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Im Schrecken der deutschen Provinz zeigt „Schlaf“: Auch in Deutschland ist ein frisches und politisch unerschrockenes Horrorkino denkbar.

Schlaf (2020)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Die wahren Geister der Vergangenheit

Wenn im Sprechen von den „Geistern der Vergangenheit“ oder den „Leichen im Keller“ der guten deutschen Familie eher die Nazi-Opas als die Opfer ihrer Verbrechen gemeint sind, lenkt das von der Tatsache ab, dass in unserer Zeit ganz lebendige Nazi-Opas in die Parlamente gewählt werden. Michael Venus‘ Debüt-Spielfilm „Schlaf“ inszeniert dagegen den Horror eines Provinzhotels, in dem die Lebenden heimgesucht werden von jenen wahren Geistern der Vergangenheit, die keine eigene Stimme haben und die so nach Gehör und Gerechtigkeit verlangen.

Stainbach, ein Ort umgeben von Wäldern in einer deutschen Provinz, die in jeder beliebigen deutschen Provinz verortbar wäre, scheint eigentlich nur aus dem großen, etwas in die Jahre gekommenen Hotel Sonnenhügel zu bestehen. Marlene (Sandra Hüller) hat eigentlich mit diesem Dorf nichts zu tun – doch als sie das Hotel in einer Werbeanzeige als finsteren Ort ihrer quälenden Alpträume wiedererkennt, macht sie sich auf nach Stainbach. Dort stellt sie fest, dass der Selbstmord dreier Männer in diesem Hotel sich nicht nur in ihren Träumen zugetragen hat. Als sie in einen Stupor verfällt, folgt ihre Tochter Mona (Gro Swantje Kohlhof) ihr nach, um die dunklen Geheimnisse des Hotels zu ergründen. Dass weder in dessen verlassenen Fluren und leerstehenden Einrichtungen noch beim seltsamen Eigentümer-Paar Lore und Otto (Marion Kracht und August Schmölzer) alles mit rechten Dingen zugeht, wird Mona bald klar. Was aber hat es mit dem eigenartig unbelebten Rest des Ortes auf sich? Von welchen großen Träumen spricht Otto? Und wessen Stimmen hört Mona in der Nacht flüstern?

Insbesondere dem grandiosen Szenenbild der verlorenen und kahlen Orte – darunter eine leerstehende ehemalige Heilanstalt im Harz – ist es zu verdanken, dass Schlaf mit Stainbach einen Ort erzeugt, der zugleich überall liegen könnte und gerade dies mit einem äußerst reduzierten Inventar an Figuren und Räumen inszeniert. Nur aus wenig mehr als einer einzigen Familie, einem Mini-Markt und dem für die Verlassenheit des Dorfes umso größer und drohender gähnenden Hotel gestaltet sich die finstere Topographie vergangener Gewalt und ungesühnter Verbrechen. Es sind in Schlaf gerade nicht die Geister jener toten Männer, die allesamt zur Familie der Hoteleigentümer gehören, die Mona und Marlene heimsuchen – es sind, ohne viel zu verraten, ganz andere Geister mit anderen Zielen.

So bedient sich Schlaf bei den durchaus bekannten Motiven alter und vor räumlich gewordener Vergangenheit nur so starrender Flure und Hallen dessen, was etwas traditioneller wohl ein Spukschloss wäre und hier eben das Kurhotel von längst verflogener Pracht ist. Doch der Horror des Films speist sich in einer gelungenen Wendung gerade nicht daraus, dass es hier einfach um ungesühnte Verbrechen an unschuldigen und zur ewigen Unruhe verdammten Seelen geht, die sich nun an allem Lebendigen blutdürstig rächen wollen. Vielmehr bildet sich aus dem Abgrund erlittenen Unrechts eine Allianz mit dem Lebendigen und Gegenwärtigen, die allein dazu in der Lage ist, die Fortsetzung des Unrechts in der Zukunft zu verhindern.

