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In Coralie Fargeats blutgetränktem, poppig-verspieltem Langfilmdebüt mutiert eine vergewaltigte Frau zu einer erbarmungslosen, mythisch überhöhten Killermaschine und wirbelt die Konventionen des berüchtigten Rape-and-Revenge-Subgenres gehörig durcheinander.

Revenge (2017)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Wiedergeboren, um zu richten

Nur wenige Subgenres der Filmgeschichte genießen einen derart zweifelhaften Ruf wie der sogenannte Rape-and-Revenge-Thriller, der seine mutmaßlich erste Ausprägung in Ingmar Bergmans stark religiös aufgeladenem Drama „Die Jungfrauenquelle“ fand. Inspirieren ließ sich von diesem Werk unter anderem Horrorlegende Wes Craven, dem 1972 mit „Das letzte Haus links“ einer der bekanntesten und am meisten diskutierten Streifen dieser oftmals erschreckend reißerischen, voyeuristischen und misogynen Untergattung des Spannungskinos gelang.

Rund 45 Jahre später dringt nun die französische Regisseurin und Drehbuchautorin Coralie Fargeat in das verminte Terrain der Vergewaltigungs- und Rachefantasien vor und demonstriert mit ihrem selbstbewusst inszenierten Spielfilmdebüt Revenge, dass man dort auch heute noch für Überraschungen sorgen kann. 

Bevor der steinreiche Geschäftsmann Richard (Kevin Janssens) mit seinen Partnern zum obligatorischen Jagdwochenende aufbricht, will er in einer luxuriösen Villa mitten in der Wüste noch ein paar ruhigen Stunden mit seiner Geliebten Jen (Matilda Anna Ingrid Lutz) verbringen. Dummerweise stehen Stan (Vincent Colombe) und Dimitri (Guillaume Bouchède) allerdings schon früher als erwartet auf der Matte, so dass an entspannte Zweisamkeit nicht mehr zu denken ist. Nach einer feuchtfröhlichen Partynacht am Pool überschlagen sich am nächsten Morgen die Ereignisse. In Richards Abwesenheit bedrängt Stan die junge Frau und fällt schließlich über sie her, während Dimitri nonchalant die Augen schließt. Als Richard zurückkehrt und der völlig verstörten Jen Schweigegeld anbietet, nimmt sie kurzerhand Reißaus und wird von den drei Männern bis an den Rand eines Felsens verfolgt. Unter dem Vorwand, ihr helfen zu wollen, kommt ihr Liebhaber immer näher und stößt sie schließlich in die Tiefe, wo sie von einem Baum aufgespießt wird. Da ihre Lebensgeister jedoch noch nicht erloschen sind, kann sie sich unter größten Kraftanstrengungen aus ihrer misslichen Lage befreien. 

Dass hier eine Filmemacherin am Werk ist, die ein Gespür für vibrierend-ästhetische Bilder hat, ist von den ersten Minuten an zu spüren. Gekonnt spielt Fargeat mit Farben, Spiegelungen und den hübschen Oberflächen des mondänen Anwesens, das in der rauen, steinigen Wüstenlandschaft vollkommen deplatziert erscheint. Ein starkes Bewusstsein zeigt die Regisseurin darüber hinaus für die Inszenierungsweisen des Rape-and-Revenge-Genres, das seine weiblichen Figuren gerne und ausgiebig zu Objekten des männlichen Blicks degradiert. Mit einem kräftigen Augenzwinkern führt der Survival-Thriller seine Protagonistin als eine an einem Lutscher saugende, spärlich bekleidete Sexbombe ein. Und immer wieder begibt sich die Kamera auf Hüfthöhe, um Jens Po zu fixieren, den Richard lustvoll als „Pfirsich-Arsch“ bezeichnet.

Kleine, irritierende Indizien lassen jedoch schon früh erahnen, dass Fargeat ein munteres und gewitztes Spiel mit filmischen Konventionen und Geschlechterrollen im Sinn hat. Auffällig ist besonders ein von Jen angebissener, mehrfach in den Fokus gerückter Apfel, ein Verweis auf den biblischen Sündenfall. Gemäß der christlichen Erzählung war es die Frau, die als Erste von der verbotenen Frucht des Baumes der Erkenntnis naschte und anschließend ihren Begleiter Adam in Versuchung führte. Auf eben diese althergebrachte Schuldlogik bezieht sich Stan, als er sich Jen aufdrängt. Die junge Frau habe ihn am Abend zuvor scharf gemacht und ihm unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass sie an ihm interessiert sei. Tatsächlich ist im Film aber lediglich ein ausgelassener Tanz am Pool zu sehen, weshalb Fargeat Stans Argumentation als die erbärmliche Verteidigungsstrategie eines schwanzgesteuerten Widerlings entlarvt. 

