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Libanesisch, weiblich, queer – und eine Thrash-Metal-Band: „Sirens“ porträtiert die erste weibliche Metal-Band in Nahost, zeigt die homophobe Gesellschaft, die instabile Lage, die korrupte Elite – und die Kraft der Musik.

Sirens (2022)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Heavy Metal gilt als weiß, britisch, männlich, sehr straight. In dieser Doku jedoch steht die Thrash-Metal-Band „Slave to Sirens“ steht im Mittelpunkt: fünf Frauen aus dem Libanon, die erste weibliche Metal-Band in Nahost – und offen lesbisch. Im Libanon, wie gesagt. Wo auf „widernatürliche sexuelle Beziehungen“ bis zu ein Jahr Haft steht.

Regisseurin Rita Baghdadi, Amerikanerin, hat sich genau dafür interessiert: Frauen, Nahost, ganz schwermetallige Musik. Und einfach mal einen Film gemacht, mit kleinem Team diese Band begleitet, deren Musik als logische Konsequenz der unsäglichen Lebensumstände erscheint. In einer Region, die seit Generationen politische und gesellschaftliche Instabilität beherrschen, wo die Ängste von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden und immer neue Ängste dazukommen, kann Metal erwachen – eigentlich viel eher hier als im Wandel von Industrie zu neoliberalen Strukturen im Großbritannien der End-70er, um mal das große soziologische Fass aufzumachen. 

Die explosive Stimmung im Libanon erhielt seine gültige Metapher in der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020. Der Film fängt ihre enorme Wucht ein – und kontrastiert sie geschickt mit der Wucht der Musik, die „Slave to Sirens“ auf der Bühne entfaltet. Immer wieder fließen Bilder von Protesten in den Film ein, Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Polizei, Wasserwerfer, Tränengas, Wut und Zorn. Immer wieder auch die erdrückende Situation von LGBTQ-Personen: Wer öffentlich etwas sagt, wird niedergerungen unter Blasphemievorwürfen. 

Diese Umstände bilden den Hintergrund des Bandporträts: Insbesondere Lilas steht im Mittelpunkt des Films; Mitte 20, Musiklehrerin, lebt bei ihrer Mutter – und Gitarristin bei „Slave to Sirens“. Die Band hat sich gegründet aus ihrer Bekanntschaft mit Sheri, Lead-Gitarre, die beiden waren ein Paar. Die Band hat eine große Zukunft vor sich, zumindest ist das die Hoffnung – eine Einladung nach Glastonbury flattert ins Haus, voll Freude, voll Aufregung geht es auf einen Trip nach England. Zu Beginn des Gigs: vier Headbanger vor der Bühne. Am Ende immerhin an die 40. Persönliche Spannungen, vor allem zwischen den Gitarristinnen. Beleidigungen, Trotz. Ausstieg aus der Band. Schmollen. Unversöhnlichkeit?

Die Bandmitglieder wissen um die Kamera, die sie begleitet. Meist sprechen sie Englisch miteinander, eben nicht nur unter sich, sondern auch fürs nicht-arabische Publikum des Films. Dass dennoch solch intime Einblicke ins Band-Innenleben gelingen, ist wohl der Einfühlsamkeit der Regisseurin zu verdanken und dem Vertrauen aller Beteiligten zueinander: Wir sind dabei, wenn ein neuer Song entsteht, Riff und Lyrics, Band-Arrangement – das ist musikalisch höchst spannend zu beobachten. Wir sind dabei, wenn Emotionen im Proberaum hochkochen, wenn Ideen aufkommen und schroff verworfen werden. Das sind große Momente, die die Kraft der Kreativität, die Emotionalität der Musik, die Persönlichkeiten der Musiker einfangen. In solchen Momenten geht es nicht um Herkunft, Geschlecht, sexuelle Neigung – denn darum sollte es ohnehin nie gehen, Bob Halford kann ein Lied davor singen.

Die Musik steht über den Dingen, über Protesten, über unfähiger Politik, über engstirniger Gesellschaft, über Druck der Religion, über den Ruinen, hinterlassen von jahrzehntelangem Quasi-Kriegszustand. Sie steht auch über den ständigen Stromausfällen, wenn’s wieder eine Sicherung raushaut: Das hat wenig mit der Lautstärke der Band im Proberaum zu tun. Vielmehr ist es ein weiteres Symbol für ein Leben am Rand des Abgrunds. Aber wenn schon am Abgrund, dann heftig und mit höchsten Wattzahlen!

Sirens (2022)

„Slave to Sirens“ ist eine Thrash-Metal-Band aus dem Stadtrand Beiruts. Die fünf jungen Frauen Lilas, Shery, Maya, Alma und Tatyana haben große Träume, doch in ihrer Heimat bieten sich ihnen nur wenige Chancen. Ein Auftritt auf einem britischen Musikfestival führt nicht zum ersehnten Durchbruch, zwischen Lilas und Shery kommt es zu allem Übel auch noch zum Zerwürfnis. Wird sich die Band wieder zusammenraufen können? (Quelle: Filmfest München 2022)

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