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Nach dem Skandal um das ‚weiße Haus‘ des mexikanischen Präsidenten Enrique Peña Nieto wird die Radiojournalistin Carmen Aristegui entlassen. Seither kämpft sie mit dem eigenen Internetauftritt gegen die Zensur und für eine freie Meinungsäußerung in Mexiko. Das zeigt der Dokumentarfilm “Silence Radio“.

Silence Radio (2019)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Unbestechlich

Was ist Meinungsfreiheit und wo hört sie auf? Für die mexikanische Radiojournalistin Carmen Aristegui ist die Freiheit ihrer Meinung essentiell und Grundvoraussetzung für ihren Beruf. In Mexiko allerdings ist die freie Meinungsäußerung nicht selbstverständlich, im Gegenteil. Carmen muss am eigenen Tun schmerzlich erfahren, wie es um die Presse- und Meinungsfreiheit in Mexiko bestellt ist – als sie mit ihrem Team nach einem kritischen Bericht entlassen und angeklagt wird.

Carmen Aristegui hatte zum Besitz des damaligen Präsidenten von Mexiko, Enrique Peña Nieto, recherchiert: Ein Haus, das von einem mexikanischen Konsortium bezahlt worden war, im Gegenzug für ein großangelegtes Bahnprojekt. „La casa blanca de Enrique Peña Nieto“, so betitelte Carmen ihren Bericht und machte mit der Enthüllung um das weiße Haus auf die Machenschaften des Staatsoberhaupts aufmerksam. Es entwickelte sich ein Korruptionsskandal, der Staatschef musste sich vor aller Welt entschuldigen und China, das ebenfalls am Hochgeschwindigkeitsprojekt beteiligt gewesen war, eine millionenschwere Entschädigung für das nicht zustande gekommene Geschäft bezahlen. Daraufhin kündigte der Radiosender MVS Carmen im März 2015 die langjährige und erfolgreiche Zusammenarbeit – mit fadenscheinigen Argumenten. Denn es war klar: Nach dieser Bloßstellung der Regierung wollte man die Journalistin nicht mehr beschäftigen.

Aber der Fall Carmen Aristegui beschäftigte die mexikanische Gesellschaft. Schon am Tag nach ihrer Entlassung demonstrieren die Menschen, und mehr als 200.000 Personen unterschreiben eine Petition und fordern Gerechtigkeit, Carmens Rückkehr zum Sender sowie das Ende der Zensur. Der Sender allerdings lässt nicht mit sich reden, und damit verschwindet „die wichtigste Stimme Mexikos“.

Filmemacherin Juliana Fanjul erlebte das alles mit, ein Schock auch für sie, denn Carmen Aristegui hatte, wie sie sagt, ihr eigenes politisches Verständnis entscheidend mitgeprägt. Sie suchte den Kontakt zur Journalistin und begleitete sie fortan auf ihrem Weg aus dem Untergrund zu berichten. Fanjul ist dabei, als Carmen einen Sitz für ihr Redaktionsteam sucht, den Senderaum ausstattet, weitermacht mit ihren Recherchen. Das Internet wird zum Medium der unabhängigen und unbestechlichen Radiojournalistin und zum Raum der freien Meinungsäußerungen fernab von Zensur und Medienkonzentration. Fanjul dokumentiert das alles, kommentiert und reflektiert aber auch immer wieder aus dem Off.

Die Regisseurin schafft es nicht nur, Carmens Vertrauen zu gewinnen und dadurch immer näher an ihr, ihrer Arbeit und der gefährlichen Situation für Journalisten im Land dran zu sein. Sie erzeugt in Silence Radio auch eine unheimlich dichte Atmosphäre, die einen von Anfang an wie gefangen nimmt und durch den Film trägt. Die Bilder, die Dialoge, das Dokumentieren von Carmens Alltag – das alles ist nicht spektakulär, und doch will man als Zuschauer von Anfang an dabeibleiben und wissen, wie es weitergeht. Es sind Carmens Mut und ihre Unnachgiebigkeit, der Kampf aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Team für eine bessere, gerechtere, freiere Welt und – auf der anderen Seite – die unbegreiflichen Machenschaften der Macht, die einen in den Bann ziehen und nicht mehr loslassen.

Silence Radio hält einem in immer neuen Situationen vor Augen, was Machtmissbrauch, Korruption, Zensur und Gewalt einerseits mit einer Gesellschaft machen und wie demokratische Werte und Grundrechte wie eben Presse- und Meinungsfreiheit andererseits dagegen wirken können. Das aber braucht uneingeschränkten Mut, den Menschen wie Carmen Aristegui oder Juan Omar Fierro jeden Tag aufs Neue beweisen – was sie zu solch beeindruckenden Protagonisten macht. Damit ist Fanjuls Film nicht nur spannend für Lateinamerika-Liebhaber und Mexikoerfahrene, sondern ebenso für alle, die sich mit Demokratie, Menschenrechten und politischer Bildung beschäftigen. Unbedingt anschauen!

Silence Radio (2019)

Journalistin, wird von dem Radiosender entlassen, der sie seit Jahren beschäftigt. Unterstützt von mehr als 18 Millionen Zuhörern setzt Carmen ihren Kampf fort. Ihr Ziel: Die Menschen aufrütteln und gegen Fehlinformationen ankämpfen. Der Film berichtet über dieses schwierige und gefährliche Unterfangen, das für den Fortbestand der Demokratie von grösster Bedeutung ist. Widerstand wird in dieser Geschichte zu einer Form des Überlebens.

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