Stonewall

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Die Steinmauer vorm Kopf

Er wollte schon seit Jahren einen Film über den Stonewall-Aufstand machen, sagte Regisseur Roland Emmerich, eigentlich für seine nicht so politischen Action-Blockbuster bekannt, bei der Deutschland-Premiere von Stonewall. Hätte er es mal gelassen. So muss man sich jetzt mit seinem Werk auseinandersetzen, einem Film, so ambivalent, dass man gar nicht sofort versteht, was genau hier so unangenehm schiefgelaufen ist. Natürlich gibt es einige Offensichtlichkeiten, aber Emmerichs Fehlleistung geht viel tiefer.
Irgendwo in Indiana im Jahr 1969: Danny Winters (Jeremy Irvine) ist im letzten Schuljahr an der Highschool. Er ist jung, blond, hübsch, muskulös und im Football-Team, das sein Vater als Coach leitet. Alles ist super, alles ist amerikanisch – bis auf eine Kleinigkeit: Danny ist schwul und verliebt in seinen besten Freund, den Quarterback. Und der lässt sich auch ganz gern mal von Danny befriedigen. Aber nur zum Spaß, der endet, als beide erwischt werden, und Danny zuhause rausgeschmissen wird. Daraufhin geht der Junge ohne Abschluss nach New York ins Greenwich Village, der Hochburg für Schwule, Lesben und Transgender zu dieser Zeit. Ohne Geld, ohne Job und ohne Unterkunft wird der Verlorene schnell von einer Gruppe Straßenkids, angeführt von der genderfluiden Ray (Johnny Beauchamp), aufgenommen. Sie zeigen ihm, wie man auf der Straße überlebt, versorgen ihn mit Freiern und gehen mit Danny im Stonewall Inn trinken und tanzen. Dort lernt Danny auch seinen ersten Freund kennen, der bei der Homosexuellen-Organisation Mattachine Society mitmacht, die darauf aus ist, Schwule und Lesben durch Anpassung in die Gesellschaft einzugliedern. Doch Dannys Freunde sind Menschen, denen man stets ansieht, dass sie schwul, transgender etc. sind. Und sie sind es auch, die permanent von der Polizei und der italienischen Mafia, die das Stonewall Inn leitet, drangsaliert werden. Während Danny versucht, sich selbst zu finden und doch noch irgendwie auf die Uni zu kommen, heizt sich die Situation im Village immer mehr auf, bis sie eines Tages im Stonewall-Aufstand mündet: Eine Razzia und Festnahmen der Kneipenbesucher bringen das Fass zum Überlaufen. Allen voran die Straßenkids, Danny mittendrin, und schließlich auch die Anwohner wehren sich und beginnen eine mehrtägige Straßenschlacht, die schließlich in dem Beginn einer organisierten Schwulen- und Lesbenbewegung mündet. Die Wende, die dieser Aufstand brachte, wird seither mit den Paraden zum Christopher Street Day gefeiert.

Emmerichs Stonewall will zwei Geschichten erzählen: Zum einen Dannys Coming-of-Age-Geschichte vom verschüchterten Jungen zum emanzipierten jungen Mann, zum anderen die der Stonewall-Aufstände. Doch diese gab es wirklich. Danny hingegen ist eine rein fiktionale Figur in einer kitschigen Retorten-Erzählung, die einen, würde sie allein für sich stehen, nicht hinter dem Ofen hervorlocken würde. Danny ist ein heteronormativer Überbau, der die sonst zu bunte, zu genderfluide, zu minderheitenträchtige Geschichte mehr ins Gewohnte rückt. Danny ist die Linse, durch die man als ZuschauerIn schauen soll, um sich nicht vor den Transen, den Schwarzen, den Nichtnormativen zu erschrecken. An dieser Stelle möchte ich Sie, liebe LeserInnen und KinogängerInnen fragen: Wirklich? Würde Sie das erschrecken? Könnten Sie damit nicht umgehen? Würden Sie damit wirklich nicht klar kommen? Ich mag es nicht glauben. Wenn ich ehrlich bin, denke ich eher, dass man Sie maßlos unterschätzt und denkt, Sie wollen immer nur das gleiche Gleiche sehen – und das muss weiß, bürgerlich und heterosexuell sein.

Wahrscheinlich ist Danny auch eingebaut, weil Emmerich sonst keine Finanzierung bekommen hätte. Es ist ein himmelschreiender Bärendienst, ach was, eine Unverschämtheit, was der Regisseur diesem wichtigen Ereignis mit diesem Film antut. Es wäre besser gewesen, er hätte es gelassen. Denn gerade dieser Aufstand ist und war ein Aufstand all derer, die anders sind, die ausgeschlossen sind und die in den Jahren danach schon genug damit zu kämpfen hatten, dass die Geschichtsbücher ihre Anwesenheit negierten.

Gleiches wiederholt Emmerich hier. So werden die eigentlichen HauptakteurInnen zu klamaukigen Nebenfiguren. Die Straßenkinder, die in Wahrheit die ersten Steine warfen – im Film ist es Danny –, bleiben bunte Randfiguren, die nur als Dialoglieferanten und für exotisch-tragische Momente benutzt werden. Die wahren AktivistInnen dieser ersten Stunde der Emanzipierung wie Marsha P. Johnson (Otoja Abit) oder Sylvia Rivera sind zwar vorhanden (Rivera nicht namentlich, aber in der Figur Rays), werden aber nicht beachtet und arg stiefmütterlich behandelt. Gleichsam sind die lesbischen Frauen, die am Aufstand teilnahmen und einen ebenfalls wesentlichen Anteil spielten, bis auf eine Vertreterin überhaupt nicht vertreten.

Man muss schon sagen, in gewisser Weise ist Stonewall eine Absurdität. Es ist ein Film, der sich den Namen eines emanzipatorischen Momentes gibt, sich aber selbst nicht traut, zu diesem Augenblick und den damals Beteiligten zu stehen. Aus Angst davor, Finanzierung und Publikum zu verlieren, negiert Emmerich lieber einen wichtigen Teil gender-, sexual- und gesellschaftspolitscher Geschichte, die ihm, als offen homosexuellen Regisseur und Produzenten, überhaupt erst den Weg geebnet hat, zu sein, was er heute ist.

Stonewall

Er wollte schon seit Jahren einen Film über den Stonewall-Aufstand machen, sagte Regisseur Roland Emmerich, eigentlich für seine nicht so politischen Action-Blockbuster bekannt, bei der Deutschland-Premiere von „Stonewall“. Hätte er es mal gelassen. So muss man sich jetzt mit seinem Werk auseinandersetzen, einem Film, so ambivalent, dass man gar nicht sofort versteht, was genau hier so unangenehm schiefgelaufen ist.
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Meinungen

Arno · 03.02.2016

"die lesbischen Frauen, die am Aufstand teilnahmen und einen ebenfalls wesentlichen Anteil spielten"
Gibt es für diese Aussage einen historischen Beleg
oder ist dies lediglich eine Vermutung ?