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Der neue Langfilm von Kulturtausendsassa Johannes Grenzfurthner ist innovatives Formexperiment, bissige Satire und Genrekino zugleich

Razzennest (2023)

Eine Filmkritik von Simon Stockinger

Podcast-Horror und stumme Marterl

Halb verfallene Gebäude, Zäune, Nebel, Schlamm, Tiere, ein Kirchturm und immer wieder jene religiösen Kleindenkmäler, die in Österreich Marterl genannt werden und dafür sorgen, dass der gemarterte Christus an jeder zweiten Weggabelung zu sehen ist. Wir sehen Aufnahmen aus dem Rohrwald bei Korneuburg, Niederösterreich. Hier befinden sich viele der sogenannten Schwedenlöcher; Höhlen, die während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) der Landbevölkerung als Verstecke vor der schwedischen Armee und feindlichen Freischärlern dienten. Die Filmbilder sind trist bis unheimlich, ihre Montage suggeriert Bedeutungsschwere, scheint aber zugleich willkürlich zu sein. Ihren Kontext erfahren wir durch einen Audiokommentar, der den Film begleitet. Das Gespräch kontrastiert von Beginn an hart gegen die österreichische Landtristesse der Aufnahmen. Es findet in einem Tonstudio in L.A. und in englischer Sprache statt, mehrere Personen nehmen Teil: der Regisseur Manus, einige Mitglieder seines Filmteams, die Filmkritikerin Babette als Moderatorin und außerdem ein immer wieder kalmierend eingreifender Soundtechniker. 

Das Gespräch ist hitzig, gelinde gesagt, was vorrangig am arroganten Manus liegt, einem weißen Südafrikaner mit Afrikaans-Akzent, der sich für ein missverstandenes Genie hält. Der Streit um den Film kulminiert in der Frage, wie sehr die Bilder für sich selbst sprechen. Ein Eiertanz um die lediglich behauptete Kraft künstlerischer Bilder, die ihren (historischen) Kontext angeblich aus sich selbst heraus verständlich machen. Was solcherart bei dem Film im Film mitschwingen soll – die Gewalt des Dreißigjährigen Krieges –, bricht dann aber tatsächlich in das Tonstudio herein, und zwar als Zombie-eske Heimsuchung inklusive eines alptraumhaft gekrächzten Deutschs aus dem 17. Jahrhundert.

Bei der Österreichpremiere von Razzennest im Rahmen der Grazer Diagonale lässt Johannes Grenzfurthner das Publikum wissen, dass der Film bereits in Papua Neuguinea gezeigt wurde und in den USA erfolgreich anlief. Dieser Fluch einer verspäteten Wahrnehmung in seinem Herkunftsland begleitet den Gründer des Kunstkollektivs „monochron“, das in diesem Jahr übrigens 30. Geburtstag feiert. Woher die Ignoranz kommt, ist schwer zu bestimmen. Möglicherweise am Humor, der sich von der spezifisch alpenländischen Düsternis durch eine kosmopolitische, philosophie- und technikaffine Lust am Popkulturellen abhebt. Möglicherweise auch an seinem kompromisslos linken Nerdtum, das sich nicht nur in den Filmen widerspiegelt, sondern auch in brillanten Kunst- und Medien-Guerilla-Aktionen äußert. (Ein Schlüsselwerk von „monochrom“ war etwa die Entsendung des fiktiven Wiener Aktionskünstlers Georg Paul Thomanns zur Biennale in Sao Paulo im Jahr 2002.)

Mit einem Mangel an formaler und inhaltlicher Qualität lässt sich diese Ignoranz der österreichischen Filmwelt jedenfalls nicht rechtfertigen. So funktioniert Razzennest wunderbar als Persiflage eines medial eingeübten Sprechens über Gewalt und deren Darstellung; die erste Hälfte ist ein wahrer Joyride durch den Filmkritik- und Podcast-Jargon. Zugleich wird die prätentiöse Arthouse-Pose, verkörpert in der Figur des Auteurs, stilsicher und bitterböse aufs Korn genommen, wenn dessen Gehabe vom aggressiven Gejammer einer vermeintlich missverstandenen Kunstfeinsinnigkeit fließend in altbekannte – so sexistische wie rassistische – Macker-Allüren übergeht. 

Auch der Wandel dieser brillant geschriebenen Kulturindustrie-Satire in ein böses Genre-Stück vollzieht sich wirkungsvoll. Denn der einsetzende Gewaltexzess – getragen von christlichem Wahn – exorziert den Spaß an der Ironie ziemlich schnell, weil Grenzfurthner die historisch verbrieften Gräuel dieses Krieges kompromisslos in die Handlung einbaut. Das führt dazu, dass trotz des komödiantisch-absurden Szenarios diese gehörte Gewalt kurz derart einfährt, dass die Möglichkeit ihrer Konsumierbarkeit als unangenehme Frage auftaucht. Haneke lässt grüßen. Aber nur kurz, dann schwenkt Grenzfurthner zurück in gewöhnlichere Genre-Bahnen. Das erleichtert zwar, es bleibt aber doch eine Ahnung davon, dass dieser Film hinsichtlich seines selbst gesetzten Anspruchs radikaler hätte sein können. 

Razzennest ist laut Grenzfurthner der zweite Part einer lose über das Thema Horror und Sound verbundenen Trilogie. Der Vorgängerfilm Masking Treshold (2021) – ein monologischer Ritt durch die Nebelregion einer gekränkt-arroganten Nerd-Männlichkeit, der man gebannt bis zur Eskalation zuhört – war dementsprechend schon eine ausgeklügelte Reflexion um die filmische Verschaltung von Bild und Text. In Razzennest wird dieses Verhältnis noch einmal verkompliziert, denn die gesamte Handlung findet auf der Sound-Ebene statt, während die Bilder dazu ein komplexes Verhältnis sich wandelnder Assoziationen entfalten. Dass dieses Spiel seinen Sog bis zuletzt aufrechterhalten kann, ist ein kleines Kunststück. 

In einem Statement für das Magazin Daily Dead bezeichnet Grenzfurthner seinen Film als „notwendige Reflexion über das untote Erbe des mörderischen Christentums“. Und das sitzt. Nicht nur bezüglich Österreich, wo der christliche Konservatismus stets am Rande einer autoritären Regression wandelt, sondern freilich auch hinsichtlich des Aufstiegs des christlichen Rechtsextremismus in den USA.

Razzennest (2023)

Der südafrikanische Filmemacher Manus Oosthuizen, ein bekanntes enfant terrible der Kunstszene, trifft sich mit der Filmkritikerin Babette Cruickshank in einem Tonstudio in Los Angeles. Zusammen mit wichtigen Mitgliedern seiner Filmcrew nehmen sie eine Audiokommentarspur für seinen neuen „elegischen Dokumentarfilm Razzennest“ auf, ein Film in dem sich Oosthuizen auf kryptische Weise mit dem Vermächtnis des Dreißigjährigen Kriegs beschäftigt. Während der Aufnahmesession kommt es zu seltsamen Zwischenfällen

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