Log Line

Dieser Stoff ist nicht totzukriegen. Allein in diesem Jahr kommen drei neue Adaptionen von Carlo Collodis Geschichte auf den Markt. Robert Zemeckis‘ Version startet bei Disney+ – und hat alte Weggefährten im Gepäck.

Pinocchio (2022)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Fades Spiel mit Robert Zemeckis

Der Disney-Konzern muss sich viel vorwerfen lassen, Einfallslosigkeit zählt nicht dazu. Zumindest was die Einnahmequellen anbelangt, zeigt sich das Haus mit der Maus kreativ. Die Idee, alte Animationsfilme als Realfilme neu aufzulegen, reicht bis in die 1990er zurück. Richtig los ging es aber erst 2010 mit Tim Burtons Alice im Wunderland. Darauf sind 13 weitere Realverfilmungen gefolgt. Manche davon waren kaum vom Original zu unterscheiden, andere gingen recht frei mit der Vorlage um. Robert Zemeckis bleibt dicht am Trickfilm und erreicht doch nie dessen Klasse.

Die bislang beste Realverfilmung der zum Leben erwachten Holzpuppe, die ein echter Junge werden möchte, lieferte Matteo Garrone ab. Seine Variante war nah an Carlo Collodis Kinderbuch, dadurch recht düster und sicherlich nicht für jedes Kind geeignet. Von Garrones Interpretation des Ausgangsstoffs könnte Zemeckis‘ kaum weiter entfernt sein, was sich bereits im Setting zeigt.

Zemeckis‘ Italien ist kein realistischer Ort, sondern das aus Hamilton Luskes und Ben Sharpsteens Zeichentrick-Klassiker vertraute Märchengebilde. Der Ort, in dem der von Tom Hanks gespielte Tischler Geppetto seine Werkstatt hat, könnte in all seiner Kulissenhaftigkeit und Farbenpracht auch in einem von Disneys Freizeitparks stehen. In Geppettos uriger Werkstatt grüßt eine Armada von Kuckucksuhren von der Wand, deren Holzfigürchen allesamt anderen Disney-Filmen entnommen sind. Sogar Jessica und Roger Rabbit aus Zemeckis‘ eigenem Film Falsches Spiel mit Roger Rabbit (1988) sind darunter und erinnern wehmütig daran, welchen Zauber ihr Regisseur auf der großen Leinwand einst entfaltete. Und auf dem Tisch liegt eine Seifenschachtel, die den Markennamen Collodi trägt. Ein Hinweis darauf, dass die Disney-Version fein säuberlich von allen schmutzigen Stellen befreit ist?

Die große Schwäche von Collodis Geschichte ist das Episodische, was ihrem Ursprung geschuldet ist. Zunächst in Fortsetzung in einer Wochenzeitung für Kinder veröffentlicht, war der Buchversion, die im italienischen Original den Titel Le avventure di Pinocchio trägt, noch deutlicher anzumerken, dass der Schriftsteller viele seiner Figuren und Orte nur grob umrissen hatte. Dieses Skizzenhafte legt nun auch Zemeckis‘ Verfilmung nicht ab. Zwar verbindet Drehbuchautor Chris Weitz (der auch schon das Skript zur Realverfilmung von Cinderella verfasste) die Situationen, in die Pinocchio nacheinander stolpert, so geschickt miteinander, dass ein nahtloser Erzählfluss entsteht. Wirklich Fleisch auf die Rippen vermag aber auch er den Figuren nicht zu geben. Es bleibt nicht das einzige Problem dieser mittelmäßigen Adaption.

Die Verwendung aufwendiger Tricks, häufig auch computergenerierter, ist eines von Zemeckis‘ Markenzeichen. In Filmen wie Zurück in die Zukunft (1985), Der Tod steht ihr gut (1992) oder Forrest Gump (1994) waren sie State of the Art. Ja, selbst in seinen jüngeren Filmen The Walk (2015), Willkommen in Marwen (2018) und Hexen hexen (2020) überzeugen sie. Die Mischung aus Real- und Animationsfilm, die der 1951 geborene Regisseur im oben erwähnten Falsches Spiel mit Roger Rabbit noch mit Bravour meisterte, ist in Pinocchio hingegen völlig misslungen.

