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Denkt man an Tschaikowski im Film, fällt einem natürlich zuerst Ken „Tschaikowski – Genie und Wahnsinn“ aus dem Jahre 1970 ein. Auch Kirill Serebrennikov erzählt in seinem neuen Film von Genie und Wahnsinn – hier allerdings vereint nicht eine Person beide Eigenschaften in sich.

Tchaikovsky’s Wife (2022)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Herrin der Fliegen

Liebe macht blind, so heißt es. Doch im Falle von Antonina Miliukova (Alyona Mikhailova) lässt sie die junge Frau nicht nur das Offensichtliche übersehen, sondern überantwortet sie schlussendlich auch dem Wahnsinn. Dabei waren die Gerüchte um die sexuellen Vorlieben Pyotr Tchaikovskys (Odin Lund Biron) in Moskau kaum zu ignorieren und auch andere Zeichen sowie die eigenen kaum verhohlenen Andeutungen des Komponisten selbst überdeutlich.

Die junge Frau aber interessiert all das nicht im Geringsten. Sie will diesen Mann, sie will ihn heiraten und die treusorgende Frau an seiner Seite sein, will seine beständigen finanziellen Nöte unter Einsatz ihres Erbes lindern und niemals eigene Ansprüche stellen. Und so willigt der solchermaßen Umworbene schließlich ein, zumal damit womöglich auch das öffentliche Gerede endlich aufhört.

Allerdings zeigt sich schnell, dass die Ehe eher eine Farce ist. Bereits die Hochzeit hat eher den Charakter eines Begräbnisses, der Bräutigam ist dermaßen besoffen, dass er von Freunden nach Hause gebracht wird. Der Verkauf des Waldgrundstücks, mit dessen Hilfe die Schulden des Komponisten beglichen werden sollten, gestaltet sich schwierig und das Eheleben selbst findet aufgrund der häufigen Abwesenheiten Tchaikovskys im Grunde nicht statt. Als seine Frau fordernder wird, entzieht er sich ihr und schickt schließlich Freunde vor, um sie von der geplanten Scheidung zu unterrichten – mit Verweis auf seine zerbrechliche psychische wie physische Konstitution. Antonina aber wird sich dem Schritt wohlweislich verweigern und blendet die niederschmetternde Situation schlichtweg aus – sie will um jeden Preis die Frau an der Seite des Genies bleiben. Und das auch um den Preis der Selbstaufgabe.

Selten, viel zu selten befreit sich der Film aus der düsteren Erstarrung, in der er lange verharrt und wirkt dann fast wie eine der Bühneninszenierungen des in letzter Zeit vornehmlich als Theatermacher tätigen Kirill Serebrennikov. Dann gerät der Film wie seine Protagonistin buchstäblich außer sich, wird zur wilden und auch ziemlich erotischen Fantasie, zum avantgardistischen Tanztheater, zur wüsten Orgie und zur Pimmelparade. Solche Momente aber sind eben viel zu selten. So überwiegt am Ende der Eindruck, dass in diesem Werk einiges mehr drin gewesen wäre. Zugleich aber muss man sich auch vergegenwärtigen, dass selbst der gebremste Furor von Tchaikovsky’s Wife mit seiner kaum verhohlenen Darstellung von sexuellen Fantasien und Homosexualität ein Dorn im Auge der Putin’sche Autokratie sein muss. Serebrennikov stand in seiner Heimat lange unter Hausarrest, nachdem gegen ihn im Jahre 2017 fadenscheinige Vorwürfe wegen angeblicher Veruntreuung lautgeworden waren und er einem offensichtlich inszenierten Gerichtsverfahren ausgesetzt war. Erst am 31. März 2022 wurde ihm die Ausreise nach Deutschland erlaubt.

Tchaikovsky’s Wife (2022)

Russland im 19. Jahrhundert: Die wohlhabende und brillante Antonina Miliukova heiratet Pjotr Tschaikowski. Die Liebe der jungen Frau zum Komponisten, der sich zu Männern hingezogen fühlt, verwandelt sich in Besessenheit. In der Folge wird Antonina heftig zurückgewiesen. Von ihren Gefühlen überwältigt, willigt sie ein, alles zu ertragen, um bei Tschaikowski zu bleiben.Die Homosexualität ihres Mannes treibt sie aber allmählich in den Wahnsinn

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