Tag und Nacht

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Königinnen der Nacht

Am Anfang scheint alles nur ein einziger großer Spaß zu sein. Wenn sie schon schlechten Sex hätten, so albern die beiden Freundinnen Lea (Anna Rot) und Hanna (Magdalena Kronschläger) herum, dann könnten sie sich doch wenigstens in Zukunft dafür bezahlen lassen. Seit vielen Jahren kennen sich die zwei jungen Frauen schon, und nun, fern der Heimat, teilen sie sich nicht nur eine Wohnung, sondern beschließen auch noch, auf die gleiche Weise das Studium in Wien zu finanzieren – durch Prostitution oder wie es neuerdings euphemistisch heißt durch die Arbeit in einer Escort-Agentur. Wenn Leas Handy bei einem Anruf aus der Agentur klingelt, ist im Display die Kurzbezeichnung „Reichtümer“ zu lesen. Man muss die Dinge ja beim Namen nennen – und zwar bei einem möglichst positiven. „Wir sind Königinnen“, sagt Lea an einer Stelle zu Hanna. Die Wahrheit ist viel banaler und trauriger.
Die Regeln sind rasch gelernt, dafür sorgt schon der windige Agenturinhaber Mario (Philipp Hochmair) und dessen Frau Sissy (Martina Spitzer): „Du musst dem Mann das Gefühl vermitteln, dass er etwas ganz besonderes ist“. Und: „Parfüm und Body Lotion müssen von der gleichen Marke sein. Ein Geruch, eine Geschichte, merk dir das. Mehr verwirrt die Männer.“ Und natürlich das Allerwichtigste: „Immer vorher kassieren!“

Was zunächst aussieht wie ein leichter Job, der das schnelle Geld bringt, offenbart schon bald seine Schattenseiten – trotz Leas wiederholter Versicherung, alles im Griff zu haben und jederzeit steuern zu können. Tatsächlich aber verschieben sich die Grenzen zwischen Tag und Nacht, zwischen dem „normalen Leben“ und dem Nebenjob immer mehr. Die Rückkehr zur Normalität, zu dem, was vorher war, fällt immer schwerer und stellt auch die Freundschaft zwischen den beiden Frauen auf eine harte Probe. Und normale Beziehungen lassen sich für die beiden sowieso nicht mehr aufbauen.

Sabine Derflinger ist wahrlich keine Anfängerin mehr: Unter anderem mit Vollgas, ihrem Erstling aus dem Jahre 2001, begann der unaufhaltsame Aufstieg des jungen österreichischen Films und hält bis heute an. Zwischendrin gab es Filme wie Kleine Schwester (2004), 42Plus (2007) und zahlreiche dokumentarische Projekte. Auch bei Tag und Nacht war die Herangehensweise zumindest in der Development-Phase eher dokumentarisch geprägt. Gemeinsam mit ihrer Kamerafrau und Co-Autorin Eva Testor recherchierte Derflinger lange im Wiener Rotlichtmilieu und hatte dennoch stets einen Spielfilm vor Augen, weil dokumentarische Drehs über Prostitution in Europa nur schwer zu realisieren sind. Dennoch beruht die Geschichte, die Tag und Nacht erzählt, auf realem Material, das verdichtet und dramaturgisch aufbereitet wurde. Dies und die ausgezeichnete Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen geben dem Film ein hohes Maß an Authentizität und Glaubwürdigkeit, eine Beiläufigkeit und Natürlichkeit, die dem schwierigen Thema gut tun.

Wer auf Explizites und auf schlüpfrige Einblicke hofft, ist in diesem Film definitiv falsch am Platz. Obwohl sie ihren Protagonistinnen recht nahe kommen und zum Teil recht derbe und bizarre Formen der Sexualität gezeigt werden, gelingt es Sabine Derflinger und Eva Testor, dabei stets die Banalität der Wünsche und Sehnsüchte und die wechselseitigen Machtverhältnisse und die ambivalenten Emotionen zwischen den Callgirls und ihren Freiern ins Bild zu rücken, ohne dabei ins Sentimentale abzugleiten.

Vieles, was Tag und Nacht zeigt, kommt einem auf seltsame Weise bekannt vor: Der ältere Herr, der unter dem Anzug Damenunterwäsche trägt, der joviale und weltgewandte Business-Mensch (Martin Brambach), der mitten im Akt mit den beiden Freundinnen von einem Untergebenen per Handyanruf gestört wird und der diesen zur Bestätigung seiner Virilität und Potenz erstmal fernmündlich zur Schnecke macht, bevor er sich wieder den „Freuden des Lebens“ widmet — oder zumindest dem, was er darunter versteht. Obwohl dies alles nicht wirklich neu ist, hat man dennoch nie das Gefühl, die Filmemacherin sei irgendwelchen Klischees aufgesessen oder habe auf bekannte Formeln und Motive zurückgegriffen. Es ist vor allem der unverstellte Blick auf ihre Figuren, die keine ausgebeuteten Frauen sind, sondern durchaus selbstbewusst und zumindest scheinbar autonom in ihrer Entscheidung, diesen Weg zu gehen.

Bewundernswert ist dabei auch die erzählerische Ökonomie, mit der der Film vorgeht, seine Kunst der Verknappung und Zuspitzung, der Balance zwischen Andeutung und Direktheit – und das bezieht sich keinesfalls nur auf die sehenswerte Kamera und die kongeniale Montage der Bilder, sondern auch auf die Psychologie der beiden Frauen: Man ahnt den Frust vergangener Beziehungen, der vor allem bei Lea immer wieder aufblitzt – für sie besteht der Reiz des Jobs nicht nur im schnellen Geld, sondern auch in der Macht, die ihr ihre Tätigkeit über Männer verleiht. Hanna hingegen ist anders, schüchterner, sensibler, gehemmter und deshalb mit einer noch größeren Fallhöhe versehen als Lea. Dass sie bei einem Termin ausgerechnet auf ihren Kommilitonen (Adrian Topol) stößt, mit dem in ihrem anderen, ihrem normalen Leben vielleicht eine Beziehung möglich gewesen wäre, gehört ebenso wie das Ende, bei dem Hanna beinahe draufgeht, zu den bewegendsten und traurigsten Momenten in einem Film, der mit jedem Anschauen neue Aspekte und Facetten offenbart.

Tag und Nacht

Am Anfang scheint alles nur ein einziger großer Spaß zu sein. Wenn sie schon schlechten Sex hätten, so albern die beiden Freundinnen Lea (Anna Rot) und Hanna (Magdalena Kronschläger) herum, dann könnten sie sich doch wenigstens in Zukunft dafür bezahlen lassen.
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