So mag die politische Allegorie von Schlaf auf den ersten Blick ein wenig zu durchschaubar daherkommen: Der sich als Nazi mit größenwahnsinnigen Träumen vom Aufbau einer Art Bürgerwehr im Kurhotel enthüllende Otto wird von seiner Vergangenheit und der seiner Familie eingeholt, indem eine junge Frau sich mit den wenigen anderen jungen Menschen im Dorf verbündet, um den Opfern nie verjährter Gräuel zu einer eigenen Gegenwart zu verhelfen. Dass diese Figurenkonstellation nicht eindimensional so bleibt, liegt vor allem an der dichten Inszenierung eines Ortes, der zum eigentlichen Protagonisten des Films wird. Stainbach, dessen Bewohner in einem schön gewählten Detail selbst innerhalb einer Familie die verschiedensten Dialekte sprechen, fokussiert zugleich deren spezifische Geschichten und gestaltet doch über jede konkrete Verortung hinaus einen Horror, der viel umfänglicher darin liegt, dass hier eine Vergangenheit dem Vergessen entgegenzugehen droht.

Wenn Schlaf auch gelegentlich Ideen dazu fehlen, was der Film mit seinen jungen Protagonist*innen anfangen könnte und so letztlich stellenweise die erwähnte Eindimensionalität nicht ganz vermieden wird, zeigen sich doch zwei entscheidende Dinge: Ein interessantes, höchst aktuelles und gradliniges Horrorkino kann auch in Deutschland im Mainstream stattfinden. Und es ist dieses neue und interessante Horrorkino, in dem vielleicht ebenso neue und interessante Wege unerschrockener politischer Haltungen liegen werden. Schlaf kann diese Hoffnung nicht alleine tragen, er ist nicht das deutsche Gegenstück zu vergleichbaren US-Filmen wie Get Out (Jordan Peele, 2017) – aber er hat das Potenzial, etwas in Bewegung zu versetzen und tut dies mit erfrischender Energie.

Schlaf (2020)

Eine Filmkritik von Elisabeth Hergt

Heimsuchungen

„Schlaf“ lief 2020 schon auf der Berlinale in der Sektion Perspektive Deutsches Kino und ist der erste abendfüllende Spielfilm des Regisseurs Michael Venus. In dem düsteren Horrorthriller, der den Themen Schuld und Sühne eine mythische Dimension verleiht, spielen die Charaktere nicht nur Jenga mit sich selbst und ihren Traumata, sondern bringen auch ein fehlgeleitetes Traditionsbewusstsein ins Wanken.

Auf der Suche nach dem ultimativen Kick des Erwachens: die junge Mona (Gro Swantje Kohlhof) muss sich auf eine seltsame Mission begeben, um ihre Mutter Marlene (Sandra Hüller) von Alpträumen befreien und heilen zu können. Die abstrakten Visionen versetzen die Flugbegleiterin schon lange in einem extremen Zustand und verweisen auf ein traumatisches Erlebnis aus der Vergangenheit. Ein Foto aus der Zeitung führt Marlene zunächst an den vermeintlichen Ursprung ihres Leidens, zum Hotel Sonnenhügel in dem beschaulichen Ort Stainbach. Manifestiert durch ein Wildschwein, das sie zu verfolgen scheint, hat sie dort jedoch wieder eine Psychose, zerlegt ihr Zimmer und verfällt in einen dissoziativen Stupor. Marlene landet in der Psychiatrie, ist unfähig sich noch zu bewegen oder ein Wort herauszubringen, sodass Mona fortan für sie der Wahrheit auf den Grund geht und sich dabei selbst einer Art Schockstarre aussetzt.

