Special Flight

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Ausschaffungsknast

Es gibt Worte, die klingen viel zu harmlos für das, was sie bedeuten. Der Schweizer Ausdruck „Ausschaffung“ beispielsweise. Was könnte man sich unter diesem Begriff nicht alles vorstellen – die Wahrheit indes ist viel brutaler, schließlich bezeichnet das Wort jenen Vorgang, den man in Deutschland als Abschiebung bezeichnet.
Der Schweizer Regisseur Fernand Melgar widmet sich in seinem Film Special Flight / Vol spécial, mit dem das Dokumentarfilmfestival DOKLeipzig 2011 eröffnete, einem Ausschaffungsgefängnis in Genf. Neben 28 kantonalen Gefängnissen, die sich neben dem herkömmlichen Strafvollzug auch der so genannten Administrativhaft widmen, ist das Frambois ein Sonderfall und einzig und allein dazu bestimmt, „illegale Ausländer“ während der bis zu zwei Jahren währenden Zeit bis zur endgültigen Abschiebung zu verwahren.

Der Titel gebende Spezialflug ist, wie wir am Anfang am Beispiel des aus dem Kosovo stammenden Ragip erfahren, die letzte Option der Ausschaffung. Die anderen beiden Möglichkeiten, die sich den Bewohnern von Frambois bieten, ist die Entlassung (was allerdings nichts anderes als ein frommer Wunsch sein dürfte) oder ein regulärer Flug in die alte Heimat. Den aber können die Asylbewerber einmalig verweigern, um dann nach einer quälenden Zeit der Ungewissheit mit einem Spezialflug abgeschoben zu werden.

Dabei geht Melgar keineswegs polemisch oder scharf kontrastierend vor, sondern begleitet die Bewohner des Ausschaffungsgefängnisses mit ebenso viel Anteilnahme wie die Angestellten dort. Sein Film ist vor allem eine nüchterne Bestandsaufnahme des Alltags in Frambois, er erkundet die Beziehungen zwischen den Insassen und dem Aufsichtspersonal, zeigt mit viel Sinn für Details und beeindruckend statischen Einstellungen, die die Starrheit und Inflexibilität des Systems betonen, die verzwickten administrativen Akte, das aufeinander aufbauende Procedere, das zwar der Gesetzeslage genügen mag, das aber die Betroffenen systematisch demütigt, entwürdigt und zu reinen Verwaltungsakten degradiert. Zwar versucht das Aufsichtspersonal, dieser kalten Entmenschlichung mit Wärme und Fürsorge zu begegnen, doch die Spirale der Maßnahmen und die Hoffnungslosigkeit setzen dieser Mitmenschlichkeit enge Grenzen.

Am Ende des Films zeigt sich die Unmenschlichkeit der Abschiebungsprozedur in ganzer Härte: Während eines Ausschaffungsfluges, bei dem auch einige Bewohner von Frambois in ihre afrikanische Heimat geflogen werden, verstirbt der 29 Jahre alte Joseph Ndukaku Chiakwa an den Folgen der Fesselung. Ein Ereignis, das die Bewohner von Frambois ebenso schockt wie die Aufseher und das in der Schweiz für heftige Diskussion über die Ausschaffungspraxis sorgte.

Für Fernand Melgar schließt sich mit diesem Film gleich in mehrfacher Hinsicht ein Kreis: In La Forteresse (2008) hatte er ein Aufnahmezentrum für Asylsuchende gefilmt, in Special Flight hingegen geht es um diejenigen, die in der Schweiz keine Zukunft und keine Hoffnung mehr auf Aufnahme haben und die zurück in ihre Heimat gebracht werden sollen. Darüber hinaus aber berührt der Film auch Melgars eigene Geschichte: Seine Eltern stammen aus Spanien, 1963 kamen sie als so genannte „Saisonniers“ in die Schweiz und holten ihren Sohn später illegal zu sich – was für das Kind ein Leben innerhalb der eigenen vier Wände bedeutete. Zu groß war die Angst davor, entdeckt zu werden. Die Eltern kehrten viele Jahre später zurück nach Spanien, Fernand Melgar aber konnte bleiben. Dennoch haben ihn die Erinnerungen an damals geprägt, zum zweiten Mal schon setzt er sich intensiv damit auseinander, wie die Schweizer mit Asylsuchenden umgehen.

Für seinen beeindruckenden Film erntete Melgar in der Schweiz viel Lob, der Film avancierte in den Kinos des Landes zu einem Überraschungserfolg, der alle amerikanischen Produktionen, die aktuell auf den Leinwänden zu sehen sind, überholte. Doch es gibt auch Kritik, und zwar von jeweils entgegengesetzten politischen Lagern. Während dem Film von manchen Zuschauern (unter anderem vom Jury-Präsidenten beim Filmfestival von Locarno Paolo Branco) aufgrund seiner ausgewogenen Haltung faschistische Tendenzen vorgeworfen werden, agitiert andererseits auch das nationalistische Lager gegen Special Flight.

Derzeit arbeitet Melgar an einem Webprojekt, das die weiteren Lebenswege der Protagonisten des Films weiterverfolgt und Auskunft darüber erteilt, wie es ihnen in der Zwischenzeit ergangen ist.

Special Flight

Es gibt Worte, die klingen viel zu harmlos für das, was sie bedeuten. Der Schweizer Ausdruck „Ausschaffung“ beispielsweise. Was könnte man sich unter diesem Begriff nicht alles vorstellen – die Wahrheit indes ist viel brutaler, schließlich bezeichnet das Wort jenen Vorgang, den man in Deutschland als Abschiebung bezeichnet.
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