Wo sich viele ähnlich gelagerte Filme am Leid der zumeist weiblichen Vergewaltigungsopfer ergötzen, bricht Revenge die ausbeuterischen Darstellungsformen auf. Nicht nur Jen, auch der Zuschauer wird von einem stetig wachsenden Unbehagen befallen, als Stan zu seiner schmierigen, immer bedrohlicher werdenden Flirtoffensive ansetzt. Der erzwungene Sex-Akt selbst findet – von einigen kurzen Schlägen gegen eine Fensterscheibe abgesehen – außerhalb des Bildes statt. Vielmehr konzentriert sich die Regisseurin in diesem Moment auf das schändliche Verhalten Dimitris, der kurz überlegt, ob er mitmachen soll, dann aber den Fernseher lautstellt, um die Schreie zu übertönen, und unbekümmert zum Pool schlendert. Bezeichnenderweise gibt ihn der Film mit einer in Zeitlupe gehaltenen Großaufnahme seines genüsslich an einem Schokoriegel kauenden Mundes der Lächerlichkeit preis. 

Nachdem Jen den Mordanschlag auf wundersame Weise – Fargeat verlangt dem Zuschauer einiges an Wohlwollen ab – überlebt hat, quasi neu geboren wird und sich unter dem Einfluss einer krassen Droge zu einem zähen, unerbittlichen Racheengel aufschwingt, geht der Geschlechterkampf rasch in die Vollen. Richard, von dem man sich anfangs vielleicht noch etwas Anständigkeit versprochen hat, erweist sich als größtes Monster des Trios, das sich fortan ein brutales Katz-und-Maus-Spiel mit einer über sich hinauswachsenden Gegnerin liefert. Mehrfach wechselt Revenge dabei die Perspektive und läuft auf einen Showdown hinaus, der noch einmal den gewitzten Umgang der Regisseurin mit den Codes des Genres unterstreicht. Unverblümt wird hier nämlich ein nackter männlicher Körper zum Objekt des Kamerablicks gemacht. 

Erstaunlich aufregend ist Fargeats abendfüllendes Debütwerk nicht nur aufgrund seiner reizvoll-ambivalenten Genderpolitik. Mit seinen treibenden Elektroklängen, seinen ungemein drastischen, schmerzhaft überzeugenden Bluteffekten und seinen manchmal – etwa im Finale – fast schon unerträglichen Suspense-Momenten gibt der Film als nervenaufreibender Spannungsstreifen eine mehr als ordentliche Figur ab. Wie weiter oben bereits erwähnt, muss man allerdings bereit sein, logische Maßstäbe außer Acht zu lassen.

Revenge (2017)

Drei wohlhabende Männer treffen sich Jahr für Jahr in der Wüste, um dort auf die Jagd zu gehen — es ist die art von Zusammentreffen, bei denen herumgeballert wird und man sich der eigenen Männlichkeit versichert. Doch dieses Jahr ist alles anders, weil einer von ihnen seine blutjunge Geliebte mitgebracht hat. Und an der zeigen auch die anderen Männer ein unverhohlenes Interesse. Als die Dinge aus dem Ruder laufen und die junge Frau missbraucht und verletzt in der Wüste zurückgelassen werden soll, setzt diese sich zur Wehr …

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Meinungen

Martin Zopick · 04.03.2024

Der verheiratete Richard (Kevin Janssens) verbringt ein Wochenende mit zwei Freunden Stan (Vincent Colombe) und Dimitri (Guillaume Bouchède) und seiner Geliebten Jen (Mathilda Lutz) um in der Wüste auf die Jagd zu gehen.
Bei der nächtlichen Party werden Alkohol und halluzinogene Stoffe genossen. Die Fete gerät aus dem Ruder und so kommt es in den nächsten 24 Stunden zu sexuellen Ausschweifungen: Jen wird vergewaltigt, Richard verhaut sie. Doch Jen kann fliehen.
Ab jetzt bekommt der Film seinen gerechtfertigten Platz auf dem Fantasy Filmfest. Jen wird in eine tiefe Schlucht gestoßen und landet mitten durch ihren Körper von einem Ast durchbohrt. Wegen der Halluzinogene, ist sie schmerzfrei, operiert sich selbst und brennt sich ein Tattoo von einem Bierhersteller auf den Bauch. Dann kann sie sich noch an ihren Peinigern - inklusive Freund – rächen und entschwindet in die Wüste…
Die Brutalität verflacht hier zur Effekthascherei, weil das Unmögliche und das Unwahrscheinliche die blutüberströmten Bilder jenseits der irdischen Realität ansiedeln. Solche Qualen konnten in der Antike nur die Götter ertragen oder Walt Disneys Gezeichnete. Nach dem Tod der Unholde eilt im Western oftmals die Kavallerie als Rettung herbei. Hier ist es ein bestellter Helikopter.
Da hat uns Regie Debütant Fargeat einen ganz schön deftigen Bären aufgebunden, bei dem man weder erschreckt wird noch den Sitz umklammert, sondern nur chillen kann. Mann sind wir cool!!