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Mike Leigh hat ein Herzensprojekt in Angriff genommen. Er setzt dem Beginn des Klassenkampfes in England mit „Peterloo“ ein Denkmal.

Peterloo (2018)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Von Waterloo zu Peterloo

Ausgerechnet Amazon Studios, die einem der reichsten Männer dieses Planeten gehören, haben einen Film über die Anfänge des Klassenkampfes in Manchester produziert. Das ist die erste Ironie von Mike Leighs Peterloo. Die zweite findet sich in der Handlung, Leigh bereitet sie bereits in der erste Szene des Film vor. Dort steht der junge Engländer Joseph (David Moorst) auf dem Schlachtfeld von Waterloo, die Franzosen sind geschlagen, seine Kameraden gefallen, um ihn wehen Rauchschwaden übers Feld, sein Gesicht ist zu einem Heulen verzogen, doch das verkneift er sich. Er hält so lange durch, bis er zu Fuß zurück nach Manchester gelaufen ist und an der Haustür seiner Mutter in die Arme fällt, erst da lässt er das Kriegstrauma über sich hereinbrechen. Von den Schrecken der Schlacht wird er sich nicht mehr erholen. Ein Zittern, eine Nervosität bleibt in seinem Blick. Über die nächsten zwei Stunden verliert man ihn fast schon aus den Augen, bis er sich während der Demonstrationen auf dem St. Peter’s Field in Manchester plötzlich in der nächsten Schlacht steht. Dem Krieg gegen die Franzosen entkommen, um in das Massaker der Grundbesitzer und Adligen an den Arbeitern in Manchester zu geraten. 

Doch bis Joseph dort ankommt, vergeht wie gesagt, einige Filmzeit. Die nimmt Mike Leigh sich, um die gesellschaftlichen Zustände in England um 1819 in Ruhe zu beleuchten. Er wirft einen langen Blick in die Arbeiterviertel, die um Manchesters Spinnereien entstanden, in denen die Familien trotz härtester Schufterei kein Brot auf den Tisch bringen können. Er zeigt die Großgrundbesitzer, die Geistlichen, die Richter, die mit härtester Hand gegen jede kleinste Gesetzesübertretung vorgehen. Einem Hausmädchen, das zwei Weinflaschen gestohlen hat, wird ein Jahr Gefängnis angedroht. Ein Arbeiter, der eine Jacke gestohlen hat, wird zum Tode verurteilt. Die Mächtigen wollen die Arbeiter gar nicht erst auf Idee kommen lassen, dass sie sich gegen die bestehenden Strukturen auflehnen könnten und einen Teil der Macht für sich beanspruchen. Das gelingt natürlich nicht. Die Unruhe ist groß, die Arbeiterschaft will eigene Vertreter im Parlament und fordert eine Änderung des Wahlrechts. Dies soll auf der Versammlung auf dem St. Peter’s Field kundgetan werden. Der Rest ist Geschichte: Rund 60.000 Menschen versammelten sich in Manchester, darunter auch viele Familien mit Frauen und Kindern. Britische Soldaten schlugen die friedliche Demonstration blutig zusammen. Viele Demonstranten wurden getötet oder verletzt. Die anwesende Presse berichtete unter dem Titel „Das Massaker von Peterloo“ landesweit darüber.

Unter diesem Schlagwort ging es in die britische Geschichte ein, Percy Shelly schrieb ein Gedicht darüber. Das Massaker war der Wendepunkt für Reformen in England, denn nach dem brutalen Angriff auf die Demonstranten konnte die britische Regierung nicht mehr zurück und musste den Arbeitern Rechte zugestehen. Mike Leigh erzählte in Interviews zum Film, dass aber gerade der Anstoß, das Massaker selbst, in seiner Kindheit fast schon vergessen waren. Als er in Manchester aufwuchs, habe es nie auch nur einen Ausflug an den historischen Ort gegeben, nicht einmal in der Schule sei es thematisiert worden. Kein Wunder also, dass der 75 Jahre alte Regisseur dieses Herzensprojekt nun mit dem Produktionsgeldern von Amazon durchgezogen hat. Welches Hollywood-Studio würde schon für einen gut 154-minütigen Historienfilm über den Klassenkampf im frühen 19. Jahrhundert ein großes Budget herausrücken? Mike Leigh, auch das erzählte er in Interviews, berücksichtigte also denRatschlag seines Freundes Ken Loach, der ihm einmal sagte: “If you don’t take money out of those capitalist pockets, then someone else will, and you’ve got mouths to feed. Do it!” 

Herausgekommen ist ein großes Zeitporträt, das keine einzelne Figur in den Mittelpunkt rückt, sondern das Zusammenspiel vieler Akteure mit dem ganzen Pathos eines Historiendramas vereint. In kurzen Strichen schafft Leigh es, selbst jenen Demonstranten auf dem St. Peter’s Field eine Hintergrundgeschichte, Motivation und Tiefe zu geben, sodass die Soldaten nicht einfach nur eine Menschenmasse niederreiten, sondern jedes einzelne dieser angerissenen Schicksale dabei auslöschen. Bis man am Ende noch einmal den jungen Joseph sieht, der für die Demonstration wieder seine Soldatenuniform angelegt hat, denn das sind die besten Kleider, die er besitzt. Er steht abermals in einer wirbelnden Wolke aus Staub und Qualm und um ihn herum fallen die Leiber zu Boden. Doch diesmal ist es seine eigene Regierung, die auf die Menschen schießt. Wenn aus all den großen Eindrücken dieses Films einer bestehenden bleibt, dann dieser. 

Peterloo (2018)

Mike Leighs neuer Film erzählt von einer der blutigsten Episoden der britischen Geschichte, dem Massaker von Peterloo im Jahre 1819, bei dem die Regierung mit Hilfe der Kavallerie den friedlichen Protest von mehr als 80.000 Menschen niederschlug, die gegen die Einfuhrzölle von Getreide und für eine Parlamentsreform demonstriert  hatten.

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