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Es ist an der Zeit, Sichtbarkeit zu schaffen und die Stimme zu erheben. Es ist an der Zeit, dass Schwarze Frauen selbst definieren, was eine Schwarze weibliche Perspektive ausmacht. Es ist Zeit für: „Speak up!“

Speak Up (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Identitätssuche

In Frankreich darf der Staat weder die Religionszugehörigkeit noch die ethnische Herkunft erfassen. Man spricht dort nicht von Afro-Franzosen oder „noir français“, weil die französische Republik nicht anerkennt, dass es verschiedene Hautfarben gibt. Das mag auf dem Papier gut klingen, jedoch erlaubt es diese Haltung auch die Probleme zu ignorieren, die afrodescendant oder afropéen in Frankreich haben.

In ihrem Dokumentarfilm Speak up! hat Amandine Gay mit Schwarzen Frauen gesprochen, die in Frankreich oder Belgien leben. Formal ist dieser Dokumentarfilm auf den ersten Blick eher schlicht: Überwiegend besteht er aus talking heads. In thematisch gegliederten Gesprächen, die jeweils mit einem in schwarzen Buchstaben auf weißem Grund wiedergegebenen Zitat eingeleitet werden, berichten Schwarze Frauen von ihren Erlebnissen und Erfahrungen. Jedoch geht die Kamera immer wieder sehr nah an diese Frauen heran und im Zusammenspiel von Wort und Bild entsteht sehr schnell eine Intimität, die über die zwei Stunden Laufzeit anhält. 

Am Anfang des Films steht die Frage, wann die interviewten Frauen das erste Mal damit konfrontiert wurden, dass sie Schwarz seien – und fast alle erinnern sich an ein Schlüsselerlebnis, das zumeist in sehr jungen Jahren stattgefunden hat. Als sie drei Jahre alt war, sagte ein anderes Kind. Sie sei hässlich, weil sie schwarze Haut habe, erzählt eine der Frauen, deren Namen – wie der von allen Frauen – erst am Ende im Abspann zu lesen ist. Auch die anderen Erzählungen der Frauen beziehen sich darauf, dass die Erkenntnis, dass sie Schwarz und damit „anders“ seien, niemals in einem positiven Kontext stattfanden. 

Schon hier wird zum ersten Mal deutlich, wie sehr gesellschaftlichen Erwartungen und Vorurteile das Leben der Schwarzen Frauen prägen. Die (gesellschaftliche) Norm ist der weiße Mensch, als Schönheitsideal wird eine Frau mit weißer Haut und glatten Haaren gesehen, die im Wind wehen. Schwarze Frauen, Schwarze Menschen sind hingegen im öffentlichen Diskurs weitgehend unsichtbar. Damit wird die Auseinandersetzung mit dem eigenen Aussehen, mit der eigenen Identität hochgradig belastet. Wenn es kein Vorbild gibt, keinen Menschen in der Werbung oder in den Medien, der ein wenig so aussieht wie man selbst, wo verortet man sich selbst?

Hinzu kommt die permanente Auseinandersetzung mit Erwartungen: Beständig habe man das Gefühl, das eigene Verhalten so auszurichten, dass Vorurteilen widersprochen werde, konstatieren alle Frauen. Daher müsse man besonders fleißig, pünktlich und ordentlich sein. Die Eltern wollen ihrem Kind ein besseres Leben bereiten, sie erwarten, dass es gut in der Schule ist, sehen Bildung als Schlüssel zum Aufstieg. Doch wie besteht man in einem Schulsystem, das man nicht von innen kennt? Ohne eine Vertrauensperson, einen Lehrenden, der einem hilft, sei das kaum zu schaffen, darüber sind sich die Interviewten einig. 

In allen Lebensphasen stoßen die Frauen, die hier offen sprechen, auf Barrieren und Vorurteile. Dazu gehören Männer, die eine „Schwarze Frau“ daten wollen, den Menschen dahinter aber nicht sehen. Chefs, die von ihren Angestellten im Call Center glatte Haare erwarten. Mütter, die nicht akzeptieren können, dass ihre Tochter lesbisch sei – Homosexualität sei etwas für Weiße, ebenso wie Depressionen. Wohin geht man, wenn man tatsächlich Depressionen hat? Und wie sollen weiße Therapeuten die Erfahrung verstehen, die man als Schwarzes Mädchen in Frankreich macht? 

Die Erzählungen der Frauen offenbaren tiefe Einblicke, zudem wird deutlich, dass sich dringend etwas ändern muss. Sie sind sich einig, dass man beispielsweise in Frankreich endlich über die Ethnizität reden muss. Solange es keine Statistiken und Untersuchungen dazu gibt, kann man die Probleme ignorieren, sie ins Unsichtbare schieben. Dabei führt auch der Vorwurf des Kommunitarismus in die Irre: Es geht darum, etwas zu ändern. Und das geht nur, wenn man weiß, wo die Probleme liegen. 

Deshalb ist es wirklich an der Zeit, die Stimme zu erheben und lauter zu werden. Und mit Speak up! wurde ein deutlicher, sehr aufschlussreicher Anfang gemacht.

Speak Up (2017)

Durch „Speak Up“ erheben europäische Schwarze Frauen ihre Stimme: Der Film konzentriert sich dabei auf die kollektiv erlebte Diskriminierung Schwarzer Frauen und den Kampf, sich das allgemein geltende Narrativ anzueignen: Also selbst zu definieren, was eine schwarze weibliche Perspektive ausmacht!

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