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Die Welt endet morgen früh. Doch vorher: Ein weihnachtliches Familienessen, der Kreis der Liebsten. Mit allen Zuneigungen, Abneigungen, Ängsten und Vorwürfen. „Silent Night“ ist ein selten finsterer Film, der sich daran aber selbst verschluckt.

Silent Night - Und Morgen Sind Wir Tot (2021)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Etikette am Ende

Hauptsache das Familienfest läuft noch geordnet ab und alle tun so, als wären sie nett zueinander. Morgen früh geht die Welt unter? Das ist ja noch lange kein Grund, jetzt aus der Haut zu fahren und den Champagner zu verschütten. Camille Griffins hervorragend besetzter Debütfilm „Silent Night“ nimmt ein abstraktes Ende der Menschheit zum Anlass für eine zutiefst hoffnungslose Abrechnung mit der Bequemlichkeit und Weltferne einer privilegierten Familie. Der Film hält sich dabei an eine erstaunlich konsequente Misanthropie. Und dann gehen ihm die Ideen aus.

Nell (Keira Knightley) und Simon (Matthew Goode) laden ihren engsten Familien- und Freundeskreis zu einem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest ein. Der außerordentlich attraktive Arzt James (Sope Dirisu) kommt mit seiner neuen, jüngeren Freundin Sophie (Lily-Rose Depp), Bella (Lucy Punch) mit ihrer Partnerin Alex (Kirby Howell-Baptiste) und die voll und ganz um sich selbst kreisende Sandra (Annabelle Wallis) mit ihrem sterbenslangweiligen Mann Tony (Rufus Jones) und der unausstehlichen Tochter Kitty (Davida McKenzie). Am nächsten Morgen steht das Ende bevor: Eine weltumspannende Giftwolke rollt auch auf das abgelegene, herrschaftliche Anwesen zu. Der einzige Ausweg ist ein schmerzloser Tod durch Tabletten, die allen Bürger*innen zuvor von der Regierung ausgehändigt wurden.

So sehr Nell und Simon sich auch bemühen, die Form zu wahren und für ein letztes Abendessen einfach so zu tun, als wäre nichts, als würde die Menschheit auch am nächsten Tag noch existieren und als ließen sich all die Risse und Animositäten in den alten Freundschaften durch ein bisschen Champagner und gutes Essen übergehen – der nahende Tod drückt doch irgendwie auf die Stimmung. Vor allem ihr Sohn Art (Roman Griffin Davis) will sich nicht damit abfinden, dass die Erwachsenen einfach aufgeben und den von der Regierung empfohlenen, schmerzlosen Freitod wählen. Die Giftwolke, so seine Überzeugung, ist eine Rache des Planeten für die von Menschen verantwortete Umweltzerstörung. Kitty und ihre Eltern dagegen wollen aus den Nachrichten gehört haben, dass „die Russen“ hinter der Wolke stecken. Den anderen ist es eigentlich egal, sie sind einfach froh, nicht zu denjenigen zu gehören, die keine Tabletten erhalten haben. Und nun genug Trübsal, stoßen wir an und schwelgen in alten Zeiten, ja?

Die Themen des Films sind sehr wörtlich abgesteckt: Die Menschheit hat es versaut und wird auf diesem Planeten nicht überleben. Schuld daran sind vermutlich besonders diejenigen Menschen, die mit großen Autos zu einem dekadenten Weihnachtsfestmahl in einem überdimensionierten Landhaus anreisen. Die Kindergeneration ist wütend, weil ihre Eltern sich mit der Situation abgefunden haben und immer wieder beteuern, dass ja nun niemand persönlich Schuld an der Giftwolke sei. Es ist schließlich alles in Ordnung, solange der Champagner für den Abend noch kühl ist und solange die Etikette einer funktionierenden Familienfeier gewahrt wird. Kurz: Solange es uns heute gut geht, kann die Welt morgen enden.

Zwischendurch brechen mit schwarzem Humor die Spannungen zwischen den verschiedenen Freund*innen auf. Sie wollen sich noch einmal alles sagen, was über die Jahre angestaut ist, können es aber nicht mehr, weil sie ehrliche Kommunikation irgendwann verlernt haben. Selbst in den Momenten jener pointierten Inszenierung der Abgründe, die sich auf jeder Familienfeier auftun, kommt Silent Night nicht aus einem tief verwurzelten Hass. Der Film kann seine eigenen Figuren nicht ausstehen, er findet nichts an ihnen, was zu mehr als Verachtung reichen würde, und inszeniert sie entsprechend schematisch entlang eindimensionaler Eigenschaften.

