Stereo

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Abgrundtief böse

Was für eine Wucht entfaltet der Film schon in seinem Vorspann. Ein Molotowcocktail wird gezündet, ein Feuer flammt auf und verbrennt förmlich die eingeblendeten Porträts der Darsteller, dazu eine dunkle, unheilverkündende Musik: Dieser Film ist böse, abgrundtief böse. Und fängt mit einer rasenden Motorradfahrt durch hügelige Landschaft an, das Gefühl von Freiheit in gedämpftem, gezähmtem Habitus. Alsbald schreibt ein Polizist einen Strafzettel wegen Rasens aus für den Fahrer Erik (Jürgen Vogel); nicht das erste Mal.
Erik ist leidenschaftlicher Motorradschrauber mit kleiner Werkstatt, hat seit neuestem eine sehr nette Freundin, Julia, mit goldiger Tochter, Linda. Es ist alles gut. Nicht einmal der Polizist, der sich als Vater von Julia herausstellt, mag der Liebe im Wege stehen. OK: auf Eriks Unterarm ist „Halunke“ eintätowiert, von einer vorüberfahrenden Wohnwagenkolonne aus wird er scharf fixiert und eine dunkle Gestalt in Kapuzenshirt beobachtet ihn… Soll das das Glück zerstören, das sich Erik gerade aufbaut?

Maximilian Erlenwein ist nicht naiv. Was als geisterhafte Erscheinung im Hintergrund auftaucht, entpuppt sich alsbald als handfester Grund zur Besorgnis: rückt immer näher heran an Erik, stellt sich als Henry vor — und für Erik wie den Zuschauer ist klar, dass es sich um eine Halluzination handelt, um ein schizophrenes Einflüstern von gar nicht so guten Ideen. Moritz Bleibtreu spielt diesen Henry, und auch hier ist Erlenwein nicht naiv: Mit vollem Ernst besetzt er seine Rollen mit den besten, die dazu passen, ein richtiges type casting: Vogel mit dunkler Vergangenheit und undurchdringlichem Verhalten; Bleibtreu als unflätiger Schatten und räudiger Hund; später kommt Georg Friedrich dazu, der sadistische Oberbösewicht mit seinem souverän ausgespielten Hang zur beiläufigen Gewaltausübung. Und Erlenwein führt diese Figuren mit ihren Darstellern, fast Klischees, in Bereiche, die noch nicht betreten wurden, in eine Düsternis und Grausamkeit, in ein hirnwindungsverdrehendes Spiel mit Identitäten, mit Charaktereigenschaften, mit Lüge und Wahrheit.

Erik ahnt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Er geht zum Arzt — die Notaufnahme der Psychiatrie als ein trostloser Ort der Spinner, mit einem Arzt, der Erik ganz genau versteht. Und der einen ungewöhnlichen Rat parat hat: Eine Russin soll Erik heilen, sie hat gewisse Fähigkeiten, in denen Hypnose und Akupunktur genauso ihre Rolle spielen wie magisches Gedankenlesen und Exorzismus. Auf unmerkliche Weise lässt Erlenwein seinen Film in eine Unwirklichkeit rutschen, die sich innerhalb der Welt der Figuren ganz real anfühlt, die es vielleicht auch ist. Immer manipulativer wird Henry, immer drängender auch Gaspar, der auftaucht als weiterer Geist der Vergangenheit, eine Vergangenheit, die Erik nicht kennt. Oder die er vergessen hat? Die er nicht mehr kennen will?

Er steckt mittendrin in einem Rachefeldzug, der mit allen Mitteln gegen ihn geführt wird; und im Kampf mit sich selbst, mit Henry. Auch hier aber ein neuer Schachzug: Wie Erik Henry zu integrieren sucht in seinen Alltag, als imaginären Freund, wie auch die kleine Linda eine imaginäre Freundin hat… Doch es hilft alles nichts. Die Reise in die Katakomben der Hölle ist gebucht, seit langer Zeit schon. Und Erik muss sie antreten, Erik, der früher Zille hieß und eine Größe der Unterwelt war. Erik, der zur Zielscheibe wurde, ohne richtig zu wissen, warum. Erik, der sich von seinem dunklen Ich Henry helfen lassen muss. Erik, der an den Rand der Erkenntnis geführt wird, dahin, wo die Klarheiten verschwimmen, die Moral und die Identitäten: Was ist seine wahre Natur? Ist er der Bösewicht?

Mit kompromissloser Gewalt geht Erlenwein vor, lässt diesen Erik ebenso sicher mit Waffen und mit seinen Fäusten sprechen, wie er zuvor liebevoll mit Linda gespielt und sich mit seiner Freundin Julia geliebt hat — Filmbrutalität im Graubereich zwischen Realismus und Fantasy, zwischen echtem Leiden und blutigem Spektakel. Eine weitere Drehung der Schraube in der Inszenierung der Ambivalenz.

Ziemlich radikal ist Stereo, und damit verstörend, ein Psychothriller, in dem so etwas wie eine heile Welt niemals real werden kann. Und in der ein Polizist als Vertreter eines Systems erscheint, das nichts mehr zu sagen hat. Eine Akupunkturnadel im Nacken blockiert Eriks wilde Triebe. Denn das Böse ist das Normale und muss aufwändig, mit allen Mitteln der Psyche, ja der Magie, zurückgedrängt werden. Und manchmal muss man es freilassen, muss freie Hand gewähren dem, was wirklich in uns steckt. Mit allen Konsequenzen.

Stereo

Was für eine Wucht entfaltet der Film schon in seinem Vorspann. Ein Molotowcocktail wird gezündet, ein Feuer flammt auf und verbrennt förmlich die eingeblendeten Porträts der Darsteller, dazu eine dunkle, unheilverkündende Musik: Dieser Film ist böse, abgrundtief böse.
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Meinungen

Auch ein Filmschauer · 12.07.2014

Lieber Herr 'Filmschauer', "zu brutal" und "teilweise asoziale Sprache" sind also Indizien für einen schlechten Film? Objektivität ist wohl nicht Ihr Ding...

Im Gegensatz zu Herrn Mühlbeyer (dem Verfasser dieser Rezension) - Sie sprechen (schreiben) mir aus der Seele!

wignanek-hp · 07.04.2014

Nichts für schwache Nerven, aber ein grandioser Film! Ich hoffe, wir werden in Zukunft noch mehr von Max Erlenwein zu sehen bekommen.

Lobend · 21.02.2014

Das ist ein sehr guter Film!!! Hat aber nichts mit Schizophrenie, sondern mit der mißglückten Verdrängung einer traumatischen Erfahrung/Vergangenheit zu tun. In der Psychiatrie sitzen übrigens keine Spinner, Herr Harald Mühlbeyer, das ist diskriminierend! Haben Sie schon mal mit solchen Leuten geredet? Ein paar Vorkenntnisse in Psychopathologie sind meiner Meinung nach eine gute Voraussetzung, um diesen Film wirklich zu verstehen. Denn solche Phänomene der "Abspaltung" gibt es wirklich und treten meist nach gewaltsamen bzw. traumatisierenden Erlebnissen auf. So, wie im Film ja auch.

Filmschauer · 20.02.2014

Sehr schlechter Film. Zu brutal und teilweise asoziale Sprache.