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In „Tenor“ lässt Claude Zidi Jr. einen jungen Rapper in die Welt eines Pariser Opernhauses eintauchen – und zeigt eine kreative Kollaboration.

Tenor (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Den Platz im Leben finden

In „Sister Act“ (1992) gehen Lounge-Musik und klösterlicher Chorgesang eine Verbindung ein, in „Save the Last Dance“ (2001) und „Step Up“ (2006) treffen Ballett und Streetdance aufeinander. Die fruchtbare Vermischung zweier Welten hat im Musikfilm eine lange Tradition. Auch „Tenor“, die erste Solo-Regiearbeit von Claude Zidi Jr., erzählt von einem solchen Clash der Klänge.

Dies deutet sich bereits in der Eröffnungsszene an. Antoine Zerkaoui (Mohammed Belkhir alias MB14), ein junger Mann aus einer Pariser Großwohnsiedlung, übt eine Rap-Einlage für ein anstehendes Battle, während er Schmiere steht. Auf dem Dach eines Parkhauses nimmt sein älterer Bruder Didier (Guillaume Duhesme) an einem illegalen Boxkampf teil; Antoine soll die Cops im Auge behalten. Jener Kampf, festhalten in dramatischer Zeitlupe, ist wiederum mit einer Opernarie unterlegt.

In den Opernkosmos wird Antoine kurz darauf unverhofft geworfen, als er in seinem Job als Sushi-Lieferant eine Bestellung in die Opéra Garnier bringen soll. Dort wird er von dem schnöseligen Nachwuchstalent Maxime (Louis de Lavignère) derart gereizt, dass er eine spontane Rap- und Gesangsnummer zum Besten gibt. Die Lehrerin Madame Loyseau (Michèle Laroque) ist begeistert – und fädelt eine Gesangsübung in ihrer Wohnung ein. Sie sorgt schließlich dafür, dass Antoine zu einem Workshop hinzustößt, an dessen Ende ein wichtiges Vorsingen stattfindet. Dies könnte Antoine eine Karriere als Opernsänger ermöglichen. Doch vor seinem Bruder, der zwischendurch im Gefängnis landet, und vor seinem übrigen Umfeld hält Antoine dies geheim.

Der Plot von Tenor folgt natürlich einer bekannten Formel. Es geht um einen begabten Underdog, der gesellschaftliche Grenzen überwinden und sich gegen allerlei Widerstände behaupten muss. Dramaturgische Überraschungen hält das Skript, das Raphaël Benoliel und Cyrille Droux in Zusammenarbeit mit Héctor Cabello Reyes geschrieben haben, nicht bereit. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Film einen Großteil der Klischees, mit denen bei diesem Sujet zu rechnen ist, vermeidet. Didier, der kriminell veranlagte ältere Bruder von Antoine, ist etwa keineswegs der grobschlächtige Typ, den wir auf den ersten Blick zu erkennen glauben, sondern erstaunlich einfühlsam und fürsorglich. Ebenso erweist sich der arrogant daherkommende Maxime, der beim Gesangs-Workshop mit Antoine konkurriert, als durchaus ambivalente Figur.

Was Tenor indes in erster Linie zu etwas Besonderem macht, ist das sehr schön dargestellte Verhältnis zwischen Antoine und seiner Lehrerin Madame Loyseau. Wir erleben mit, wie die beiden einander mit ihren Fähigkeiten und ihrem Wissen bereichern. Madame Loyseau bringt Antoine die nötige Technik bei, sie nimmt ihn mit hinter die Kulissen des Opernhauses, wo er den (echten) Star-Tenor Roberto Alagna kennenlernt. Und Antoine macht sie mit dem Œuvre eines gewissen 2Pac („Deux Pac?“) vertraut. Wenn eine für den Sport- und Musikfilm typische Trainingsmontage, in der Antoine sein gesangliches Handwerk lernt und seinen Alltag zu koordinieren versucht, mit einem 2Pac-Song unterlegt wird, hat die Versöhnung der beiden unterschiedlichen Welten ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht.

Hinsichtlich der Beziehung zwischen Lehrerin und Schüler ist auch die Besetzung der beiden Hauptrollen gelungen. Die erfahrende Michèle Laroque, die in Filmen wie Mein Leben in Rosarot (1997) und Endlich Witwe (2017) zu sehen war, verkörpert die kultivierte und freigeistige Madame Loyseau mit der nötigen Souveränität und mit angenehmem Witz. Und der 1994 geborene Musiker Mohammed Belkhir alias MB14, der in Frankreich durch die Castingshow The Voice Berühmtheit erlangte, ist in seinem Leinwanddebüt eine echte Entdeckung. Gemeinsam bilden Madame Loyseau und Antoine ein wunderbares Duo, das sich von der Disharmonie allmählich zur Harmonie bewegt, zwischen Mozart und Shakur, Flügel und Beatbox.

Tenor (2022)

Der talentierte Rapper Antoine schlägt sich als Lieferdienst-Kurier in den Pariser Banlieues durchs Leben. Bei einer Sushi-Lieferung in der Pariser Oper trifft er durch Zufall auf Madame Loyseau, die sein Talent als Opernsänger sofort erkennt. Als Madame Loyseau Antoine als Schüler aufnimmt, verbirgt er seinen neuen Traum vor seinen Freunden und seiner Familie und stürzt sich in ein Doppelleben zwischen der vergoldeten Pariser Oberschicht und der rauen und gleichzeitig familiären Vorstadt. Doch bald holt die Wirklichkeit Antoine ein und zwingt ihn, seine eigene Stimme zu finden… (Quelle: Studiocanal)

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