Die Reihe der großen thematischen Abstraktionen nimmt stattdessen überhand und lässt die Dynamiken zwischen den Figuren als austauschbares Beiwerk einer bissigen Familienkomödie in den Hintergrund treten: Kann der Regierung getraut werden, oder ist sie unfähig dazu, Lösungen zu finden? Weiß die Wissenschaft wirklich, was mit der Giftwolke ist, oder sollte man ihr lieber misstrauen? Sagen die Nachrichten die Wahrheit, oder lässt man es damit besser ganz? Mit welchem Recht zwingen Eltern ihre eigenen Kinder in den Tod, nur weil sie sich das als den einzigen Ausweg eingeredet haben? Warum verstecken alle sich in einer Weltsicht, die darauf basiert, an einen mehr oder weniger erträglichen Ausgang zu glauben?

Mit wachsender Finsternis zeigt Silent Night die Hilflosigkeit seiner Figuren im Angesicht des wirklichen und unausweichlichen Endes. Der Witz geht abhanden und es bleibt das Sterben. Mit den Diskussionen um das Vertrauen in Wissenschaft und Regierung betritt Silent Night dabei aber auch ein schwierig zu manövrierendes Terrain, wenn sein Konzept allein in gänzlich desillusionierter Misanthropie liegt. Da es keine zweite Idee neben dieser gradlinigen und stellenweise irritierend unnachgiebigen Verachtung gibt, gelingt es auch nicht, irgendeine Position oder Haltung darüber hinaus zu entwickeln. Schließlich scheint der Film selbst noch im letzten Moment vor seinem eigenen Zynismus zu erschrecken. Ohne irgendeine andere Perspektive bleibt dann am Ende überhaupt nichts mehr und Silent Night verliert sich in der selbst heraufbeschworenen Bedeutungslosigkeit.

Silent Night - Und Morgen Sind Wir Tot (2021)

Nell, Simon und ihr Sohn Art sind bereit, Freunde und Familie zu einem perfekten Weihnachtsfest zu empfangen. Perfekt, bis auf eine Sache: Alle werden sterben.

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Meinungen

Sarah · 11.10.2022

Das „Drama“ zwischen den Zeilen hat mich mehr mitgerissen, als das offensichtliche. Zum einen das hinterfragen der Medien, Einschätzungen von Experten und die Tatsache, dass Kinder oftmals nicht ernst genommen werden. Obwohl diese meist einen „weniger manipulierten“ und gesünderen Verstand besitzen, als manch Erwachsener. Hinzu kommt, die Tatsache, dass der Junge nicht selbst entscheiden durfte, wie er sterben wird. Mehrmals wurde über die Art zu sterben fremdbestimmt, anstatt die freie Wahl zu akzeptieren (messerangriff, ins Gewissen reden usw). Das Ende macht nochmal deutlich, dass es sich lohnen kann Schmerz in Kauf zu nehmen, anstatt den vermeintlich leichteren Weg (durch die Pille) zu wählen. Jedoch bringt dies wenig, wenn andere nicht ebenfalls bereit sind für eine minimale Überlebenschance, die Hoffnung siegen zu lassen und Schmerzen zu riskieren. Eine Frage die ich mir stellte war: wenn niemand Lust auf diese Konstellation hatte, wieso verbringen sie dennoch die letzte kostbare Zeit miteinander? Auch hier ist die Parallele zu der Realität gegeben. Wie oft verbringen auch wir Zeit mit Menschen, die uns nicht gut tun obwohl viel lieber etwas anderes machen möchten. Insbesondere zu Weihnachten (jedes Weihnachten könnte immerhin auch für uns das letzte sein). Ob aufgrund Erinnerungen, die uns verbinden oder familiäre „Verpflichtungen“ auch hier können wir selbst wählen. Zusammengefasst ein guter Film der tiefer geht als es scheint. Sehenswert!

Sebastian Dörr · 26.06.2022

Unfassbar schlecht...vollste Verschwendung von Lebenszeit!!!

Jens · 21.05.2022

Der Film ist meines Erachtens ein Kleinod im Bereich soziologischen Betrachtung einer Dystopie!

Eine letzte Weihnachtsfeier als Abschluss für das unvermeidliche Ende am darauf folgenden Tag ... (wirklich ein tatsächlich Ende?!). Wie verhalten sich Freunde und Familienmitglieder zueinander, wenn morgen der Tag X mit einem unvermeidbaren Tod vor der Tür steht? Wie geben sich sich die verschiedenen Generationen damit ab oder auch nicht? Misanthropisch geprägte Hoffnung eines Fortbestehen (glaube nicht alles / der Mensch ist fehlbar) vs. Hingabe zum Massenexodus

Die Protagonisten dieses Films bewegen sich zwischen 1* laienhaft (Kirby Howell-Baptiste) und 5* brillant (die drei Griffin-Davis Brüder). Der Film zeichnen durch die situativ tolerierte "sprachliche Verrohung" und "unverblümte Ehrlichkeit und Kritik untereinander" ein realistisches Bild ... mit einer gepfefferten Portion Sarkasmus und Humor.

