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Ein Urlaub? Arbeit? Eine Annäherung? Anne teilt sich mit Nuri eine Wohnung mit Pool, irgendwo in Israel. Sie reden. Sie kommen sich näher. Sie entwickeln ein kompliziertes Verhältnis zueinander. Und über sie fliegen die Raketen.

Südsee (2023)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Pool unter Raketen

„Südsee“ – dafür muss hilfsweise der Pool herhalten. Der liegt auf der Dachterrasse einer geräumigen Wohnung. Hier verbringen Anne (Liliane Amuat), die Deutsche, und Nuri (Dor Aloni), der Israeli, ihre Zeit. Sie will an ihrem Drehbuch arbeiten, er arbeitet an einer Magisterarbeit. Die Ferienwohnung gehört seiner Mutter, liegt irgendwo zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Wir sehen Palmen, wir hören dumpfe Explosionsgeräusche, sehen Rauchwölkchen, die am Himmel entstehen: Der Konflikt in Nahost dampft wieder einmal über.

Ein Zweipersonenstück, ein Kammerspiel; beinahe. Manchmal verlassen wir die Wohnung für einen Spaziergang, etwa durch die Weinberge – „wie in der Pfalz“, meint Nuri. Später kommt eine Freundin vorbei: Romi (Yuval Levi). Aber dazwischen liegt vor allem Nichtstun. Oder besser: Kontemplation, Muße, Nachdenken, ein Sichverorten. Nuri feiert den Philosophen Martin Buber, dessen Theorie des Gesprächs und der Kommunikation, den anderen als Ganzheit, Einheit, Einzigartigkeit zu erkennen und anzunehmen versucht: die ewige Gegenseitigkeit, ich wirke auf dich, du wirkst auf mich.

Anne und Nuri reden, vornehmlich; sie planschen im Pool, hängen herum in der Hollywoodschaukel. Sie schlafen in einem Bett, ohne körperlich-sexuelle Annäherung. Aber die erotische Spannung steigt, langsam, unaufhaltsam. Eigentlich hatte Anne Nuri für schwul gehalten …

Sie reden über ihre Ex-Partner. Sie reden über Deutschland und Israel. Sie offenbaren sich, bauen aber auch eine Hülle um sich, damit sich Anziehung und Distanz die Waage halten. Er prahlt, nur Wagner zu hören. Sie trägt die Erinnerung an den Ex wie ein Schutzschild vor sich her. Or, so heißt er, sei so schön.

Anne liebt Israel. Besser: Sie hat vor allem Sehnsucht nach einem Anderswo. Nuri hat sich in Deutschland verliebt, hat an der Volksbühne Martin Wuttke gesehen, der das R martialisch rollte. Nuri ist Theatermensch, in Deutschland, da, wo man individualistisch sein kann. Wohin Nuri sich sehnt, da klafft bei Anne eine Lücke: Sie bewundert die Verbindung, den Zusammenhalt in Israel, die gemeinsame Basis, die für sie als Deutsche nur ein schwarzes Loch ist.

Es geht um die großen Themen. Aber dann geht es eigentlich doch um diese beiden. Um die Beziehung, die sich aufbaut zwischen ihnen, die sich eigentlich kaum kennen; und dann taucht Romi auf, die diese Frequenzen, diese Vibes zu stören. Nun albert sie mit Nuri im Pool; Anne sperrt sich bei einem Spaziergang versehentlich aus …

Henrika Kull erzählt eine Geschichte ohne wirkliche Handlung; es geschieht wenig, und doch viel – beinahe wie im wirklichen Leben. Anne arbeitet an einem Filmskript, es geht um die Beziehung einer Deutschen zu einem Israeli, Ex-Soldat mit posttraumatischer Belastungsstörung – das ist Annes eigentliche Geschichte, und dass die Autofiktion in die Filmfiktion eingeschrieben ist, soll natürlich andeuten, dass der Film selbst ebenfalls eine reale Basis hat. Man glaubt es gerne, und weiß, dass es gar nicht so sein muss: Der Sinn des Realismus ist ja nicht, das Reale abzubilden, sondern etwas, das real aussieht, zu konstruieren. Und dies gelingt, in einer atmosphärischen Skizze von zwei Tagen unter dem Iron Dome, der die Raketen aus Gaza abhält.

Südsee (2023)

Anne und Nuri kennen sich nur über einen gemeinsamen Bekannten, als sie zusammen ins Haus von Nuris Eltern in die Berge zwischen Tel Aviv und Jerusalem fahren. Während der militärische Konflikt zwischen der israelischen Armee und der Hamas eskaliert, verbringen die beiden im Schutz des Raketenabwehrsystems Iron Dome zwei intime Tage am Pool, um den nächtlichen Bombenalarmen in der Stadt zu entkommen. (Quelle: Filmfest München)

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