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„She Chef“ begleitet die österreichische Kochweltmeisterin Agnes auf ihren Lehr- und Wanderjahren durch drei der renommiertesten Restaurants der Welt. Wird sich die junge Frau ihren Platz in der Männerdomäne der Sterneküche erkochen können?

She Chef (2023)

Eine Filmkritik von Sophia Derda

Frau mit Messer

Agnes Karrasch ist eine junge Frau mit einer großen Leidenschaft. Ihr ganzes Leben ist dem Kochen gewidmet. Die Küche ist ihr Zuhause, dabei geht es mehr um Leidenschaft als einfach nur Berufung. In „She Chef“ wird sie zwei Jahre lang begleitet, ihr Werdegang in der Spitzengastronomie dokumentiert. Es ist ein holpriger Weg mit Höhen und Tiefen. Alte Strukturen gegen eine junge Köchin. Agnes bringt eine Vielfalt von Zugängen und Zutaten in die Küche, und ihr Umfeld lernt mit. Am Ende ergibt sich ein neuer Blick auf die Küche als Arbeitsplatz und die Spitzengastronomie als Kunst.

Ihre Ausbildung absolvierte Agnes in einem Top-Restaurant Österreichs, und mit dem österreichischen Jugendnationalteam gewann sie 2018 die Weltmeisterschaft der Köche, den „Culinary World Cup“ in Luxemburg. Mit dem Beginn von She Chef begibt sie sich daraufhin auf eine Reise, um von den besten Köchen der Welt zu lernen. Gendern erübrigt in diesem Fall, weil Agnes ausschließlich auf Männer treffen wird. Nichts Ungewöhnliches, sieht man sich die Küchen dieser Welt an. Die Spitzengastronomie ist von Männern besetzt. Gründe dafür gibt es viele: Stress, körperlich anstrengende Tätigkeiten, familienunfreundliche Arbeitszeiten.

Auch in She Chef kommen diese Themen zur Sprache. Viele von Agnes‘ Kollegen wünschen sich kürzere Arbeitszeiten oder wollen selbstständig arbeiten, um sich den Traum eines eigenen Restaurants erfüllen zu können. Die Devise lautet, der eigene Chef zu sein, um den gegenwärtigen Strukturen zu entfliehen. Andererseits könnten sie sich aber auch nicht vorstellen, woanders als in der Spitzengastronomie zu arbeiten. Die Arbeit in der gehobenen Küche sei eine enorme Chance. Eine Chance, nachhaltig zu arbeiten, und vor allem eine Chance, kreativ und ausgefallen arbeiten zu können. 

Mit Spitzengastronomie oder auch Haute Cuisine ist eine erstklassige, inspirierte und professionelle Küche mit kreativem Anspruch gemeint. Dabei kommen nur erlesene Produkte in einer perfektionierten Gestaltung auf den Tisch, vollendet mit einer erstklassigen Serviertechnik und dem passenden Wein. Als Maßstab für solch gehobene Küche orientiert man sich an den Michelin-Sternen. In den 1920er Jahren erweiterte der Reifenhersteller Michelin seinen Werkstattwegweiser für Frankreich um Restaurant- und Hotelempfehlungen. Die Brüder Michelin verwendeten ein eigenes Bewertungssystem, nach dem sie diese Empfehlungen aussprachen. 1926 wurden erstmals Restaurants mit einem Stern, dem Michelin-Stern, ausgezeichnet. Sie bewerteten sehr gute, hervorragende und die besten Küchen, die Beachtung verdienen (ein Stern), einen Umweg (zwei Sterne) oder direkt eine Reise wert sind (drei Sterne). Die Bewertungsskala wurde geboren und wird bis heute praktiziert.

Als Fly On The Wall verfolgen wir in She Chef Agnes auf den verschiedenen Stationen ihrer Reise. Die Kamera ist überall, wird aber nie beachtet. Dabei fällt der raue Ton in der Küche im Restaurant Vendôme in Bergisch Gladbach auf, und die Sprachprobleme mit ihren spanischen Kollegen im Restaurant Disfrutar in Barcelona sind omnipräsent. Das Ausleben struktureller Missstände ist an der Tagesordnung. Zu lange Arbeitszeiten, wenige Pausen, es wird nach unten getreten. Agnes‘ Talent steht außer Frage, aber auf der Seite ihrer männlichen Vorgesetzten fehlt das Vertrauen. 

Als dritte und letzte Station kommt Agnes auf die Färöer-Inseln zum Restaurant „Koks“, das zwei Michelin-Sterne besitzt. Stilistisch und menschlich herrscht auf einmal eine ganz andere Stimmung. Die weite Landschaft und unberührte Natur ist im Einklang mit der Küchencrew. Alles wirkt geerdet, die Menschen reden miteinander und respektieren sich. Eine Erfahrung, die man Agnes am ganzen Körper anmerkt. Sie ist wie ausgewechselt, und die Liebe zur Kunst des Kochens transportiert sich bis auf die Zuschauenden. Gleichberechtigung wird gelebt, und Agnes wird im Team willkommen geheißen. Fernab von Großstädten mitten in der Natur lebt sie bis heute. Mit der Aussicht, dort als Chef de Partie arbeiten zu können, sagt sie jegliche Pläne ab und beschließt, auf der Insel zu bleiben. Vielleicht sollte bei der Vergabe der Michelin-Sterne auch auf die Arbeitsverhältnisse geachtet werden, dann würden womöglich mehr Restaurants dazukommen, die sich bemühen, ein Arbeitgeber zu sein, der seine Mitarbeitenden respektiert. 

She Chef (2023)

„She Chef“ ist das Portrait von Agnes, frisch gebackene Kochweltmeisterin. Nach der Ausbildung in Österreichs Top-Restaurant, dem „Steirereck“, begibt sich die 25-Jährige auf eine spannende Reise, um von den besten Köchen der Welt zu lernen und ihre eigene Küchensprache zu entwickeln. So unterschiedlich Persönlichkeiten und Stile der berühmten Köche aus Vendome, Disfrutar und Koks auch sein mögen: Die Stars der Szene sind alles Männer. Wir begleiten Agnes auf ihrem eigenen Weg zur Spitzenköchin in einer Zeit, in der Frauen sich nicht einfach nur mehr hintenanstellen. „She Chef“ stellt sich die Frage nach der Zukunft der Arbeitswelt, nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf, nach den Träumen der nachfolgenden Generation. Ganz nebenbei führt uns der Film an die sinnliche Schönheit dieses Handwerkes heran abseits des üblichen Starkults. (Quelle: Camino Filmverleih)

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