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Nicht alle israelischen Soldaten und Soldatinnen, die im Westjordanland und anderen besetzten Gebieten dienen, glauben, dass ihr Einsatz gut und richtig ist. Vielmehr gehen einige Ehemalige mit ihren belastenden Erfahrungen an die Öffentlichkeit, um die Gesellschaft kritisch aufzuklären.

Silence Breakers (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Soldatische Kritik an der Besatzung

Die geführten Besichtigungstouren von „Breaking the Silence“ in der Stadt Hebron im israelisch besetzten Westjordanland ähneln einem Spießrutenlauf. Soldat*innen wollen den Zutritt zu bestimmten Straßen und Vierteln verweigern, die Reiseleiter halten dagegen, man habe eine Genehmigung. Während sie der Gruppe erzählen, wie palästinensische Bewohner zum Verlassen ihrer Häuser gedrängt oder gezwungen werden, mischen sich jüdische Anwohner*innen unter lautem Protest ein, manche folgen sogar den Führungen. Sie versuchen, die Worte der Reiseleiter zu übertönen, indem sie singen, schimpfen, die Autohupe betätigen.

Die israelische Regisseurin Silvina Landsmann (Hotline) beobachtet in ihrem Dokumentarfilm die Arbeit der Organisation „Breaking the Silence“ (BtS), die ein Ende der israelischen Besatzung palästinensischer Gebiete fordert. Das Besondere an dieser Vereinigung ist, dass sie aus ehemaligen Soldatinnen und Soldaten besteht, die in den besetzten Gebieten stationiert waren. Ihre Mitglieder schildern in Interviews, wie das Militär mit der palästinensischen Bevölkerung umgeht, halten Vorträge, verteilen Flyer in Städten wie Tel Aviv und suchen dabei das Gespräch mit Bürger*innen. Sie ernten viel Kritik, sind es gewohnt, als Nestbeschmutzer bezeichnet zu werden, den Vorwurf zu hören, dass sie im Ausland Stimmung gegen Israel machen wollen. 

Wie aufgebrachte Personen die BtS-Aktivist*innen auf der Straße und bei Vorträgen konfrontieren, wird in diesem Film zuhauf gezeigt, aber auch das Interesse vieler Menschen an dem, was die Aktivist*innen zu erzählen haben. BtS will eine Bevölkerung aufklären, die die Lage in den besetzten Gebieten nicht aus eigener Anschauung kennt und mehrheitlich der Ansicht ist, dass das Militär dort aus Sicherheitsgründen stationiert bleiben müsse. Die lange politische Praxis der Besatzung diene jedoch dem Ziel, so befürchtet BtS-und andere Kritiker*innen der Regierungspolitik, das israelische Staatsgebiet stillschweigend zu vergrößern. 

Das Herzstück des Dokumentarfilms sind die Aufnahmen während der Besichtigungstouren in Hebron und in ländlichen Gebieten des Westjordanlands. Man ist auf einmal mittendrin in dem Konfliktfeld, das aus jüdischen Siedler*innen, dem Militär und palästinensischen Bewohner*innen gebildet wird. Das Gespräch mit palästinensischen Stadtbewohner*innen wird behindert, der Zugang zu ihnen erschwert. Dennoch kommt die Gruppe mit einem Palästinenser in Kontakt, der erzählt, dass er zwar in Europa war, aber noch nie nach Gaza durfte und auch keine Genehmigung bekam, zur Beerdigung der Großmutter in Jerusalem zu fahren. 

Ein Tourführer deutet draußen auf dem Land auf Felder, die palästinensischen Bauern gehören, welche aber mit Gewalt daran gehindert werden, sie zu bestellen. Es ist von Siedlern die Rede, die abernten, was ihnen nicht gehört. Man bekommt illegale Außenposten von Siedlungen zu sehen und den Mechanismus der Vertreibung palästinensischer Dorfbewohner*innen erklärt. Dieser kann damit beginnen, dass das Militär aus angeblichen Sicherheitsgründen Häuser besetzt. Die Bewohner*innen müssen dann um Erlaubnis fragen, wenn sie essen oder auf die Toilette gehen wollen. Unter diesen Umständen ziehen sie vielleicht fort.

Landsmann kommentiert, abgesehen von einem erklärenden Text am Anfang und am Ende des Films, das gedrehte Material nicht. Sie führt keine Interviews, streut aber Ausschnitte aus Gesprächen ein, die BtS im Fernsehen geführt oder fürs Internet aufgenommen hat. Sie zeigt mit Archivmaterial, wie Politiker die Organisation diskreditieren wollen, die auch vor Gericht gebracht wird. Sie ist bei den Sitzungen im Büro der Gruppe zugegen, wenn darüber debattiert wird, wie sie sich der Öffentlichkeit präsentieren will. Ein ehemaliger Soldat möchte nicht mit gemeint sein, wenn andere erzählen, sie hätten palästinensische Gefangene misshandelt. Jemand hält dagegen, ob korrektes Verhalten möglich sei, wenn man ethisch fragwürdige Befehle ausführe. 

Manchmal wirkt die Montage schnipselhaft, und es fällt dann schwer, sich in Raum und Zeit zu orientieren. Wo befinden sich die Akteur*innen gerade, worum geht es, warum wurde die vorherige Szene abgebrochen? Offenbar musste die Kamera immer wieder jäh abgeschaltet werden. Oder Landsmann reflektiert mit dem Schnitt stilistisch, wie begrenzt der Einblick der Öffentlichkeit in die Situation in den besetzten Gebieten ist. Der Kampf der Aktivist*innen um Aufklärung und Meinungsfreiheit mutet an wie ein permanenter verbaler Fronteinsatz. Dieser Dokumentarfilm würdigt „Breaking the Silence“ auf fesselnde und auch durchaus anschauliche Weise als eine Organisation, die mit ihrem Ziel, zu informieren, eine demokratische Aufgabe erfüllt. 

Silence Breakers (2021)

Die NGO Breaking the Silence (BtS) sammelt und veröffentlicht kritische Augenzeugenberichte von Soldatinnen und Soldaten der israelischen Armee, die in den besetzen Gebieten gedient haben. Diese Whistleblower berichten immer wieder von systematisch aggressivem Verhalten der eigenen Streitkräfte. Mit Videos, Diskussionsveranstaltungen und geführten Touren durch Hebron versucht die von ehemaligen Soldatinnen und Soldaten gegründete Organisation dafür zu sensibilisieren. Dabei sieht sie sich mit massiven Vorwürfen und Anfeindungen konfrontiert, sowohl politisch als auch aus der breiten Öffentlichkeit.

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