Snow Cake

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eiseskälte und Herzenswärme

Filme, denen die Ehre zuteil wird, ein großes Festival zu eröffnen, müssen aus einem ganz besondern Holz geschnitzt sein: Sie müssen hinreichend prominent besetzt sein, um dem Festival gleich zu Beginn ein Ausrufezeichen als ambitioniertes Projekt zuteil werden zu lassen. Gleichzeitig aber muss neben dem Promi-Status für die lieben Medienvertreter aus dem Boulevard-Bereich auch an die Zielgruppe der sowieso immer nur rumnörgelnden Filmkritiker gedacht werden, denen intellektueller Anspruch selbstredend über alles geht. Und nicht zuletzt ist da noch das liebe Publikum, das wiederum in ganz anderen Kategorien denkt und vor allem (gut) unterhalten werden will. Auf gut Deutsch: Den richtigen Eröffnungsfilm für ein Festival zu finden ist ungefähr so einfach wie die Erfindung der Eier legenden Wollmilchsau und gilt dementsprechend als hohe Schule der Programmgestaltung – eine Hürde, die mancher gewiefte Festivalleiter schon souverän gerissen hat. Kein Wunder also, wenn der jeweilige Eröffnungsfilm zur Berlinale mit besonderer Spannung erwartet wird – mit Snow Cake bewies das Team um Dieter Kosslick in diesem Jahr ein gutes Händchen. Kein Film, der den folgenden Wettbewerb überstrahlt hätte, aber ambitioniertes Kino mit der richtigen Mischung, um die Erwartungen anzuheizen.
Der schweigsame Ex-Häftling Alex ist gerade aus England im winterlichen Kanada angekommen, als er an einer Raststätte die aufgekratzte Anhalterin Vivienne (Emily Hampshire) aufliest und mitnimmt. Die junge Frau will zu ihrer Mutter nach Wawa am Lake Superior, doch die Reise der beiden wird von einem tragischen Unfall überschattet: Ein Sattelschlepper rammt den Leihwagen von Alex und tötet die Anhalterin, während der Fahrer verletzt überlebt. Schuldbewusst macht sich Alex auf den Weg zu Viviennes Mutter, um ihr sein Beileid auszudrücken. Doch Linda (Sigourney Weaver) nimmt die Nachricht vom Tod ihrer Tochter ohne jegliche Gefühlsregung auf und achtet stattdessen peinlich genau auf die Einhaltung bizarrer Regeln, die sie sich selbst auferlegt hat: So müssen alle Schuhe fein säuberlich in Reih und Glied stehen und Fremden ist es verboten, die Küche zu betreten. Spontan entschließt sich Alex dazu, den Besuch bei Linda bis zur Beerdigung Viviennes auszudehnen, denn irgendetwas ist hier offensichtlich nicht in Ordnung.

Fasziniert beobachtet der Ex-Sträfling die verschrobene, kleine Welt Lindas, weiß seine Beobachtungen aber nicht einzuordnen. Erst von Lindas attraktiver Nachbarin Maggie (Carrie-Ann Moss) erfährt Alex dass Linda eine so genannte „funktionale Autistin“ ist, die ihre Gefühle nicht ausdrücken kann und die deshalb andere Ventile etabliert hat. Schließlich beginnt der Fremde eine leidenschaftliche Affäre mit Maggie, doch er kommt auch Linda näher und dringt tiefer und tiefer in ihre Welt ein. Und so kommen auch in Alex’ Gedanken Dinge in Bewegung, die der schweigsame Mann viele Jahre lang begraben hatte…

Mitunter überraschend humorvoll nähert sich Marc Evans in seinem kammerspielartigen Film Snow Cake der Krankheit Autismus an, wohl wissend, dass Rain Man eine hohe Meßlatte ist. Denn aufgrund des Themas Autismus denkt natürlich jeder sofort an Barry Levinsons Film aus dem Jahr 1988, der Dustin Hoffman immerhin einen Oscar als bester Hauptdarsteller einbrachte. Trotz des gleichen Themas ist Snow Cake aber ein vollkommen anderer Film geworden, behutsamer und subtiler führt er an das Thema Autismus heran und doppelt es, indem er der Autistin einen ebenso traumatisierten Alex (hervorragend gespielt von Alan Rickman) an die Seite stellt – einen Mann, der seine Gefühle mindestens ebenso sehr unter Verschluss hält wie Linda. Und obwohl Alex der vermeintlich Normale ist, lernt er aus der Begegnung einiges, das ihm auf seinem weiteren Lebensweg helfen wird. Eine versöhnliche Botschaft also, die der Film ohne falsche Sentimentalitäten und mit viel Herzenswärme transportiert. Als einziges Manko des Films erweist sich die Liebesgeschichte zwischen Alex und Maggie, die es wahrhaft nicht gebraucht hätte, um unter der eisigen Fassade die verschütteten Emotionen der wirklich großen Themen Trauer, Tod, Verlust und Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit zu verspüren.

Snow Cake

Filme, denen die Ehre zuteil wird, ein großes Festival zu eröffnen, müssen aus einem ganz besondern Holz geschnitzt sein.
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Meinungen

Michaela · 26.01.2008

Ein wunderschöner, emotionaler Film für einen ruhigen Sonnntag-Nachmittag.
Alan Rickman ist überzeugend, Sigourney Weaver naja, man nimmt ihr den Charakter nicht ganz ab, wohl, weil sie m.E. etwas zu positiv dargestellt wird, aber es wird wohl seine Berechtigung haben.
Ich finde es schade, daß einige der "Deleted Scenes" es nicht in den Film geschafft haben, weil ich denke, daß besonders die McDonalds-Scene und die Gewehr-Scene wichtig gewesen wären.

Andy · 14.04.2007

dieser film is der beste den ich jeh gesehen habe zwar nur auf englisch aber einfach wundervoll ...Dazlious XD

Freakysilke · 19.11.2006

"Snow Cake" ist ein wunderschöner, tiefgehender, lustiger Film. Alan Rickman, einer der besten derzeitigen Schauspieler, spielt großartig! Genauso wie die Darstellung von Weavers. Sie spielt die Rolle der Autistin sehr realistisch. Ich kann den Film jedem empfehlen. Was allerdings schade ist, dass die deutsche Version ca. 10min kürzer ist als die Englische. Das habe ich gemerkt als ich mir den englischen Trailer angesehen habe und selbst dort Szenen vorkamen, die im Deutschen film nicht vorkamen. Schade. Trotzdem 5/5 Punkten!

Meier · 05.11.2006

"Snow Cake" ist ein schöner Film, und Alan Rickman ist großartig. Aber Sigourney Weavers Darstellung ist entsetzlich aufgesetzt und künstlich. Eine unausgewogene Mischung aus Gilbert Grape und Rain Man.
Schade drum.