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Der Tara umfließt die süditalienische Stadt Taranto. Für die einen ist er eine Heilquelle, für die anderen eher Gifttopf. Dieser fließende Dokumentarfilm erkundet den Umgang der Menschen mit dieser Lebenswelt. Poetisch und ungemein politisch.

Tara (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Wird in den Medien über Taranto berichtet, geht es fast immer um das Stahlwerk, das dort systematisch für eines der größten Umweltskandale der Welt verantwortlich gemacht wird. Es handelt sich um ein offenes Geheimnis, dass das Werk Verschmutzungen von Wasser und Luft verursacht und die Gesundheit der Menschen, die dort leben, gefährdet. Trotzdem kommt man gegen den Riesen, dessen Besitzverhältnisse sich immer wieder verändern und vor allem bereits die Existenz mehrerer Generationen gesichert hat, nicht an. Das hängt mit der gewissen Trägheit und Korruptionsanfälligkeit der italienischen Politik zusammen, doch auch von den direkten Betroffenen kommt wenig Widerstand. Um letztere geht es den beiden Regisseuren Francesca Bertini und Volker Sattel in ihrem ungewöhnlichen Dokumentarfilm.

Tara will nicht aufrührerisch, aktivistisch oder anklagend sein. Der Film versucht, von innen heraus, ein Lebensgefühl zu vermitteln und den Menschen, die hier in Taranto und entlang des Flusses Taras, der um die Stadt fliesst, eine Stimme zu geben. Dabei respektieren die Autoren den Rhythmus, den ihre Protagonisten vorgeben. Über längere Zeit hinweg haben sie sich mit ihnen getroffen, Vertrauen aufgebaut und schließlich aufgenommen, was diese preisgeben wollten. Das hat zu ganz unterschiedlichen Einblicken in den Alltag dieser Menschen geführt. Orientiert an der Struktur des Flusses selbst, ergießen sich die Bilder über die Leinwand. Der Tara dient als roten Faden für den sonst recht impressionistisch zusammengestellten Film.

Immer wieder kehrt der Film an die Ufer des Taras zurück. Es ist Sommer und Junge wie Alte planschen im recht seichten Wasser. Sie schmieren sich mit dem Schlamm des Flussbeets ein, bahnen sich ihren Weg durch das Schilf. Es kann sein, dass mal einer sagte, dass das Wasser des Flusses verschmutzt sei, doch das müsse ein Märchen sein. Diese Haltung nehmen die Menschen hier ein, die ganz im Gegenteil von den „heilenden“, „wundersamen“ Eigenschaften des Flusses überzeugt sind. Es kursiert selbst die Legende eines Esels, der von seinem Besitzer, der glaubte, der Esel würde nächstens an Altersschwäche sterben, ausgesetzt wurde. Der Esel stand eine Nacht lang im Fluss, am nächsten Morgen war er wieder putzmunter.

Ihnen gegenüber stehen Mitarbeiter eines Labors, die in ihren regelmäßigen Wasserproben eindeutig feststellen, dass der Tara mit Chemikalien und Metallen verschmutzt ist. Die Situation sei nicht dramatisch, aber „heilend“ sei das Wasser des Flusses mit Sicherheit nicht. Dass die Konfrontation zwischen Wissenschaft und Bewohner nicht humoristisch oder entblößend wirkt, liegt an der präzisen Inszenierung des Films. Den Autoren gelingt es, all ihren Protagonisten den gleichen Respekt entgegenzubringen, ihre Gefühlsebene derart glaubwürdig wiederzugeben, dass man als Zuschauer alles als plausibel und nachvollziehbar empfindet. Recht schnell überträgt sich die Mischung aus Pragmatismus, Gelassenheit, offenkundiger diffuser Enttäuschung und doch auch unterschwelliger Empörung, die den Protagonisten anzuhaften scheint, auf einen selbst.

Eindrücklich sind die Szenen in einer vernachlässigten Siedlung, leicht außerhalb der Stadt. Dort gleicht jeder Tag dem anderen. Die Alten sitzen auf ihren Holzstühlen zusammen, die Jungen spielen mit einem verbeulten Fußball aus Plastik. Ihre Bedürfnisse könnten nicht weiter weg, von denen der Einwohner der in den 1950er Jahren monumental gestalteten Neustadt entfernt sein. Doch egal wie viel Geld man in den Taschen hat, eine gewisse Lethargie, ein gewisser struktureller Stillstand, liegt über allen.

Der Entwurf des Dokumentarfilms ist durch seine recht lakonische Form ziemlich mutig. Den einen oder anderen informativen Übergang hätte man noch gerne gehabt, doch die Kraft des Werks liegt eindeutig in der Begegnung mit den charmanten Charakteren. Die Aufnahmen der natürlichen wie auch der erbauten Umgebung haben ebenfalls einen außergewöhnlichen Charme, der dank einer präzisen Kameraführung unterstützt wird. Gerade weil Tara nicht explizit eine politische Position bezieht, entwickelt der Film eine universelle Relevanz und zeugt von einer besonderen Einfühlsamkeit, wenn es um das Aufzeigen der Zwiespältigkeit und einer gewissen Hilflosigkeit des menschlichen Seins geht.

Tara (2022)

Der Tara ist ein kleiner Fluss am Stadtrand vor Taranto, einer vor 3 000 Jahren gegründeten Stadt am Mittelmeer. Der Name stammt von Taras, dem mythischen Sohn Poseidons, Gott des Meeres. Die Einheimischen schätzen das Wasser des Flusses sehr und sprechen ihm heilende Kräfte zu. Beginnend mit diesen idyllischen Bildern führt uns der Film in eine Stadt und ein Land, die im Namen des Fortschritts geopfert wurden. Die nur wenige Kilometer entfernte Stahlfabrik hat viele Leben gefordert und zu einem tiefen Bruch im sozialen Geflecht von Taranto geführt. Trotz der dunklen Präsenz kämpfen einige BewohnerInnen, um die Hoffnung in einer Stadt, die einst als „«Perle des Mittelmeeres”» bekannt war, am Leben zu erhalten.  (Quelle: Visions du Réel 2022)

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