Take This Waltz

Eine Filmkritik von Monika Sandmann

Leidenschaft vs. Vertrautheit

Die Erwartungen nach einem beeindruckenden Film wie An ihrer Seite von 2006 (Oscar-nominiert für ihr Drehbuch nach der Kurzgeschichte The Bear Came Over the Mountain von Alice Munro) sind hoch. Doch Regisseurin (und auch brillante Schauspielerin, Das geheime Leben der Worte) Sarah Polley zieht sich geschickt aus der Bredouille. Sie vermeidet es, an ihrem preisgekrönten Drama gemessen zu werden, indem sie etwas ganz anderes dreht: eine Tragikomödie über die Ehe.
Polley verhandelt das Thema: Leidenschaft versus Vertrautheit. Eine neue aufregende Verliebtheit grätscht in eine bestehende warme Beziehung. Das Neue lockt, Kribbeln im Bauch, die Hormone tanzen Salsa. Doch so ist der Lauf der Dinge: Früher oder später wird aus neu zwangsläufig alt. Fluch oder Segen? Es kommt auf den Blickwinkel an.

Durch ein geschicktes Casting macht Polley ihre These deutlich. Die beiden Männer, zwischen denen ihre Hauptfigur hin- und hergerissen ist, ähneln sich äußerlich. Der Neue, Daniel, gespielt von Luke Kirby, scheint die jüngere, schlanke und durchtrainierte Version des im Lauf der Jahre übergewichtig und phlegmatisch gewordenen Ehemanns Lou zu sein, gespielt von Seth Rogen. Der Film legt nahe, da wo Lou jetzt ist, wird Daniel in einigen Jahren hinkommen. Lohnt es sich trotzdem, seinen Gefühlen zu folgen? Und wie hoch ist der Preis, das über Jahre Gewachsene gegen das Unberechenbare aufzugeben?

Margot (Michelle Williams), Ende 20, ist seit fünf Jahren mit Lou verheiratet. Die Ehe ist respekt- und liebevoll. Die Beiden haben ihren eigenen intimen Kosmos errichtet, mit kleinen humorvollen Streichen, mit gegenseitigen Kosenamen, die sich an Biestigkeit nur so übertreffen. Ein alberner Wettstreit zwischen ihnen. Ein Leben im kindlichen Wohlfühlmodus. Passend dazu Margots Garderobe, im kanadischen Sommer trägt sie bevorzugt knappe, unschuldige Mädchen-Outfits. Die Welt wäre in Ordnung, gäbe es da nicht die kleinen sexuellen Spannungen: Lou will, Margot fühlt sich gedrängt. Als Margot will, ist es für Lou nicht passend. Margot bricht in Tränen aus, weil Lou sie nicht versteht.

Sie trifft auf Daniel im Flugzeug nach Toronto. Er ist ihr Sitznachbar. Die Beiden kommen ins Gespräch. In Windeseile fühlt sich Margot dem Fremden so nahe, dass sie, darauf vertrauend, ihn nie wieder zu sehen, ihm Einblicke in ihre Seele gewährt: Ihre Angst, bei Anschlussflügen den Anschuss zu verpassen, weil sie sich im Flughafen-Dickicht verläuft und dann irgendwo „im Dazwischen“ landet.

Auch um dieses „Dazwischen-Sein“ geht es in dem Film. Zwischen zwei Männern stehen, ebenso wie die Angst, wirklich erwachsen zu werden und seinen Weg zu finden. Polley gewährt ihrer Protagonisten, allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz, keine Fluchtmöglichkeit. Der Mann aus dem Flieger entpuppt sich als ihr neuer Nachbar. Ähnlich wie Margot, die als freie Journalistin jobbt und darauf hofft, irgendwann eine ernst zunehmende Schriftstellerin zu werden, traut sich Daniel, aus Angst vor Ablehnung, mit seiner Kunst als Comiczeichner nicht an die Öffentlichkeit. Stattdessen jobbt er als Riksha-Tourguide und Lou, Margots Ehemann, brutzelt seit langem Hühner in allen erdenklichen Formen, um irgendwann ein Kochbuch für Huhn-Gerichte zu verkaufen.