Ein Dorf das Geheimnisse hütet, zwielichtige Gestalten und der Wald als Zeuge, der sie alle einschließt. Stets brodelt es in der Provinz und doch haftet ihr auch etwas Friedliches an, eine Ordnung ohne Widerhall, die lautlose Stille einer Gemeinschaft, die sich gut eingerichtet hat und jeder Unruhe von außen trotzt. Der Eindringling sorgt daher unwillkürlich für die Dekonstruktion der Umstände, eine Offenlegung von Wunden, die selbst versorgt wurden und einer erneuten Zerreisprobe nicht Stand halten würden. Als diabolisches Paar treten Lore (Marion Kracht) und Otto (August Schmölzer) auf, die das Hotel führen und Mona widerwillig aufnehmen. Dafür buhlt ihr Sohn Christoph (Max Hubacher), der im Dorfladen arbeitet, schon bald um die Aufmerksamkeit des fremden Gastes. Mona, die erwachsener sein muss, als sie sollte, wehrt sich nicht gegen Nähe, gibt sich dabei auch einer gewissen sexuellen Freizügigkeit hin und schaut sich gleichzeitig kritisch um. Sie wird mit einer mysteriösen Selbstmordserie konfrontiert und droht zunehmend selbst den Verstand zu verlieren. Erst die geheimnisvolle Trude (Agata Buzek), eine polnische Frau mit markantem Look, kann ihr sagen, was damals mit Marlene passiert ist und zieht die Schlinge um den Schuldigen dabei selbst immer fester zu.

Michael Venus erzählt mit seinem Film ein finsteres Märchen über familiäre Bande, populistische Strömungen und einen orientierungslosen Rudelführer. Otto spricht von Männern, die einsam voraus gehen, Herkunft und Heimat verteidigen müssen und große Abgänge bevorzugen. Vielleicht ist er der letzte seiner Art. Durch nichts ist er von seinem Konzept für die Zukunft abzubringen, während seine Frau ihn gleichzeitig jede Nacht wie ein wildes Tier ans Bett fixiert, damit er nicht ausbricht und sich selbst gefährdet. Marion Kracht verkörpert Lore mit beachtlicher Stärke. Überhaupt sind es die Frauen, die im Verlauf zunehmend zum Rundumschlag ausholen. Da gibt es Bille (Katharina Behrens), das coole Mädchen aus dem Ort, und Franzi (Martina Schöne-Radunski), die als einziges Dienstmädchen durch das völlig leere Hotel geistert. Die Jugend mischt auf. Trude kann als übergeordnete Gestalt gesehen werden, als Leitbache, die nach Vergeltung strebt und Marlene Schritt für Schritt wieder zum Leben erweckt. Sandra Hüller (Requiem, Toni Erdmann) und Gro Swantje Kohlhof (Wir sind die Flut, Endzeit) wiederum sind im Genre zu Hause und auch hier, als Mutter-Tochter Gespann, außerordentlich intensiv in ihrem Ausdruck.

Als Horrorfilm geht Schlaf nicht dauerhaft wirksam durch Mark und Bein. Noch mehr gestalterischer Exzess hätte der Erzählung in dieser Hinsicht gutgetan und die Spannung gebündelt. Darüber hinaus entwickelt die Geschichte aber mit übernatürlichen Elementen, theatral losgelösten Spielszenen zwischen den Figuren und über die lauernde Wirkung der Musik, einen eigenen, in sich geschlossenen Schrecken, der fesselt. Ein reales Erwachen daraus wird es nicht für jeden geben.

Schlaf (2020)

Monas Alltag ist geprägt von der Sorge um ihre Mutter, die an dem Glauben zerbricht, ihre Albträume seien real. Auf der Suche nach Antworten kommt sie in ein Dorf, wo Mona in einem seltsamen Hotel auf einen alten Familienfluch stößt.

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Meinungen

Britta Schneider · 21.02.2023

Sandra Hüller ist eigentlich schon ein Garant für gute Filme (Toni Erdmann ist für mich einer der gelungensten deutschen Filme). Schlaf ist verwirrend und verstörend und man weiß lange nicht, was es soll und trotzdem ist es nie langweilig, weil die Spannung langsam aufgebaut wird und man bis zum Schluß unbedingt wissen will, worum es da eigentlich geht. Die Auflösung spielt da fast schon keine Rolle mehr, ich finde sie auch ziemlich weit hergeholt und wenig einleuchtend und ich hätte mir eine etwas weniger krude Ursache gewünscht. Aber gut, man kann nicht alles haben: unglaublich gute Dramaturgie und Kameraführung, tolle Schauspieler, erstaunlich spannende Inszenierung und jetzt soll auch noch die Auflösung logisch sein…. alles geht eben nicht. Trotzdem ein bemerkenswert guter Film- für Deutschland.