Tagebuch eines Skandals (2006)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wer ist die Hexe, du oder ich?

Sie hat etwas von einer Fee an sich, von einem ätherischen Geistwesen, als sie zum ersten Mal den Schulhof ihrer neuen Wirkungsstätte betritt. Die neue Kunstlehrerin Sheba Hart (Cate Blanchett) ist eine durch und durch bezaubernde Frau, die – je nach Alter und hormoneller Veranlagung – die testosteronprallen Lümmel aus der zehnten Klasse ebenso verzückt wie ihre ältliche und allein stehende Kollegin Barbara Covett (Judi Dench). Rasch freunden sich die beiden Frauen miteinander an, für Sheba ist es allerdings mehr eine gesellschaftliche Verpflichtung und der Wunsch, rasch Anschluss an der neuen Schule zu finden, Barbara allerdings will mehr. Sie lernt Shebas Familie kennen und steigert sich in den Wahn hinein, dass die sanfte Fee eines Tages die Ihren verlassen wird, um mit der nicht gerade attraktiven und verknöcherten Geschichtslehrerin eine wie auch immer geartete Beziehung einzugehen. Doch der blonde Engel ist ein flatterhaftes und wenig beständiges Wesen, das zudem eine verhängnisvolle Schwäche für ihren gerade mal 15-jährigen Schüler Steven (Andrew Simpson) entwickelt. Statt einträchtig mit Barbara Tee zu trinken und verhuschte Streicheleinheiten auszutauschen, dürstet es die in ihre Ehe mit einem wesentlich älteren Mann frustrierte Sheba vielmehr nach sexueller Befriedigung durch ihren Schutzbefohlenen. In dem Augenblick, in dem Barbara das Treiben ihrer verehrten Kollegin entdeckt, sieht sie die Chance gekommen, die Zuneigung Shebas zu erzwingen, und sie ist wild entschlossen, ihre Karten eiskalt auszuspielen. Und als die Angebetete nicht mehr mitspielt, zögert die vereinsamte Lady keinen Moment, den Skandal auffliegen zu lassen…

Tagebuch eines Skandals / Notes on a Scandal ist ein gehässiger kleiner Psychothriller, der es (beinahe) ohne jede Gewalttat versteht, allein durch die Psychologie der Figuren und die Art und Weise der Erzählung von der ersten bis zur letzten Minute zu fesseln. Der einzige Schwachpunkt des fulminant gespielten und treffsicher inszenierten Psychodramas ist, dass der Stein des Anstoßes, die Affäre Shebas mit dem 15-jährigen Jungen hinter der monströsen Gehässigkeiten und der famos aufspielenden Judi Dench zu verschwinden droht. Ihre bissigen Kommentare über ihre Umwelt, ihre Kollegen und alles, was um sie herum geschieht, ziehen sich wie ein roter Faden durch den Film, es sind die Tagebuchaufzeichnungen einer verbitterten, alten, und harten Frau, einer modernen Hexe zwischen purer Bösartigkeit und nackter Verzweiflung davor, den kargen Rest ihres Lebens in Einsamkeit verbringen zu müssen. Dabei droht manchmal in Vergessenheit zu geraten, dass der wahre Fehltritt ausgerechnet von jener wundervollen Fee begangen wird, die mit verträumtem Blick und beiläufigen Gesten alle Welt verhext und dafür sorgt, dass sich jedermann in sie verliebt. Und vielleicht macht gerade dieser Umstand den Hass der Alten auf die Junge erklärbar – als Neid einer benachteiligten Frau auf eine flatterhafte Elfe, die alle Liebe der Welt haben könnte und die sich doch in einen kleinen und unreifen Schuljungen verliebt.

Mag sein, dass es manchem Zuschauer nicht behagt, welche unappetitlichen kleinen Details und versteckten Leidenschaften der liberalen Middle Class hier zur Sprache und auf die Leinwand kommen, trotzdem sollte man diesen hinterhältigen Film voller Bissigkeit und eloquent vorgetragener Verbitterung über die Armseligkeiten des Lebens und die (Ent-) Täuschungen der Liebe nicht versäumen, Cate Blanchett und vor allem Judi Dench machen Tagebuch eines Skandals / Notes on a Scandal zu einem Ereignis. Richard Eyres Film ist ein bewegendes Psychodrama, in dem Judi Dench und Cate Blanchett erneut zeigen, dass sie zu den besten Schauspielerinnen unsere Zeit gehören. Kino, das unter die Haut geht.
 

Tagebuch eines Skandals (2006)

Sie hat etwas von einer Fee an sich, von einem ätherischen Geistwesen, als sie zum ersten Mal den Schulhof ihrer neuen Wirkungsstätte betritt.

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Meinungen

Ulrike · 20.02.2007

Ich hatte bereits die Chance, den Film in den USA im Kino sehen zu können freue mich schon, unter Gänsehaut, die fantastischen schauspielerischen Leistungen nochmals erleben zu dürfen. Judi Dench ist fantastisch, dazu muß man nichts sagen, Cate Blanchett übertrifft sich ebenfalls selber. Allerdings habe ich in fast allen englischsprachigen Kritiken lobende Erwähnungen von Bill Nighy als Cate's Ehemann gelesen. Deutschland schweigt dieses Ausnahmetalent leider nach wie vor tot. (Warum eigentlich?) Eine kleine Rolle, aber mit verdammt viel Power und Herzblut gespielt. Sein Casting macht die Affäre von Cate's Charakter noch viel unfassbarer. Die Rolle hätte eine Oscar-Nominierung sein MÜSSEN. Wie die Rollen von Dame Judi und Cate auch.