Log Line

Marija Kavtaradze blickt in „Slow“ mit liebevollem Blick auf ein Paar, bestehend aus einer sinnlichen Frau und einem asexuellen Mann.

Slow (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Slowing down the tune

Die Darstellung von Sex im Kino ist bis heute mit Tabus verbunden. Dennoch ist er sehr präsent: mal als Gag, mal als Versprechen, mal als Provokation. Irritierender als die expliziteste Sexszene oder die albernste sexuelle Anspielung ist indes womöglich das Asexuelle – also die Existenz von Figuren, die einfach kein Verlangen nach sexueller Interaktion verspüren. Die den Sex nicht aus weltanschaulichen, religiösen, gesundheitlichen oder anderen Gründen ablehnen (müssen) oder nicht (mehr) dazu imstande sind (wodurch er als unterdrückter Wunsch oder als Erinnerung eventuell immer noch anwesend wäre) – sondern die schlichtweg kein Interesse daran haben.

In der Sexualforschung wird Asexualität als eine weitere sexuelle Orientierung angesehen, bei der es – wie bei jeder sexuellen Orientierung – fließende Übergänge gibt. Die Sichtbarkeit asexueller Menschen in Filmen ist jedoch extrem gering. Zu den wenigen Ausnahmen zählen die nur mäßig gelungene US-Indie-Komödie The Olivia Experiment (2012) von Sonja Schenk und das einfühlsame dokumentarische Werk (A)sexual (2011) von Angela Tucker, in dem diverse Personen, die sich als asexuell definieren, zu Wort kommen.

Die litauische Drehbuchautorin und Regisseurin Marija Kavtaradze erzählt nun mit Slow eine Liebesgeschichte, in der eine der beiden zentralen Figuren asexuell ist. Sie beutet dies nicht für Cringe-Comedy-Momente aus, noch überspitzt sie die Konflikte zu einem großen Drama. Es gehe in erster Linie „um Selbstakzeptanz und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen“, meint Kavtaradze in einem Interview. Der Film lässt seine beiden Hauptfiguren die Frage stellen, wie eine Beziehung zwischen einem asexuellen Mann und einer heterosexuellen Frau funktionieren könnte – unter Berücksichtigung der Grenzen und der Bedürfnisse beider Parteien.

Die Tanzlehrerin Elena (Greta Grinevičiūtė) lernt den Gebärdensprachdolmetscher Dovydas (Kęstutis Cicėnas) bei einem Kurs für gehörlose Jugendliche kennen. Von Anfang an ist da eine tiefe Sympathie, eine stimmige Chemie. Die beiden verbringen Zeit miteinander, bis es beinahe körperlich wird. „Ich fühle mich sexuell zu niemandem hingezogen“, erklärt Dovydas der zunächst recht konsternierten Elena. Allmählich begeben sich die beiden auf die Suche nach Wegen, ihre starken Gefühle füreinander zum Ausdruck zu bringen.

Zusammen mit ihrem Kameramann Laurynas Bareiša und dem wunderbar empathisch spielenden Leinwandpaar entwickelt Kavtaradze eine ganz eigene Sprache der Intimität, etwa durch Blicke, durch Worte, durch die Berührung der Hände. Von großer Bedeutung ist dabei nicht zuletzt der Tanz. Auf einer Hochzeitsfeier, die Elena und Dovydas besuchen, beginnt Dovydas, betont linkisch zu tanzen – im Bewusstsein, von allen anderen angeschaut zu werden. Elena zeigt zunächst Hemmungen, ihn auf die Tanzfläche zu begleiten, lässt sich aber schließlich darauf ein. In anderen Sequenzen wird im Tanz mit anderen Männern wiederum erkennbar, dass sich Elena nach sexuellen Begegnungen sehnt.

Slow ist ein ausgesprochen zarter Film, voller Respekt und Feinsinn. Auf seine Weise bricht er Tabus, indem er sich mit einem Sujet befasst, das bei aller Offenheit, die sich das Kino in der heutigen Zeit zu erarbeiten versucht, immer noch als schwer erzählbar zu gelten scheint. „You wanna get there soon / I wanna get there last“, singt Leonard Cohen in seinem Song Slow, den die Regisseurin als Titelinspiration nennt. Durch eindrückliche Behutsamkeit hat sie ein Werk geschaffen, das etlichen Love-Storys meilenweit voraus ist.

Slow (2023)

Als sich die Tänzerin Elena und der Gebärdendolmetscher Dovydas kennenlernen, weil er in einem ihrer Kurse für gehörlose Schüler übersetzen soll, fühlen sie sich vom ersten Moment an zueinander hingezogen. Da sich Dovydas jedoch als asexuell bezeichnet, müssen sie in ihrem Liebesleben gemeinsam herausfinden, wo sie die Grenzen zu dem überschreiten, was für ihn Sex ist.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen