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Der neue Spielfilm von Wim Wenders ist eine Feier der einfachen Dinge, der Poesie in den alltäglichen Ritualen und der leidenschaftlchen Hingabe. Erstaunlich, wie sehr dieses Porträt eines glücklichen Mannes in sich ruht.

Perfect Days (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Lob der Einfachheit

Es dauert eine Weile, bis man realisiert, dass der Mann, dem man in den ersten Szenen von „Perfect Days“ bei seinem ritualisierten Alltag zusieht, ein Schauspieler ist, dass der Film, in dem man sich befindet, eine Fiktion ist und keine Dokumentation eines Lebens im immer gleichen Ablauf der Dinge und Tätigkeiten.

Hirayama (Koji Yakusho) ist ein alleinstehender Mann von ca. 60 Jahren, dessen Tage sich in ihrem Ablauf gleichen. Dies wäre für manche Menschen mit Sicherheit eine schreckliche Vorstellung, er aber, so hat es den Anschein, hat es sich genau so in seinem Leben eingerichtet, wie es ihm gefällt. Geweckt (nur an Sonntagen schläft er ein wenig länger) von den Geräuschen eines alten Straßenkehrers, der mit einem Reisigbesen seine Arbeit verrichtet, beginnt der Mann seine Morgenrituale, putzt sich die Zähne, wäscht sich das Gesicht, um dann in seinem Arbeitsoverall mit der Aufschrift „Tokyo Toilets“ zu steigen. Den Schlüssel, das Telefon und etwas Kleingeld eingepackt, um dann die kleine Wohnung zu verlassen, sich an einem Automaten einen Dosenkaffee zu holen, und sein Auto zu starten, nachdem er den ersten Schluck getrunken hat. Unterwegs legte er eine seiner unzähligen Musikkassetten ein, mit klassischen Rocksongs der 1960er und 1970er Jahre, die dem Film wiederum eine Struktur geben und ihn mehr oder weniger in Kapitel einteilen. Und so beginnt sein Tag und sein Tagwerk, das darin besteht, die vielen unterschiedlichen öffentlichen Toiletten der japanischen Metropole abzufahren und diese zu reinigen.

Wobei die Rede vom Reinigen fast zu wenig ist, um auszudrücken, mit welcher Gründlichkeit, Hingabe, Zärtlichkeit und – ja – beinahe Liebe Hirayama zu Werke geht. Nicht nur widmet er sich nämlich der Reinigung der stillen Örtlichkeiten. Er hat dabei auch stets ein Auge und ein Ohr dafür, ob ein betrunkener Zecher oder eine alte Dame einem dringenden Bedürfnis nachgehen müssen, räumt dann lächelnd seine Utensilien beiseite, verlässt den Raum und macht sich unsichtbar. Überhaupt ist Hirayama, der – so legen es die vielen Bücher, die sich in seiner Wohnung befinden und die Auswahl der Werke, die er liest (unter anderem Kurzgeschichten von Faulkner und Romane von Patricia Highsmith) – ein Mann mit erstaunlichen Interessen: Seine Mittagspausen verbringt er stets im Park, eine kleine Analogkamera stets bei sich, mit der er versucht, Stimmungen einzufangen: Blätter, durch die das Sonnenlicht fällt. Jedes Wochenende bringt er die fotografische Ausbeute zum Entwickeln und sortiert dann gnadenlos und mit dem präzisen Auge eines Künstlers aus.
 
Ein anderes Ritual, dem er sich widmet, ist das Ausgraben von Baumsprößlingen, die er entdeckt und in improvisierten Töpfchen aus Zeitungspapier hegt und pflegt. Was genau mit den Pflanzen dann geschieht, erfahren wir zwar nicht, aber die Geste und die Bewegungen, mit der er dabei vorgeht, ist so voller Zärtlichkeit, dass die Frage nach dem Wie und dem Warum schnell in den Hintergrund tritt.
 
Immer wieder begleitet die Kamera auch die einfachsten und scheinbar banalsten Kleinigkeiten dieses stillen, wortkargen Mannes, mit ebenso großer Hingabe, mit der Hirayama seinen Alltag zelebriert: Der Besuch eines öffentlichen Bades, die sonntäglichen Fahrten mit dem Fahrrad, der Besuch der immer gleichen Garküche. Nichts ist Wim Wenders in der Hinwendung zu seinem faszinierenden Protagonisten von zu geringem Wert, um es nicht geduldig zu begleiten und in traumschönen und teilweise überaus poetischen Bildern (Kamera: Franz Lustig) festzuhalten
 
Erst als eines Tages die junge Niko auftaucht, gerät diese Routine der perfekten Tage ein wenig durcheinander. Die junge Frau, so stellt sich heraus, ist die Nichte seiner Schwester, zu der Hirayama seit Jahren schon keinen Kontakt mehr hat. In einem anderen Film würde eine solche Störung der täglichen Ordnung alles zum Einsturz bringen. Perfect Days aber lässt seinem Protagonisten sein selbstgewähltes Leben und auch seine Geheimnisse. Zwar erfahren wir ein wenig mehr von seiner Herkunft aus privilegierten Verhältnissen und seine absichtliche Abkehr von dieser. Doch seine Lebensphilosophie, die vor allem eine Feier des Augenblicks und der reinen Gegenwart ist, ist so fest und stabil, dass es keinen Absturz gibt, sondern wir zum Schluss feststellen müssen, dass wir in der Tat gerade einen glücklichen Menschen beobachten durften.
 
Mit seinen klaren, bewusst einfachen und reduzierten Bildern, der Stille und einem faszinierenden Protagonisten ist Perfect Days eine Feier des Lebens, ein Lob des Einfach und eine überaus liebevolle Apologie des Außenseitertums.

Perfect Days (2023)

Hirayama scheint vollauf zufrieden mit seinem einfachen Leben als Toilettenreiniger in Tokio. Außerhalb seines sehr strukturierten Alltags genießt er seine Leidenschaft für Musik und für Bücher. Und er liebt Bäume und fotografiert sie. Eine Reihe von unerwarteten Begegnungen enthüllt nach und nach mehr von seiner Vergangenheit. Eine zutiefst bewegende und poetische Reflexion über die Suche nach Schönheit in der alltäglichen Welt um uns herum.

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Meinungen

Martin Zopick · 22.01.2024

Auf dieses Kunstwerk von Wim Wenders muss man sich einlassen. Im Zentrum dieser perfekten Tage steht der Alltag des Toilettenreinigers Hirayama (Koji Yakusho). Die Monotonie des Alltags wirkt mit ihren Wiederholungen keineswegs langweilig, weil Wenders es versteht die Eintönigkeit des Tagesablaufs durch kleine, aufmunternde Highlights immer wieder aufzuhübschen und gleichzeitig den Zuschauer unbewusst dank des großartigen Hauptdarstellern sowie Crew und Ambiente mit einer latenten Charmeoffensive zu attackieren. Von den kleinen Dramen aus Hirayamas Arbeitswelt mit Kollegen oder Kunden wird durch das Auftauchen seiner Nichte (Arisa Nakano) zusätzliche Hintergrundinfo geliefert, was Spekulationen über den Tennessee Williams lesenden Toilettenreiniger freisetzen könnte oder ein Streiflicht auf seinen familiären Hintergrund wirft. Der Score mit Beispielen von Otis Reading oder Lou Reed z. B. streichelt die Seele des Publikums und verstärkt das Feel-Good-Gefühl emotional. Dazu gehört auch die japanische Version des House of the Rising Sun leicht verfremdet gesungen von der Enka Ikone Sayuri Ishikawa.
Das Tic-tac-toe Sudoku, das Hirayama mit einem unbekannten Toilettenbenutzer mittels eines Zettels hinter dem Spiegel spielt, leitet zum finalen Überbau, wenn der Toilettenreiniger mit dem Ex der Enka Sängerin Tomoyama (Tomokazu Miura), der er offenbar recht freundschaftlich zugetan ist, aber über sein Verhältnis zu ihr nicht sprechen will. Die beiden klären nun die Frage, ob ein Doppelschatten dunkler ist als ein einfacher. Beide Phänomene sagen doch etwas über das frühere Leben von Hirayama aus, ähnlich wie sein Umarmen der Bäume. Er ist für seine Umgebung wie das Auge eines Orkans, in dem es ja bekanntlich windstill ist, während um ihn herum die großen und die kleinen Probleme umhergewirbelt werden. Er ist mit seinem Leben zufrieden. Für ihn sind es perfect days.

Valentin · 08.01.2024

Leudde wieso sagt keiner was zu Poor Things?
Diesen offenbar langweiligen Film kommentieren scheinbar alle und drüben Funkstille?

Seid ihr verrückt?

Ich will wissen wie Poor things ist!

Apel · 06.01.2024

Was will da erzählt werden? Personen kommen und gehen ohne das man sie kennenlernt. Kein Thema. Keine Aussage. Kein Anspruch. Einzig der Hauptdarsteller hat Größe.

Michael Mandel · 03.01.2024

Ich war sehr enttäuscht. Wenders zelebriert den Mythos des glücklichen Intellektueller, der sich in Einfachheit bescheidet. Irgendwie sehr edel, aber auch sehr verlogen. Und langweilig. Einzig die Fahrten durch Tokio sind eindrucksvoll.

coco · 01.01.2024

der langweiligste film seit langem

Thomas · 27.12.2023

Unbedingt bis zum Ende des Abspanns ansehen! Dort wird auf das faszinierende Lichtspiel, das sich durch den ganzen Film zieht, eingegangen.

Und bitte: Wer ist der Interpret von Perfect day im Abspann? Ein reines Instrumentalstück, in dem sich der ganze Film noch einmal verdichtet.

Helmut Schiestl · 19.12.2023

Niko ist natürlich Hyrajamas Nichte weil Tochter seiner Schwester! So hab ich zumindest verstanden. Sie wird dann ja von ihrer Mutter bei Hyrajama wieder abgeholt.