuen Zürcher Zeitung beschrieben. Geschwister seien die ersten, mit denen wir die Abgründe der menschlichen Psyche – Wut, Hass, Neid – ausloten. Und wenn die Eltern sterben, bleibe mit den Geschwistern ein Stück unserer Kindheit zurück.

Im Vergleich zu Filmen, in denen sich die Protagonist:innen mit ihren Vätern oder mit ihren Müttern auseinandersetzen müssen, sowie zu Filmen über romantische Liebesbeziehungen und über Freundschaften, wird im Kino relativ selten von geschwisterlichen Verhältnissen als Kernthema erzählt. Zu Werken wie You Can Count on Me (2000), The Skeleton Twins (2014) und Schwesterlein (2020) kommt nun mit The Adults ein spannender filmischer Beitrag zu diesem Sujet hinzu.

Die von Dustin Guy Defa geschriebene und inszenierte Tragikomödie beginnt damit, dass Eric (Michael Cera) aus Portland anreist, um ein Wochenende in seinem Heimatort zu verbringen. Seit ihre Mutter vor rund fünf Jahren starb, sind Eric und seine zwei Schwestern, die ältere Rachel (Hannah Gross) und die jüngere Maggie (Sophia Lillis), Waisen. Rachel hat das Elternhaus behalten, Maggie hat sich eine Wohnung in der Umgebung gesucht.

Dass Eric nur sehr oberflächlichen Kontakt zu den beiden Frauen hält und selten zu Besuch kommt, wird rasch deutlich. Denn dass Rachel seit längerer Zeit dunkel gefärbtes Haar trägt und endgültig mit ihrem Freund Schluss gemacht hat, ist Eric ebenso neu wie die Tatsache, dass Maggie das College geschmissen hat. Ohnehin entsteht der Eindruck, dass Eric bei seinem Kurzaufenthalt in erster Linie das Ziel verfolgt, seine einstige Pokerrunde wieder aufleben zu lassen. Diese ist dann auch der Grund, weshalb Eric länger bleibt, als ursprünglich geplant. Und ganz nebenbei werden dadurch auch die Worte und Gesten zwischen dem Geschwistertrio inniger und aufrichtiger.

„You don’t like me as a person“, lautet ein Vorwurf, den Rachel ihrem jüngeren Bruder an einer Stelle macht. Und tatsächlich scheinen sich diese drei Menschen oft gegenseitig ziemlich fremd zu sein oder gar gehörig zu nerven. Vor allem in Indie-Dramödien neigen Figuren dazu, besonders schrullig gezeichnet zu sein. Alles an ihnen ist irgendwie schräg, letztlich aber doch charmant. So leicht macht es uns The Adults nicht. Der Film legt es nicht darauf an, möglichst coole, zitierfähige Momente zu schaffen – vielmehr stellt er ein Trio ins Zentrum, dessen gemeinsame Sprache bereits das Zitat, die Imitation ist. Sobald eine Situation droht, zu intim zu werden, flüchten sich Eric, Rachel und Maggie in absurde Rollen mit verstellten Stimmen, die irgendwann in der Kindheit und Jugend mal zusammen einstudiert wurden. Einst gemeinsam erlernte Tanz-Choreografien, deren alberne Bewegungen sich bei allen dreien eingebrannt haben, dienen als Mittel der Verständigung.

Daraus ergibt sich eine faszinierende und seltsame Mischung aus Distanz und Nähe: Die drei entkommen so (zunächst) der Pflicht, sich als sie selbst mit Konflikten beschäftigen zu müssen – und verwenden dabei zugleich Codes, die nur sie untereinander zu entschlüsseln vermögen. Als Rachel diese Methode am Arbeitsplatz bei einem Kollegen anzuwenden versucht, endet das Ganze in absoluter Peinlichkeit. Sobald andere, beim Bowling oder auf einer Party, anwesend sind, gerät diese ganz eigene Kommunikationsform der drei stets ins Stocken.

Während das US-Indie-Kino in seiner Darstellung unkonventioneller Verhaltensweisen zuweilen eher aufgesetzt daherkommt, ist das Künstliche hier Teil des Konzepts und wird von Michael Cera, Hannah Gross und Sophia Lillis kongenial interpretiert. Wenn Eric bei einer der veranstalteten Pokerrunden einer Gruppe von Bekannten eine vermeintlich wahre tragische Geschichte schildert, eigentlich jedoch den Intrigen-Plot des Disney-Klassikers Der König der Löwen (1994) wiedergibt, führt der Film die Idee, allmählich die komplexen Hintergründe einer Figur zu entbergen, noch gewitzt ad absurdum: Es war nur Spaß, die Tränen waren bloßes Schauspiel. Aber je mehr Zeit die drei Geschwister miteinander verbringen, desto mehr schleicht sich dann wirklich das Echte ins Imitierte.

Ja, vielleicht mag Eric Rachel als Person nicht allzu sehr (und umgekehrt). Dass dieses Trio einander liebt, daran haben wir indes am Ende von The Adults keinerlei Zweifel. Bevor es zu sentimental wird, wird allerdings schnell das Licht der Nachttischlampe ausgeknipst.

The Adults (2023)

Erics Kurzbesuch in der Heimat zieht sich unversehens in die Länge, denn er will nicht nur den Kontakt zu seinen beiden Schwestern auffrischen, sondern auch seine frühere Pokerrunde beehren und beweisen, dass er immer noch der beste Pokerspieler der Stadt ist. Es wird immer schwieriger, den alten Turbulenzen im Verhältnis zu seiner Schwester Rachel aus dem Weg zu gehen. Als die jüngere Schwester Maggie die gemeinsame Welt von früher wiederaufleben lassen will, stellen Eric und Rachel fest, wie tief die Kluft ist, zwischen den Kindern, die sie waren, und den Erwachsenen, die sie geworden sind.

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