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Von der unpolitischen Studentin zur bewaffneten Revolutionärin und zur Friedensvermittlerin: Dokumentarfilmer Marcel Mettelsiefen dokumentiert das abenteuerliche Leben der Tanja Nijmeijer und zeichnet ein mitfühlendes Porträt einer mutigen jungen Frau.

Tanja - Tagebuch einer Guerillera (2023)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Bomben für die Gerechtigkeit?

Eine junge Holländerin sitzt in einem Camp der kolumbianischen Guerilla FARC und schreibt Tagebuch. Sie beklagt sich über Sexismus und korrupte Kommandanten. „Ich habe keine Lust mehr, Befehle zu befolgen“, fährt sie fort. Was ist passiert? Wie ist diese zierliche, hübsche Frau in einen erbarmungslosen Bürgerkrieg geraten, der rund 50 Jahre dauerte und Zehntausende Opfer forderte? Ganz einfach: Sie hat es so gewollt. Statt ein beschauliches Leben als Übersetzerin zu führen, kämpfte Tanja Nijmeijer aus Idealismus an der Seite der Unterdrückten in einem Land, von dessen sozialen Konflikten sie 21 Jahre lang nichts wusste – bis zu einem lebensverändernden Praktikum. Regisseur Marcel Mettelsiefen porträtiert die faszinierende Persönlichkeit und lässt sie die spannende Geschichte aus ihrer Sicht erzählen.

Für die meisten Europäer ist Kolumbien weit weg. Man erinnert sich vielleicht an die Ermordung eines Fußballspielers, der bei der WM ein Eigentor schoss. Man liest, dass dort weltweit das meiste Kokain produziert wird. Aber was es mit der marxistischen FARC und dem Bürgerkrieg auf sich hat, dafür interessieren sich nur wenige. Deshalb tut der deutsch-ecuadorianische Journalist und Filmemacher Marcel Mettelsiefen gut daran, neben Tanjas Geschichte auch die Historie des Landes seit 1960, dem Beginn des Bürgerkrieges, zu skizzieren. Als Quellen dienen ihm TV-Archive und zwei Journalist_innen, die das Geschehen einordnen. So entsteht ein kompaktes Bild, das verständlich macht, wieso ein junges, nach eigenen Angaben unpolitisches Mädchen sich derart radikalisierte, als es während eines Auslandssemesters nach Kolumbien kam und an einer Schule für Reiche Englisch unterrichtete.

Tanja Nijmeijer, heute 45, wirkt nicht kämpferisch wie Che Guevara, wenn sie irgendwo in den kolumbianischen Bergen sitzt und ihre Geschichte erzählt. Sie spricht freundlich, sachlich und lächelt oft. Sie muss heute niemanden mehr bekehren. Denn die FARC legte 2017 die Waffen nieder, sie selbst war an der Aushandlung des Friedensabkommens beteiligt, als ranghohes Mitglied der Guerilleros. Aber sie möchte offensichtlich, dass sie gehört wird, dass die Öffentlichkeit ihre Version des Geschehens erfährt. Denn in den Medien war sie immer wieder präsent und umstritten, mal als naives Opfer, mal als brutale Terroristin, gegen die noch heute ein internationaler Haftbefehl besteht.

Tanjas eigene Kurzfassung der Geschichte geht so: Damals glaubte sie, dass ein Volk, dessen Regierung nur eine Marionette der reichen Großgrundbesitzer ist, das Recht hat, zu den Waffen zu greifen. Und eine Ausländerin, die spürt, dass sie dabei hilfreich sein kann, sollte das tun, mit aller Konsequenz, mit voller Härte und um den Preis des eigenen Lebens.

Immer wieder hat kompromissloser Idealismus die Menschen fasziniert, nicht umsonst ist Che Guevara ein Idol. Der Film weiß das und verlässt sich ganz auf die Kraft des Heroischen, selbst wenn er seine Protagonistin überhaupt nicht zur Heldin verklärt, sondern sachlich bleibt und scheinbar neutral eine Beobachterposition einnimmt. Aber die Bilder sprechen für sich. Immer wieder scheint es unfassbar, welche Strapazen die junge Tanja Nijmeijer im Dschungel auf sich nimmt. Welchem militärischen Drill sie sich aussetzt. Und wie sie trotzdem in die Kamera lächelt und mit Kameradinnen und Kameraden scherzt. Ihrem Tagebuch vertraut sie ihre Zweifel an. Aber letztendlich ordnet sie der in ihren Augen guten Sache alles unter.

Allerdings bleibt die dunkle Seite der Medaille in dem spannend montierten Film eher unterbelichtet. Wie viele Menschen hat Tanja Nijmeijer wirklich getötet? Wurden Unschuldige Opfer von Bomben, die sie gelegt hat? War sie an der Entführung von drei Amerikanern beteiligt, wie die US-Regierung behauptet? Die Ex-Guerillera, die heute zurückgezogen mit ihrem Partner in den Bergen lebt, leugnet das. Aber kann sie überhaupt die Wahrheit sagen, wenn sie weiter per internationalem Haftbefehl gesucht wird? Man kann verstehen, dass Filmemacher Marcel Mettelsiefen hier nicht tiefer bohrt. Zwar lässt der Film spüren, wem seine Sympathie gilt. Aber viele Fragen bleiben offen und die Meinungsbildung überlässt der Regisseur dem Publikum. Das letzte Wort zur Gewaltfrage hat Tanja Nijmeijer: „Zu den Waffen greifen funktioniert nicht. (…) Das ist inzwischen bewiesen. (…) Also lasst uns um Gottes willen jetzt etwas anderes probieren.“

 

Tanja - Tagebuch einer Guerillera (2023)

Die 19-jährige Tanja aus den Niederlanden entscheidet sich dazu als Au-pair nach Kolumbien zu gehen und wird sofort mit den politischen Unruhen des Landes konfrontiert. Entsetzt durch die Ungerechtigkeit, die sie beobachtet, schließt sie sich der größten Guerilla-Armee der Welt, FARC, an und greift zur Waffe, um zu kämpfen. Nachdem Tanja zu einer Guerillera geworden ist, muss sie vor den Bombenanschlägen in der Stadt fliehen. Nach Jahren im gefährlichen Dschungel wird Tanja zu einem wichtigen Mitglied der Organisation und wird schließlich als Teil der FARC-Delegation bei Friedensverhandlungen eingesetzt. Durch ihren Einsatz ist sie maßgeblich an einem Friedensabkommen beteiligt, das den längsten Bürgerkrieg in der Geschichte Lateinamerikas offiziell beendet und mit dem Friedensnobelpreis geehrt wird. Obwohl sie sich auf eine Wiedervereinigung mit ihrer Familie vorbereitet hat, wird Tanja von einem Interpol-Haftbefehl aufgehalten, wegen der am längsten andauernden Entführung von US-Bürgern. Eine Geschichte eines jungen Mädchens, das ihre eigenen Grenzen überschreitet, um nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch das ihrer Mitmenschen zu verändern und um Frieden und Gerechtigkeit zu erreichen. (Quelle: Verleih)

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