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Ein junger Kurde sucht nach seiner totgeglaubten Schwester und radikalisiert sich: Was ist im Kampf für die eigene Überzeugung erlaubt? Wo verlaufen die moralischen Grenzen im Journalismus? Trotz pädagogischer Note ein durchaus sehenswerter Film.

Stille Post (2021)

Eine Filmkritik von Jens Balkenborg

Untreue Bilder aus Wut

Keine Frage: In diesen Zeiten, in denen der russische Angriffskrieg in der Ukraine das Weltgeschehen und die Medien beherrscht und in denen im Iran aus einem feministischen Kampf ein gesamtgesellschaftlicher für die Freiheit geworden ist, erfährt Florian Hoffmanns Spielfilmdebüt „Stille Post“ ungeahnte Aktualität. Der 1987 in Berlin geborene und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) ausgebildete Regisseur hat einen thematisch komplexen Film gedreht: über die nicht ungefährliche Dialektik zwischen dem objektiven und dem emotional gefärbten Blick auf eine bürgerkriegsähnliche Situation und über die Macht der Bilder. Welchen Bildern ist zu trauen?

Diese Frage wird gleich zu Beginn von Stille Post aufgegriffen. Verwackelte Bilder aus einem Krisenherd, Frauen singen vor einem Feuer, jemand mit einer türkischen Fahne auf weiter Ebene, Schreie, Schüsse. Dann springt der Film zu Grundschullehrer Khalil (Hadi Khanjanpour), der mit seiner Klasse einen Fernsehsender besucht. Eine Journalistin, die sich kurze Zeit später als Khalils Freundin Leyla (Kristin Suckow) entpuppt, zeigt den Kindern, wie sich Fotos am Computer mühelos digital verfremden lassen. Es ist ein klassischer Topos von Michael Haneke, dem großen Kinomoralisten und Medienskeptiker, an dem Hoffmann sich in seinem Debüt abarbeitet. In unserer von Bilderfluten dominierten Zeit muss es – überspitzt gesagt – knallen, damit wir noch etwas merken, oder?

Der Knall, der Khalil ins Geschehen hineinwirft, ist ein zunächst sehr persönlicher. Auf Amateuraufnahmen, die die aufstrebende Journalistin Leyla mit nach Hause bringt, meint er, seine tot geglaubte Schwester wiederzuerkennen. Die Bilder stammen aus seiner Heimatstadt Cizre, einer kurdischen Stadt in der Türkei, in der im Film ein Straßenkrieg tobt. Tatsächlich war die nahe der syrischen und irakischen Grenze gelegene Stadt in der Vergangenheit immer wieder Schauplatz von Gefechten zwischen türkischen Sicherheitskräften und PKK-Kämpfern.

Für Khalil jedenfalls beginnt eine Eskalationsspirale. Über die kurdische Gemeinschaft versucht er Kontakt mit seiner Schwester aufzunehmen. Hamid (Aziz Capkurt), ein aus Deutschland agierender kurdischer Freiheitskämpfer, will den Kontakt herstellen, verlangt von Khalil aber, dass der die ihm auf Speicherkarten in Elektrogeräten versteckt zugespielten Kriegsvideos der Schwester in die deutschen Medien bringt. „Alle Kurden sind im Krieg, nur manche wissen es nicht“, sagt Hamid.

Blickte Daphne Charizani in ihrem Debüt Im Feuer – Zwei Schwestern auf eine in Deutschland aufgewachsene Kurdin und Bundeswehrsoldatin, die sich im Irak auf die Suche nach ihrer vermissten Schwester macht und selbst zur Frontkämpferin wird, interessiert Hoffmann sich für einen persönlich motivierten Medienkrieg. Khalil und Leyla frisieren die Videos, pumpen sie dramatisch auf, um das Thema in die deutsche Presse zu katapultieren.

Stille Post ist, ganz entgegen der Strategie seiner Figuren, ein Film, der mit naturalistischer Inszenierung größtenteils in der Ruhe seine Kraft sucht. Das ist konsequent. Zugleich ist die Art, wie die Mechanismen des deutschen Journalismus im Film gezeichnet werden, dessen Hunger nach sensationellen und vor allem sensationell dramatischen Bildern, Wasser auf die Mühlen der Medienskeptiker. Diese bewusst drastische Darstellung mag als Kritik ein Ziel treffen, liefert aber auch Diskussionsfutter.

Hoffmann lässt seine Figuren freidrehen: Khalil bricht mit Leylas Schlüssel in die Fernsehredaktion ein, letztere bricht recht flott mit jeglichem journalistischen Ethos. Auch einige Szenen irritieren in diesem realistischen Setting, weil sie affektiert funktional daherkommen. Muss Khalil wirklich völlig aus dem Kontext gerissen auf dem Mittelstreifen einer voll befahrenen Straße laufen oder sich, aus Selbstüberzeugung gegen Hamid, Oberkörper frei in die Kälte stellen, um dessen Gefühlszustand zu visualisieren?

„Wenn du mit dem Kopf durch die Wand willst, musst du wissen, was dahinter ist“, sagt einmal jemand und es scheint, dass Hoffmann dieses Motto ganz bewusst für seinen Film vereinnahmt. Diese Haltung gibt Stille Post eine pädagogische Note, man kann sich den Film gut als Diskussionsgrundlage in Klassenräumen vorstellen. Sehenswert und gut gespielt ist dieses Debüt dennoch.

 

Stille Post (2021)

Als der Berliner Grundschullehrer Khalil Kriegsbilder aus seiner kurdischen Heimatstadt Cizre zugespielt bekommt, glaubt er in den Videos seine tot geglaubte Schwester zu erkennen. Sein geordnetes Leben gerät aus den Fugen: er versucht um jeden Preis, seine Schwester in Sicherheit zu bringen und die Öffentlichkeit über den brutalen Krieg zu informieren. Als seine Existenz in Berlin am Abgrund steht, muss er sich fragen, wo er hingehört. (Quelle: Across Nations Filmverleih)

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