Tage oder Stunden

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Antoine Méliot ist Mitte vierzig, Teilhaber einer Werbeagentur und arbeitet für die Schönen und Reichen. Dementsprechend sieht sein Lebenswandel aus, und von außen betrachtet könnte man regelrecht neidisch werden. Eines Tages allerdings läuft alles aus dem Ruder und er schmeißt über Bord, was ihm bislang Fels in der Brandung war: Job, Familie und Freunde.
Anfangs erscheint es noch komisch und zum Lachen, wenn Antoine (Albert Dupontel) sich unerwartet den Ansprüchen und Forderungen seiner Werbekunden mit garstigem Starrsinn und unverfrorenem Eigensinn verwehrt. Aber schnell zeigt sich, dass es sich um bitterbösen Ernst handelt und der Mann in einer fürchterlichen Lebenskrise stecken muss, denn sonst würde er nicht diese permanenten Entgleisungen haben. Die Kunden sind konsterniert, der Geschäftspartner vor den Kopf gestoßen, die Ehefrau frustriert und selbst seine Kinder leiden unter seinem aggressiven und gefühlskalten Verhalten. Denn er reagiert extrem harsch auf die selbst gemalten Bilder der Kinderhände und antwortet mit schonungsloser und verletzender Ehrlichkeit: Hier hätte der Strich besser gemalt werden können, dort sei alles zu unrealistisch dargestellt und überhaupt entspreche die Zeichnung nicht der Fähigkeit eines Grundschülers … Seine Frau Cécile (Marie-Josée Croze) versteht die Welt und ihn nicht mehr – ebenso wenig der Zuschauer. Was mag in diesem Mann vorgehen, dass er zu solch radikalen Mitteln greift, um die Gesellschaft, Familie und Freunde um sich herum anzugreifen und zu dekonstruieren? Auch seine Geliebte Marion (Alessandra Martines) ist von seinem Verhalten verstört, obgleich sie am mildesten von allen behandelt wird. Der Freundeskreis hingegen wird zu Antoines Geburtstag mit seiner fiesesten Schattenseite konfrontiert, weil er es fast zu einer Vergewaltigung kommen lässt, eine Schlägerei provoziert und vieles zu Bruch gehen lässt — sowohl materiell als auch emotional. Antoine sucht daraufhin das Weite, und ganz langsam wird der Zuschauer über die Ursachen seines Verhaltens aufgeklärt. Denn Antoine tritt eine Reise an, auf der er sich menschlicher denn je beweist, indem er gedankenverloren auf der Autobahn rast, Gaststätten unter seinem sozialen Status aufsucht, einem mittellosen Tramper spontan einen größeren Geldbetrag schenkt und nicht zuletzt seinem Vater einen letzten bzw. ersten Besuch abstattet. Dieser lebt in Irland, hatte seit Jahrzehnten keinen Kontakt zu seinem Sohn, und plötzlich ergibt alles einen Sinn. Antoine will Frieden schließen. Vater und Sohn kommen sich beim Fliegenfischen näher, und eine spröde Sympathie breitet sich zwischen den ungleichen Männern aus. Letztendlich wird es für Antoine eine Reise zur Selbsterkenntnis, zur Wurzelsuche und zu seiner Menschlichkeit.

Jean Becker (Dialog mit meinem Gärtner) hat mit Tage oder Stunden einen verstörenden Film gedreht, der andauernd zwischen Hoffnung und Verzweiflung pendelt. Fast unerträglich sind für den Zuschauer die Spannungen, die zwischen Antoine und seinen Liebsten entstehen, weil er – anstatt höflich und liebevoll zu sein – ehrlich und gnadenlos ist. Diese Ehrlichkeit hat allerdings nichts mit einem gutmütigen ehrlichen Menschen zu tun, sondern sie ist destruktiv und vernichtend. Sie soll anderen wehtun, kleinmachen und demütigen, weil Antoine mit den Schmerzen, die ihm zugefügt wurden und werden, nicht umgehen kann. Frei nach dem Motto: „Angriff ist die beste Verteidigung“, verletzt er alle Menschen, die ihm bislang wichtig und lieb waren. Als Quintessenz bleibt von diesem Film ein schales Gefühl für die Ohnmacht des Protagonisten, aber auch ein kritisches Auge für die Unbilden des Lebens. Wenn Antoine nicht das widerfahren wäre, was sich am Ende des Films als Grund für all sein Handeln herausstellt, würde er anders gehandelt haben. Wenn sein Vater ihn nicht als Kind verlassen hätte, würde er seine zwischenmenschlichen Kontakte liebevoller leben können. Kann er aber nicht, weil er in den Jahren dazwischen offensichtlich nicht in der Lage war, an sich zu arbeiten. Antoine zerbricht an seiner Lebenssituation, anstatt daran zu wachsen.

Ein Film, dessen Eindrücke den Zuschauer zwischen Sympathie und Antipathie bzw. Verständnis und Unverständnis hin- und her reißen. Nachdenklich, beunruhigend und verstörend!

Tage oder Stunden

Antoine Méliot ist Mitte vierzig, Teilhaber einer Werbeagentur und arbeitet für die Schönen und Reichen. Dementsprechend sieht sein Lebenswandel aus, und von außen betrachtet könnte man regelrecht neidisch werden. Eines Tages allerdings läuft alles aus dem Ruder und er schmeißt über Bord, was ihm bislang Fels in der Brandung war: Job, Familie und Freunde.
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Meinungen

honegger@crea-cultura.org · 17.07.2009

Von Inhalt her perfekt - wer aber dei Rezensionen ausdrucken will, wird mit zusätzlich vier überflüssigen Seiten bedient. Eine Möglichkeit «Rezension ausdrucken» wäre das Tüpfchen aufd dem «i». Herzlichst grüsst Anton Herbert Honegger