Rot und Blau

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Fürs Leben lernen

Schule ist — neben Arbeitsplatz und Bildungsstätte — auch ein Ort der Erinnerung: Wunderbare Gedanken, schreckliche Erlebnisse, Heiteres mischt sich mit dem Gefühl des Unangenehmen, Alltägliches mit besonderen Begebenheiten. Und das für Lehrer wie für (ehemalige) Schüler. Dieses ganze Potpourri an Erinnerungs- oder Ereignismöglichkeiten hat Marco Lodoli in seinem Roman Il rosso e il blu versammelt, den Giuseppe Piccioni nun filmisch umgesetzt hat. Das Ergebnis ist ein guter Film über den Begegnungsort Schule.
Im Fokus scheint der gealterte Lehrer für Kunstgeschichte, Fiorito (Roberto Herlitzka), zu sein: Er ist auch der Off-Erzähler der Geschichte, Analyst und Theoretiker zugleich, der versucht, auch durch sein Erzählen das Mysterium Schule zu verstehen. Es wird aber schnell klar, dass Fiorito nur einer der Hauptfiguren ist, die sich in dieser einen Schule in Rom tagtäglich begegnen. Und das ist das Gute an Rot und Blau: Dass der Film nicht nur eine Geschichte erzählt, sondern gleich mehrere. Damit zeichnet er ein überzeugendes Bild von Schule, wo eben mehr als nur ein bedeutendes Ereignis zur selben Zeit passiert (wobei der Film, weil es dramaturgisch sinnvoll ist, alle Begebenheiten in einer Klasse stattfinden lässt).

Neben Fiorito ist da auch die streng wirkende und ebenso agierende Direktorin (Margherita Buy), die sich von einem Moment zum nächsten als Vertrauensperson eines 14-jährigen Schülers widerfindet, dem die Mutter abhanden gekommen ist. Sie findet Enrico Brugnoli (Davide Giordano) an einem Morgen auf Matratzen in der Turnhalle, wo er nicht die erste Nacht zugebracht zu haben scheint. Brugnoli hat aber auch ein anderes Problem: Sein Dauerhusten ist nicht etwa Teil einer normalen Erkältung, sondern muss stationär behandelt werden. Also bringt ihn die Direktorin ins Krankenhaus, und sie merkt schnell, dass sie die einzige ist, die ihn besuchen wird. Die Frau, die nie Kinder haben wollte, übernimmt jetzt also immer wieder für kurze Momente eine Mutterrolle.

Und dann kommt Aushilfslehrer Giovanni Prezioso (Riccardo Scamarcio) in die Schule, der voller Ideale steckt und viel von sich, den Kollegen und den Schülern erwartet. Offensichtlich rennt er erst einmal gegen verschiedene Wände an, wird enttäuscht und belacht, aber boxt sich irgendwie durch. Am Ende wird er selbst dazu gelernt, aber den Schülern auch ein wenig von seiner Motivation weitergegeben haben. Zu seiner Gegenspielerin wird die notorisch fehlende Schülerin Angela Mordini (Silvia d’Amico), die sich mit vielem, aber nicht mit den von ihr geforderten Lehrinhalten beschäftigt. Prezioso kümmert sich intensiv um sie, und muss doch erkennen, dass er seine Schüler nicht für Lämmer halten darf.

Das ist es, was die Geschichten eint: Dass nicht nur die Jugendlichen zu lernen haben in der Schule, sondern auch die Erwachsenen, egal welchen Alters, egal ob Lehrerneuling oder einer, der kurz vor der Pension steht. Fiorito nämlich hat fast schon abgeschlossen — mit seinem Beruf wie mit seinem Leben. Zynisch blickt er auf die jungen Kollegen, die ihm doch nichts vormachen können. Und dann macht ein bisher unterschätzter Schüler einen Kommentar und taucht eine ehemalige Pennälerin (Domiziana Cardinali) auf — und da ändert sich auch für Fiorito noch einmal die Sicht auf die Welt. Und es wird einmal mehr deutlich, dass es in der Schule eben nicht nur um Wissensinhalte geht, sondern auch um das Lernen im und für das Leben.

Das Schöne an Rot und Blau ist tatsächlich die Vorstellung von Schule als Kreuzung von Lebenswegen, die sich filmisch in einer Multiplotstruktur niederschlägt. Gleichzeitig zeigt der Film (der in der italienischen Originalfassung mit deutschen Untertiteln in die deutschen Kinos kommt) viel Normalität — eine normale Schule mit normalen Schülern, die normale Probleme haben. Und das ist gut so.

Rot und Blau

Schule ist — neben Arbeitsplatz und Bildungsstätte — auch ein Ort der Erinnerung: Wunderbare Gedanken, schreckliche Erlebnisse, Heiteres mischt sich mit dem Gefühl des Unangenehmen, Alltägliches mit besonderen Begebenheiten. Und das für Lehrer wie für (ehemalige) Schüler. Dieses ganze Potpourri an Erinnerungs- oder Ereignismöglichkeiten hat Marco Lodoli in seinem Roman „Il rosso e il blu“ versammelt, den Giuseppe Piccioni nun filmisch umgesetzt hat.
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