Von den am Rechner erschaffenen Figuren beeindrucken die wenigsten, am ehesten noch Jiminy Cricket, die im englischen Original von Joseph Gordon-Levitt gesprochene Grille, die Pinocchio als Gewissen dient und als Erzähler durch den Film führt. Auch der Fuchs (Originalstimme: Keegan-Michael Key) und sein stummer Begleiter, der Kater, gefallen, strahlen aber keinerlei Gefahr aus. Mehr als dummdreiste Gauner, die dem leidlich vorhandenen Humor des Films als Punchingbälle dienen, sind sie nicht. Mit solch blassen und dürftig geschriebenen Nebenfiguren fällt denn auch die Entwicklung des Titelhelden schwer, die stets mehr behauptet bleibt, als dass sie nachvollziehbar erzählt wird.

Die größte Schwachstelle ist die Gestaltung der Hauptfigur selbst. Die kleine Holzpuppe sieht so aus, als hätten sich die Macher nicht auf einen Look einigen können. Unter Pinocchios realistisch wirkenden Haaren, die einem den Duft des Pinienholzes, aus dem sie geschnitzt sind, förmlich in die Nase steigen lassen, blicken uns flache Zeichentrick-Augen aus einem konturlosen Gesicht an. Ein grässlicher Mix, der bis zuletzt irritiert.

In vielen Actionszenen ist das nicht besser. Sind die Stunts echt, entwickeln sie Wucht. Sind sie stattdessen am Computer programmiert, wird man beim Zusehen ein ums andere Mal aus der Illusion geworfen. Großartige Sets wie die an Las Vegas erinnernde Vergnügungsinsel für Kinder bleiben die Ausnahme, nicht die Regel. Selbst Tom Hanks’ Charme, den er unter der Regie von Zemeckis bislang dreimal an den Tag legen durfte, kommt diesmal kaum zum Tragen und kann den Film nicht retten. Den Zauber der Zeichentrickversion entfaltet die Realverfilmung nur ein einziges Mal, wenn die von Cynthia Erivo gespielte blaue Fee When You Wish upon a Star intoniert, eben jenes Lied aus dem Zeichentrickfilm, das inzwischen zu Disneys inoffizieller Hymne geworden ist.

Angesichts einer so schwachen Adaption stellt sich die Frage, warum Disney überhaupt noch an seinen Realverfilmungen alter Zeichentrickfilme festhält. Marktwirtschaftlich mögen diese vielleicht Sinn ergeben. Aber wären all die millionenschweren Budgets nicht besser in gänzlich neuen Stoffen investiert?

Wer von der kleinen Holzpuppe, die ein echter Junge werden will, nicht genug bekommen kann, hat in diesem Jahr übrigens noch zwei weitere Male die Gelegenheit dazu. Der russische Zeichentrickfilm Pinocchio – Eine wahre Geschichte erscheint Ende September 2022 direkt auf DVD und Guillermo del Toros Pinocchio startet im November bei Netflix. Vorab soll es auch einen limitierten Kinostart geben – hoffentlich auch in Deutschland. Denn Carlo Collodis nicht totzukriegende Geschichte gehört auf die große Leinwand.

 

Pinocchio (2022)

Eine Live-Action-Adaption von Disneys „Pinocchio“.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Kerstin · 08.04.2023

Wunderschöne Neuverfilmung in naher Anlehnung an den Zeichentrickfilm. Viele verwechseln den anderen "neuen" Pinocchio-Film von ,Capelight Pictures, der zwar an das Original-Buch anlehnt, aber nichts mit der Disney-Verfilmung zu tun hat.
Die Disney Neuauflage hingegen ist detailgetreu und wieder mit viel Liebe hergestellt.
Die blaue Fee zweigt, dass auch bei Disney die Diversität Einzug gehalten hat, was aber in keinster Weise negativ zu bewerten wäre.
Meine Erwartungen wurden vollkommen erfüllt.

Tülps · 06.10.2022

Regelrecht schockiert hat mich das Auftauchen der blauen Fee, düster und glatzköpfig, eine der gruseligsten Figuren überhaupt. Muss das sein?
Insgesamt ist Pinocchio von Carlo Collodi ja schon gefühlte millionen Mal verfilmt und uminterpretiert worden. Und selbst wenn die Verfilmung von 1940 ziemlich von der literarischen Vorlage abweicht, so war das dennoch einer der liebevollsten Disney-Klassiker überhaupt, an welche die Neuverfilmung nicht im Entferntesten heranreicht.

Charley · 25.09.2022

Furchtbarer Film. Super gruselig und unruhig. Werder für Kinder noch für Erwachsene gemacht.. Hässlich und keine schöne Musik. Es ist und bleibt halt nur ein Abklatsch.