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Claire Denis zeigt uns in der tropischen Hitze von Nicaragua, wie man das Genre der Abenteuer-Romanze von Innen nach Außen stülpen kann – und sie beweist damit erneut, dass sie zu den wichtigsten Filmautor*innen der Gegenwart zählt.

Stars at Noon (2022)

Eine Filmkritik von Simon Stockinger

Sinnliche Uneindeutigkeit

In der ersten Einstellung geht einem elektrischen Plastikbaum das Licht aus, während im Hintergrund echte Palmen unter zugezogenem Himmel schaukeln. Ein Bild, das zur Metapher drängt. Steht es für die Situation Nicaraguas am Vorabend seines politischen Zusammenbruchs? Oder, größer noch, für das Scheitern von Zivilisation vor dem Hintergrund einer indifferenten Natur? Oder steht es für das endgültige Untergehen der US-amerikanischen Journalistin Trish (Margaret Qualley), der Protagonistin, die als Fremdkörper in dieser Region weder etwas erreichen noch ihr entfliehen kann?

Solche Gedanken verfehlen Claire Denis’ Stars at Noon zum Glück vollends. Nach 137 Minuten wird der Baum einem sinnlichen Bilderrausch angehören, der sich gegen das Aufgehen in billigen Allerweltsmetaphern sperrt. Und das, obwohl die auf einem Roman von Denis Johnson (1986) beruhende Story großes Potenzial für einen plakativ-romantischen Crowdpleaser hätte, wo sich schöne, gestrandete Privilegierte vor dem Hintergrund einer postkolonialen Zerfallskulisse durch ein Militär-, Korruptions- und Geheimdienstchaos kämpfen. Es fehlt auch tatsächlich nicht an Haut, Schweiß, Rum, Zigaretten – und Sex. Denis weiß aber diese motivische Konstellation ganz nach Maßgabe ihres fragend-tastenden Kinodenkens zu modellieren beziehungsweise zu dekonstruieren, indem sie die spezifische Spannung der Ausnahmesituation in eine Erotik des Uneindeutigen transformiert, die den Puls dieses Films ausmacht.

Das betrifft zunächst die Heldin Trish, von der wir nicht einmal genau wissen, ob sie wirklich eine Journalistin ist oder bloß eine Gestrandete – ein Skype-Gespräch mit ihrem „Chef“ (John C. Reilly) deutet auf Letzteres. Das betrifft auch ihr Gegenüber, den geheimnisvollen, aber seltsam gebrochenen Businessmann Daniel (Joe Alwyn); und es betrifft natürlich die beginnende Lovestory zwischen beiden. Diese wird ein heiß-kaltes Wechselspiel durchlaufen, das jene distanzierte Nähe spiegelt, die Denis mit ihrem suchenden Gleiten über Oberflächen evoziert, sei es über nackte Haut, das Frühstücksbuffet im Luxushotel oder den Asphalt und das Glas der leuchtenden Großstadt. Wunderbar zugespitzt kommt die sinnliche Uneindeutigkeit zum Ausdruck, wenn Trish und Daniel in einer violett beleuchteten Bar tanzen, in einem Licht, das weder kühl noch warm ist. Dazu der inzwischen obligatorische Tinderstick-Sound (es ist Denis‘ fünfte Zusammenarbeit mit der britischen Band), diesmal mit einer ordentlichen Portion Jazz und ebenso oszillierend zwischen feurig und unterkühlt.

Denis‘ Filme verführen durch einen suchenden Blick und eine Nähe, die nicht schon vorab begrifflich kolonisiert und emotional präformiert ist. Dafür steht bereits ihr Durchbruchsfilm Der Fremdenlegionär (1999), der soldatische Männlichkeit und schwules Begehren im Rahmen eines unaufgeregt auf Performativität und Körperlichkeit fokussierten Fremdenlegions-Dramas verbindet. Denis schreckt auch nicht davor zurück, harten Genre-Stoff anzugehen und gemäß ihrem spezifischen Blick zu formen: Ihr brillanter Horrorfilm Trouble Every Day (2002) verbindet das Interesse für Körperlichkeit und Begehren im Rahmen eines eigenwilligen Takes auf die Erotik des Vampir-Motivs; und mit High Life (2018) wagt sie sich in die Gefilde der dystopischen Science Fiction, um dort wiederum zu der gleichen luzide-traumartigen Sinnlichkeit zu finden, die stets zurück zum Körper führt. Im ebenfalls heuer erschienenen Mit Liebe und Entschlossenheit (2022) erzählt sie ein Ehedrama im Gewand eines Thrillers und verstärkt mit den Mitteln des Spannungskinos den banalen Horror einer scheiternden Beziehung – wiederum nah am Körper, nah an der Haut. Bei etlichen ihrer Filme war diese Methode eines „Suchens-Verführens“ von der Zusammenarbeit mit der herausragenden Kamerafrau Agnès Godard geprägt. Stars at Noon ist der zweite Film, bei dem Éric Gautier (Into the Wild) hinter der Kamera steht und sich als würdiger Nachfolger Godards erweist.

Erfrischend an Stars at Noon ist übrigens die konsequente Verweigerung, sich auch nur in die Nähe der weiterhin um sich greifenden Retro-Manie zu begeben. Was in diesem Fall alles andere als selbstverständlich ist. Schließlich spielt die Romanvorlage in einer sehr spezifischen Zeit: während der Sandinistischen Revolution in Nicaragua 1984. Indem Stars at Noon auf diese historische Einordnung verzichtet, erhält der Film auch auf der politischen Meta-Ebene jene Uneindeutigkeit. Wir wissen nicht, was hier passiert, ob ein Bürgerkrieg droht, die Errichtung einer Diktatur bevorsteht oder doch deren Abwehr. Was gezeigt wird, ist eine schwelende Krisenlatenz, die sich auf viele Orte des globalen Südens übertragen ließe, wo Gewalt und zerfallende Strukturen auf die Interessen westlichen Kapitals treffen. Oder wie es ein Trish und Daniel bedrängender CIA-Mann (Benny Safdie) lapidar ausdrückt: Das hier sei ein „Paradies für Spieler“.

Selbst die Covid-19-Pandemie arbeitet Denis organisch, als Chiffre einer globalen Ausnahmesituation, in den Plot ein, ohne die Krankheit selbst zu thematisieren. Stars at Noon hält sinnlich am Zeitgeschehen fest, samt Maske und Smartphone, und besetzt damit automatisch einen Gegenstandspunkt zur rückwärtsgewandten Verklärung, die die Film- und Pop-Kultur heimsucht. Wir lernen von Denis damit einmal mehr, dass Kino nicht auf bereits festgezurrte Abruf-Emotionen setzen muss. Und das ausgerechnet anhand dieser Abenteuer-Romanze auf Abwegen. Eine Meisterinnenleistung.

Stars at Noon (2022)

Nicaragua im Jahre 1984: Ein englischer Geschäftsmann beginnt eine Romanze mit einer eigensinnigen, US-amerikanischen Journalistin. Beide sind in ein Labyrinth aus Lügen und Verschwörungen verstrickt. Um diesem zu entkommen, versuchen sie gemeinsam aus dem Land zu fliehen und machen sich auf den Weg in Richtung Grenze.

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