Polleys Weisheit spiegelt sich in ihrer Kunst, einem alle Figuren ans Herz zu legen. Jeder, ob Haupt- oder Nebenfigur, ob alt oder jung, hübsch oder hässlich, schlank oder dick, wird mit Respekt und Wärme betrachtet. Eine Szene unter den Duschen eines öffentlichen Schwimmbads zeigt eine Gruppe nackter Frauen: dick, dünn, alt, jung mit einer Selbstverständlichkeit, die weder Voyeurismus noch Peinlichkeit aufkommen lässt. Die unterschiedlichen Frauen belegen vielmehr die These von der Veränderung des Lebens. Aus jungen Menschen werden alte Menschen, dicke werden dünn und umgekehrt, aber jeder behält seine eigene Schönheit.

In einer Mischung aus träumerischem Dahingleiten und tragisch-komischen Momenten mäandert der Film knapp zwei Stunden dahin. Kameramann Luc Montpellier umarmt seine Protagonisten in warmen Sommer-Abend-Braun-Tönen. Dazu gibt es melancholische Musik, einschließlich des titelgebenden Songs von Leonard Cohen. Das alles ist hübsch anzuschauen und anzuhören, doch birgt es die latente Gefahr zu langweilen. Die kleinen, durchaus schönen, skurrilen Ideen wirken in ihrer Vielzahl aufgesetzt. Auch hätte dem Film etwas weniger Bohemian in Ausstattung und Kostüm besser gestanden.

Trotz Abzüge in der B-Note ist Take This Waltz ein kluger, erwachsener Film über den Rausch der frischen Verliebtheit gegen den vertrauten Alltag einer gewachsenen Beziehung, mit einer leise und zart spielenden Michelle Williams im Wechselbad der Gefühle, umgeben von einem tollen Cast.

Take This Waltz

Die Erwartungen nach einem beeindruckenden Film wie „An ihrer Seite“ von 2006 (Oscar-nominiert für ihr Drehbuch nach der Kurzgeschichte „The Bear Came Over the Mountain“ von Alice Munro) sind hoch. Doch Regisseurin (und auch brillante Schauspielerin, „Das geheime Leben der Worte“) Sarah Polley zieht sich geschickt aus der Bredouille. Sie vermeidet es, an ihrem preisgekrönten Drama gemessen zu werden, indem sie etwas ganz anderes dreht: eine Tragikomödie über die Ehe.
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Meinungen

Olaf Eggert · 13.05.2013

Es fällt mir sehr schwer, über diesen Film etwas Positives zu sagen. Meines Erachtens wirkt Sarah Polley eher wie eine Studentin der Regiewissenschaft, wobei ich nicht weiss, ob man das so nennt. Auf mich wirkte der Film wie eine mehr oder weniger zusammenhanglose Aneinanderreihung von Szenen, an deren Ende man sich etwas zusammen reimen konnte. Einen roten Faden habe ich nicht gefunden, und die Abschlussbilder, sie mit 2 Männern, er mit 2 Frauen, ja, was will die Regisseurin dem Zuschauer da mitteilen ? Die Hauptdarsteller waren ja noch ganz süss, und ein Drehbuch versteht sicher am ehesten derjenige, der es geschrieben hat. Aufgabe eines Regisseurs wäre nach meinem Verständnis, etwas daraus zu formen, was allgemein verständlich ist. Wenn das Ergebnis ein Film wie dieser ist, frage ich mich allerdings, wozu Dramaturgie bzw. Regie überhaupt taugen. Insgesamt bedauere ich, diesen Film gesehen zu haben. Er ist meines Erachtens symptomatisch für die mit der Filmmassenproduktion einhergehenden inhaltlichen Verarmung. Von jetzt an werde ich wahrscheinlich einige Monate lang nicht mehr ins Kino gehen. Das hat vielleicht auch sein Gutes.

Laura · 18.10.2020

Im Gegenteil hat mich der Film mitgerissen und Tage lang darüber nachdenken lassen. Polley bringt es auf dem Punkt. Es geht um die Unvollkommenheit des Lebens, um die Macht der Instinkte, die gegen jegliche Vernunft dazu führen, dass Menschen sich in zerstörerische Situationen begeben, die alle Brücken zum vertrauten Leben zurück sprengen. Dabei wird man nicht glücklicher als vorher, aber man hat die Wahl zwischen Verzicht und ins Leeren springen, der puren Lust, dem tierischen Instinkt folgend. Das Drehbuch erinnert mich sehr an Munroe, deren Einfluss nicht zu verleugnen ist.