Pornografie und Holocaust

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Popkuturelles Phänomen und sexualisierte Traumabearbeitung - die Geschichte eines israelischen Pulpgenres

Die Buchcover zeigen Bilder, die man sonst nur von Naziploitation-Filmen vorwiegend italienischer Provenienz (La bestia in calore / The Beast in Heat oder auch SS Hell Camp von Paolo Solvay, L’ultima orgia dell III Reich von Cesare Canevari und etliche andere mehr) und aus übel beleumundeten Filmen wie Ilsa, She Wolf of the SS (Kanada, 1974, Regie: Don Edmonds) kennt: Peitschenschwingende vollbusige Frauen in engen Nazi-Uniformen, die voller sadistischer Lust die immer noch erstaunlichen muskulösen Körper von Kriegsgefangenen quälen und sich an diesen befriedigen. Die perfide Mischung aus Pornografie und den Gräueln der Nationalsozialisten bildete vor allem in den 1970ern ein Subgenre, das teilweise so einflussreich war, dass es die Verknüpfung von hartem SM-Sex und den Verbrechen der Nazis sogar in einige Arthouse-Produktionen schafften – alle bezeichnenderweise ebenfalls italienischer Herkunft (Salon Kitty von Tinto Brass; Il portiere di notte von Liliana Cavani; Pasqualino settebellezze von Lina Wertmüller und Pier Paolo Pasolinis Salò o le 120 giornate di Sodoma).
Viel weniger bekannt ist allerdings, dass der Boom keine originär italienische Erfindung ist, sondern seine Wurzeln vielmehr in Israel hat. Zu Beginn der 1960er Jahre, zur gleichen Zeit, als der Eichmann-Prozess die israelischen Gesellschaft in Atem hielt, tauchten plötzlich wie aus dem Nichts die pornografischen Stalag-Heftchen („Stalagim“) auf und wurden rasch zu einem Massenphänomen. Aus heutiger Perspektive scheint es fast so, als habe sich zu dieser Zeit nach langen Jahren des Schweigens die Aufarbeitung der Nazi-Gräuel ein Ventil gesucht und in den Schundromanen, die stets nach dem gleichen Muster aufgebaut waren, auch gefunden. Vor allem unter Jugendlichen waren die bizarren Heftchen äußerst beliebt, da sie zu ihrer Zeit die einzige Form frei erhältlicher pornografischer Literatur darstellten und zugleich das thematisierten, wovon die Eltern schwiegen – das Trauma des Holocaust.

Die Autoren, häufig Kinder von Überlebenden des Holocaust, trugen englisch oder amerikanisch klingende Pseudonyme wie Mike Longshot, Mike Baden oder Ralph Butcher und schrieben in der um Authentizität bemühten Ich-Perspektive Variationen der immer gleichen Geschichte: Ein abgeschossener Pilot aus den Vereinigten Staaten oder Großbritannien wird in ein Stalag (=Stammlager) der Nationalsozialisten gebracht und dort von Aufseherinnen bestialisch gequält und vergewaltigt, bis er sich am Ende befreien kann und sich mit Folter, Vergewaltigung und Tötung an seinen Nazi-Peinigerinnen rächt. Der Boom der Heftchen mit den reißerischen Illustrationen war zwar enorm (ein Titel verkaufte sich 80.000 mal), währte aber nur kurz. Als der Oberste Gerichtshof Israels feststellte, die Stalag-Geschichten seien verwerflich, verschwanden sie beinahe ebenso schnell wieder von der Bildfläche und wurden zu begehrten Sammelobjekten. Anders erging es einem Schriftsteller, den Ari Libskers ebenso faszinierender wie gruseliger Dokumentarfilm Pornografie und Holocaust als wesentlichen Impulsgeber der „Stalagim“ identifiziert: Die Bücher von Yehiel Dinur (oder De-Nur) hingegen, die der Autor ab dem Jahr 1953 unter dem Namen Ka-Tzetnik 135633 (eine Anspielung auf seine zweijährige Inhaftierung in Auschwitz und seine Häftlingsnummer) schrieb und die historische Erfahrungen mit sadomasochistischen Fantasien vermischen (u.a. im Buch Das Haus der Puppen), sind heute offizieller Unterrichtsstoff an den Schulen, wie man in Ari Libskers Dokumentarfilm Pornografie und Holocaust erfährt.

Ari Libskers Spurensuche eines popkulturellen Phänomens fördert solche historischen Bezugsgrößen zu Tage und ordnet sie in einen zeitgeschichtlichen Kontext ein, der die heute bizarr anmutende Vermischung von sexuellen Fantasien und dem Holocaust nachvollziehbar und verständlich macht. In einer Gesellschaft, die bis in die 1960er hinein über das Erlebte und Erlittene schwieg, markieren die Stalags das erste Aufbrechen des Schweigens. Zugleich thematisieren und verstärken sie eine unheilvolle Tendenz in der israelischen Gesellschaft: Immer wieder und zum Teil bis in die heutige Zeit hinein hält sich hartnäckig das Gerücht, dass jüdische Insassinnen den Wärtern als sexuell zu Diensten gewesen sein sollen, obwohl es dafür nach wie vor keinen überprüfbaren Beweis gibt.

So gründlich Libsker den historischen Kontext auch erforscht, seine Analysen im Bezug auf die Gegenwart bleiben merkwürdig unkonkret. An einer Stelle interviewt er den israelischen Juristen Eyal Liani, der von seiner gewalttätigen Affäre mit einer Deutschen berichtet, deren Großvater SS-Offizier war: „Der Gedanke an diese nichtjüdische Deutsche erregt mich so, dass ich sie im Namen der sechs Millionen ficke. Und zwar so, dass ich sie von hinten ficke oder Gewalt anwende. Das macht mich an. Und es macht sie an. Wenn ich sie ansehe, stelle ich mir ihren Großvater vor. Ich sage: „Du hast Juden getötet.“ Aber schau, was dieser Jude jetzt mit deiner Enkelin macht.“

In diesen Worten spürt man deutlich, welche sexuell konnotierten Fantasien auch heute noch im Bezug auf den Holocaust vorhanden sind – gerade in Israel. Es wäre durchaus interessant, diese Spur in die Gegenwart weiter zu verfolgen. Auch wenn die berüchtigten „Stalagims“ heute allenfalls in den Händen von Sammlern zu finden sind – ihr Einfluss auf die kollektive Verarbeitung eines Traumas lässt sich bis heute nachweisen. Die Folgen dieser Traditionslinie sind hingegen nur vage abschätzbar. So mutig Ari Libskers Tabubruch der Aufarbeitung eines popkulturellen Phänomens auch sein mag, vor diesem Schritt scheut seine detail- und assoziationsreiche und überaus sehenswerte Analyse dann doch zurück.

Pornografie und Holocaust

Die Buchcover zeigen Bilder, die man sonst nur von Naziploitation-Filmen vorwiegend italienischer Provenienz („La bestia in calore“ / „The Beast in Heat“ oder auch „SS Hell Camp“ von Paolo Solvay, „L’ultima orgia dell III Reich“ von Cesare Canevari und etliche andere mehr) und aus übel beleumundeten Filmen wie „Ilsa, She Wolf of the SS“ (Kanada, 1974, Regie: Don Edmonds) kennt:
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