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Ein Regisseur dreht einen Film über ein Ballett nach einer Oper nach einem antiken Stoff. Asteris Kutulas‘ Film hat bereits ein paar Jahre auf dem Buckel, kommt jetzt aber erneut in die Kinos. Wie ist er gealtert?

Recycling Medea: Not an Opera Ballet Film (2013)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Recycling Ideas

Die Kindsmörderin Medea ist immer für ein Kunstwerk gut. Euripides, Ovid und Seneca haben das Schicksal der Frauengestalt aus der Antike bereits in der Antike verarbeitet. Peter Paul Rubens, Denis Diderot, Franz Grillparzer, Christa Wolf, Pier Paolo Pasolini, Lars von Trier und John Neumeier zählen zu prominenten Vertretern unzähliger zeitgenössischer Interpreten in den unterschiedlichsten Kunstgattungen. Vor neun Jahren wagte sich auch Asteris Kutulas an den Stoff. Es war der Auftakt einer noch unvollendeten Thanatos-Film-Tetralogie, der jetzt erneut in die Kinos kommt.

Dass Kutulas‘ Film kein Opern-Ballett-Film sei, steht explizit im Untertitel. Große Teile — und um es gleich vorwegzunehmen: Es sind die besten — sind aber exakt das: abgefilmtes Opern-Ballett. Der 1960 im rumänischen Oradea als Sohn griechischer Geflüchteter geborene Regisseur, der mit seinen Eltern als Achtjähriger nach Dresden übersiedelte, ist ein großer Verehrer des griechischen Komponisten Mikis Theodorakis (1925-2021; wie groß lässt sich in der Kritik zu Kutulas‘ Film Dance Fight Love Die nachlesen). Der schrieb von 1988 bis 1990 eine Opern-Musik zum Medea-Stoff. Der Choreograf Renato Zanella machte ein Ballett daraus. Und Kutulas über dieses Ballett einen Film, der gern mit Etiketts wie „Essay“, „Film-Gedicht“ oder „lyrische Film-Collage“ versehen wird.

Um’s kurz zu machen: Recycling Medea ist nichts davon. Kutulas mischt Aufnahmen von den Proben des Balletts mit welchen von der Aufführung. Dazwischen kommen Mikis Theodorakis und Renato Zanella zu Wort. Um das Ganze wahlweise essayistisch oder lyrisch anmuten zu lassen, schneidet der Regisseur die Ballett-Aufnahmen mit Aufnahmen von Protesten auf Athens Straßen und Spielszenen um eine blonde Jugendliche, als „Verlorene“ betitelt, gegen. 

Für einen Essay bedarf es jedoch mehr, als eine Handvoll Aufnahmen von Straßenschlachten unter die zweifelsohne ausgezeichnete Ballett-Aufführung mit der charismatischen Maria Kousouni in der Hauptrolle zu heben. Kritiken von vor knapp zehn Jahren zufolge macht Kutulas hier Assoziationsketten auf: Medea mordet ihre Kinder, so wie das moderne Griechenland (die Zukunft) seine(r) Kinder tötet. Doch ist beziehungsweise war dem seinerzeit wirklich so? Und führen wir diese Assoziationskette einmal zu Ende: Ist der griechische Staat dann nicht die eigentlich tragische Figur? Von der europäischen Austeritätspolitik erst zu diesem Schritt getrieben, völlig ungeachtet all des jahrzehntelangen Filzes. So hatte das der große Systemkritiker Theodorakis sicher nicht im Sinn.

Eine Film-Collage ist Recycling Medea schon eher. Wenn diese auch noch als lyrisch durchgehen soll, dann leiert das Gedicht allerdings. Während die Verschränkung von Tanz- und Protestszenen visuell gut funktioniert, weil sich auch die Straßenkämpfe mitunter wie Choreografien ausnehmen, ragen die Spielszenen mit der von Bella Oelmann verkörperten „Verlorenen“ wie ein Fremdkörper heraus. Bis zuletzt wirken sie wie Füllmaterial, das einzig und allein dazu dient, den Film in die Länge zu ziehen, um auf eine kinotaugliche Laufzeit zu kommen. Und das ist nicht einmal das Schlimmste daran.

Die „Verlorene“, mal in Werbeclip-Ästhetik mit Blumenkranz im Haar an einem See flanierend, mal im Softsex-Filmchen-Filter nackt aus einer Badewanne steigend, dann in einer Bar dem von André Hennicke gespielten Barkeeper die Fingernägel lackierend, zitiert aus dem Tagebuch der Anne Frank (!), was nicht nur nicht zu den gezeigten Bildern passen will, sondern auch nicht zum Rest des Films. Medea, Straßenschlachten, Anne Frank. Welche Assoziationsketten tun sich hier bitteschön auf? Was für eine Lyrik soll das sein? Der Holocaust muss ein weiteres Mal für geistige Kurzschlüsse herhalten. Ein reiner Opern-Ballett-Film wäre besser gewesen.

Recycling Medea: Not an Opera Ballet Film (2013)

Medea, Jason, Bella und Anne Frank, der Komponist und Demonstrant Theodorakis, die Tänzer, die rebellierenden, vermummten Jugendlichen, vorrückende Polizisten, der Choreograph Renato Zanella, der Kameramann – sie alle sind die Akteure, freiwillige und unfreiwillige, in dieser komplexen, zeitübergreifenden Tragödie ‚Medea‘. Eine lyrische Film-Collage, gewidmet der verratenen Jugend und den Eltern, die die Träume und die Zukunft ihrer Kinder einem gnadenlosen Egoismus geopfert haben. (Quelle: recycling-medea.com)

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