Insgesamt ein guter, sehenswerter Film im Stil eines Kammerspiels ... das in der Gegenwart spielt und hinsichtlich Vergangenheit und Zukunft manches offen lässt!

Kinoheldin · 24.04.2022

Der Film ist grottenschlecht. Ich ärgere mich, dass ich dafür Geld ausgegeben und ihn zu Ende geschaut habe.
Wenn hier die Filmkritik gelesen hat, ist der wichtigste Handlungsstrang bereits vorweg genommen und somit vielleicht das bisschen Spannung, das im ersten Filmdrittel entstehen könnte, wenn man noch nichts von der drohenden Gefahr weiß bzw. dass es überhaupt um eine drohende Gefahr geht. Allerdings ist auch das völlig unglaubwürdig: Vermeintliche Freunde treffen sich vor dem Weltuntergang und das Thema wird lange Zeit nicht angesprochen.
Ich fand den Film auch nicht lustig. Er ist belanglos und doof. Und die künstliche Grimasse von Keira Knightly ging mir die kompletten 90 min auf die Nerven.
Das Ende ist völlig vorhersehbar.

Bolschok · 20.05.2022

Beängstigender krasser Scheiß, genau so läuft es zur Zeit: ein sinnlos zerstörerischer Krieg in der Ukraine, der zum atomaren dritten Weltkrieg auszuufern droht, während die Verantwortlichen uns mit ihrem Mangel an Nachgiebigkeit und Verhandlungswillen in den Untergang katapultieren. Die meisten kapieren nicht was läuft und rennen den falschen Führern ins Verderben hinterher, oder schreien kriegsgeil nach immer mehr Waffen. Unsere Freiheit wird von der NATO im taktischen Atomkrieg bis zum Tod verteidigt, tot aber frei, toll, zwar keine Todespillen, aber Jodtabletten liegen bereit....und mit der Botschaft, alles wird gut, wie im Film, werden wir auch ständig traktiert. Wir kommen aus dem Albtraum nicht mehr raus, rutschen aber Tag für Tag tiefer ins Desaster. Der Film soll das vielleicht auch den allerletzten Begriffsstutzigen vor Augen führen. Ein sinnloser ärgerlicher Film, genau so absurd wie die Kriege mit Massenvernichtungsmitteln, oder die zerstörerische Wirtschaftsweise, die der Menschheit von wenigen Skrupellosen Drahtziehern aufgezwungen werden. Nicht die Masse der Menschen hat Schuld, sondern die wenigen Superreichen unserer Welt, die den Rachen nicht voll genug bekommen in ihrer Gier nach Geld und Macht.

Cluedi · 22.05.2022

Danke, besser hätte ich das nicht ausdrücken können. Einfach nur traurig.

Sisiphos · 12.06.2022

Danke, guter Kommentar. Das blinde Vertrauen in eine Regierung, die uns nichts Gutes will. Wir sollten alle aufwachen und uns für den Frieden einsetzen, damit wir nicht untergehen.

Anonymous Artemis · 11.12.2021

Kein Guter Film und für die Besetzung ein bescheidenes Werk. Kann es nicht empfehlen, passt auch nicht ins Zeitgeschehen.

Henry · 10.12.2021

Seien Sie vorbereitet, dies ist der erste einer sehr wahrscheinlich langen Liste von Filmen, die uns darauf vorbereiten, das immer wahrscheinlicher werdende Ende der Welt "leicht anzugehen".

S. Meister · 17.12.2021

Bitte was? Ich hoffe das soll ein Witz sein. Glauben Sie wirklich die Regierung möchte uns im "Realen Leben" auf das Ende vorbereiten, da sie wissen was passiert?

BuntesElfengras · 21.12.2021

Ja echt…unfassbar. Jetzt kommen eben die Filme mit Klimawandel und Endzeit. Filmemacher brauchen das was gerade aktuell ist. Was soll die Regierung damit zu tun haben? MancheLeute hängen in irgendeiner Sci-fi-Schleife fest. Guckt den Film entspannt und lasst euch impfen und boostern und vermeidet Plastikmüll! 🤗

Blinklicht · 04.01.2022

Na das nenn ich mal lakonisch :).
Aber schon erstaunlich wie eine einzige Sekunde einen ganzen Film kaputtmachen kann.

Nicole · 04.12.2021

Ich fand diesen Film für die aktuelle Zeit und Situation erschreckend realistisch gemacht, obwohl ich persönlich das Ende vorausgesehen habe. Alles in Allem ein gut gemachter spannender Film mit einem speziellen Humor.