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Als die Großmutter stirbt, verlässt der 9-jährige Roman (Yelizar Nazarenko) die Ukraine. Versteckt in einem Kleintransporter überquert er die Grenze nach Deutschland. Dort erwartet ihn seine Mutter Oksana (Maria Bruni). Roman ist von der neuen Unterbringung jedoch alles andere als begeistert. Die Mutter lebt bei Gert (Udo Samel), dessen Frau sie bis zu ihrem Tod gepflegt hat. Während der alte Mann versucht, eine Vaterrolle zu übernehmen, sieht Roman sich mit einem Rivalen konfrontiert. Ein Kampf um die Aufmerksamkeit der Mutter entbrennt.

Rivale (2020)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Die Enge der Flucht

Als Gert Oksana mit einem Blinddarmdurchbruch ins Krankenhaus bringen muss, spitzt sich die Lage zu. Die junge Ukrainerin hat keine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland. Da nun auch Roman die Abschiebung droht, versteckt sich der Rentner mit dem Jungen in einer alten Jagdhütte im Wald. Nun sind die beiden Kontrahenten auf sich allein gestellt und ein Kampf ums Überleben nimmt seinen Lauf.

Es ist schon erstaunlich, mit welch unterschiedlichen Perspektiven sich das deutsche Kino derzeit dem Thema Familie, Kindheit und Konflikt nähert. Auf ihre jeweils eigene filmische Art waren Systemsprenger und Pelikanblut Geschichten über die Suche nach einem Zuhause, nach Anerkennung und Liebe. Auch Rivale handelt nun davon und erzählt von der Fremdheit und der Sehnsucht eines Kindes nach einer Familie und einem neuen Leben. Wie auch in den anderen Filmen spielt Wut eine große Rolle.

Regisseur Marcus Lenz inszeniert seinen Film dabei als ein leises Kammerspiel, in dem die Enge und die Bedrohung der Situation zum Greifen spürbar ist. Bis auf wenige Szenen im Wald gibt es in Rivale nur Innenräume, die immer auch ein Gefängnis sind. Da ist vor allem die Abhängigkeit von Gert, die Roman vom ersten Moment an spürt. Die Hoffnung auf ein neues Leben reduziert sich auf die wenigen Quadratmeter der Wohnung. Nur in seinen Träumen öffnet sich der Raum, wenngleich diese von Angst und Schuldgefühlen durchzogen sind. Ohne Aufenthaltsgenehmigung wird die Flucht nie ein Ende haben. So viel ist auch dem Jungen klar. Oksana und Roman sind einzig von der Güte eines anders Menschen abhängig. Eine durchaus prekäre Situation zwischen Menschlichkeit und grausamer Zuneigung.

Rivale ist ein Film, der vor allem durch seine Form erzählt. Die großartigen Bilder von Kameramann Frank Amann erzeugen eine körperliche Intimität, der immer auch ein bedrohliches Belauern innewohnt. Ganz nah rückt die Kamera an das Geschehen heran. Immer wieder gibt es Nahaufnahmen von Ameisen, die wie fremdartige Eindringlinge zu Metaphern für die Entfremdung werden.

Die Einsamkeit des Jungen bekommt dabei ein unerträgliches Gewicht. Lange Zeit wird einzig aus dessen Perspektive erzählt. Lediglich in der Hütte, als Roman und Gert gezwungen sind, sich zu arrangieren, weitet sich der Blick und das Verhältnis der beiden Rivalen wird ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Vor unseren Augen entsteht zwischen den beiden eine neue Welt, mit ganz eigenen Sichtbarkeiten. Und doch ahnen wir stets etwas von der Fragilität dieser Hoffnung.

Die Schauspieler sind allesamt beeindruckend. Allen voran der Debütant Yelizar Nazarenko, der seinem Roman eine animalische Wut und körperliche Intensität verleiht. Da der Junge die deutsche Sprache nicht beherrscht, kann er seiner Frustration nur durch Brüllen und rohe Aggressivität Ausdruck verleihen. Sprache hat in diesem Film keine Funktion. Es sind vielmehr die Körper, die durch Gesten und Blicke kommunizieren. Udo Samel erweist sich dahingehend als perfekte Besetzung, da Gert mit seiner voluminösen Körperfülle buchstäblich raumgreifend ist und Roman die Luft zum Atmen nimmt.

Wenig vorteilhaft ist hingegen, dass Lenz seinen Film auf einem schmalen Grat zwischen Thriller und Drama anlegt. Was sich auf dem Papier spannend liest, geht auf der Leinwand nur bedingt auf. Zu offensichtlich sind die Thriller-Momente im Drehbuch angelegt. Zu oft ahnt man den Handlungsverlauf voraus. Da hätte etwas mehr Mut zum Genre gutgetan. Möglicherweise sind hier auch die sehr psychologisierenden Traumszenen im Weg. Wäre Roman ein größeres Geheimnis für die Zuschauer_Innen, hätte sein Verhalten etwas Bedrohlicheres und der Film hätte insgesamt zu einer noch ambivalenteren Erfahrung werden können.   

Diese Kritik wiegt allerdings nicht allzu schwer. Denn als Psychogramm einer kindlichen Flucht entfaltet Rivale einen derart hypnotischen Sog, der in seiner Unmittelbarkeit im deutschen Kino selten ist.

Rivale (2020)

Versteckt in einem Lieferwagen überquert der 9-jährige Roman die Grenzen von der Ukraine nach Deutschland, um endlich wieder bei seiner Mutter zu sein. Aber Oksana ist nicht allein. Sie lebt mit einem 62-jährigen Witwer zusammen, für den sie als private Krankenschwester illegal arbeitet. Als Roman seine Mutter mit dem alten Mann im Bett findet, kämpft er verzweifelt um ihre Aufmerksamkeit. Dann wird Oksana schwer krank und Mutter und Sohn werden wieder getrennt. Roman findet sich bald darauf an einem abgelegenen Ort gefangen, abgeschnitten von der Zivilisation und völlig abhängig von seinem Rivalen.

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