Pelo malo

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Im Ghetto

Junior hat krauses Haar — so wie sein farbiger Vater. Doch sein Vater ist tot und Junior will glattes Haar haben — so wie der Sänger, der sein Vorbild ist. Und er will als Sänger mit glattem Haar posieren auf dem Foto, das er zur Schule mitbringen muss, wenn er demnächst die erste Klasse besucht. Juniors Mutter Marta hat für so etwas keine Zeit. Gerade hat sie ihren Job als Wachfrau verloren und muss zusehen, wie sie Junior und seinen kleinen Bruder satt bekommt. Die kleine Familie wohnt in einem Ghettobau, zusammen mit Hunderten anderer armer Familien irgendwo in Venezuela. Einzig Juniors Großmutter hat Verständnis für den Jungen. Ab und zu glättet sie ihm das Haar. Sie will, dass Junior bei ihr bleibt. Als Altersversicherung. Und sie ist es, die Marta alsbald genau das sagt, was diese die ganze Zeit schon befürchtet: Junior, obwohl noch präpubertär, probiert sich aus, sucht seine Identität. Dass der Junge schwul sein könnte, lässt in Marta eine unglaubliche Wut ausbrechen. Sie ist bereit zu extremen Mitteln zu greifen, um den Sohn auf den „richtigen“, den gesellschaftlich konformen Weg zu bringen.
Ganz schön harter Tobak ist das, was Mariana Rondón (Postcards from Leningrad) hier inszeniert. Es erinnert stark — und das ist durchaus positiv gemeint — an den Berlinale-Beitrag Tomboy von Céline Sciamma. Pelo malo zeigt das kleine Familiendrama, um das herum der Film angeordnet ist, stets mit viel Sensibilität, aber niemals mit Sentimentalität. Das Leben in Caracas, Venezuela ist hart — vor allem dann, wenn man arm ist. Schon allein das Ghetto, das als Hintergrund für die Geschichte dient, lässt erahnen, dass für Sentimentalitäten jeglicher Art sowieso kein Platz ist. Umso weniger Raum ist für Jungs wie Junior, dessen Interessen und Versuche, sich selbst zu finden, eigentlich nirgendwo Platz haben, außer in den wenigen Minuten, in denen er mal allein ist. Doch es dauert nicht lang und schon kommt jemand hereingeplatzt oder die Mutter ruft nach ihm. Privatsphäre ist ein Luxus, den sich auch die erwachsene Marta nicht erlauben kann. Zu beengt sind die Verhältnisse. Die Kamera bleibt ebenfalls stets bei den Protagonisten, gönnt ihnen nur ein wenig Raum, wenn sie sich im Wahnsinn und Gewimmel der Großstadt bewegen.

Pelo malo ist ein durch und durch neorealistischer Film, eine Milieustudie und zugleich eine genaue Beobachtung der schwierigen Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Hier kocht im Inneren über, was der Druck von außen überhaupt erst geschaffen hat. Was Pondon absolut richtig macht und wofür sie zu Recht die Goldene Muschel in San Sebastian erhielt, ist die Art und Weise, wie sie mit ihren Charakteren umgeht: Es wird beobachtet, bis ins kleinste Detail wird nichts ausgespart, alles wird gezeigt und durch Bild, Ton oder Dialog ausgesprochen. Zugleich aber enthält sich der Film jeder Wertung und Be- oder Verurteilung. Weder Mutter, noch Sohn, noch die anderen Figuren werden einer moralischen Deutung unterzogen. Es ist, was es ist: Die Realität in aller ihrer Hässlichkeit und all ihrer Ehrlichkeit. Die Szenen sind größtenteils improvisiert, die Kamera eher dokumentarisch, die Geschichte dadurch umso rauer und kantiger — aber eben auch echter und wirkmächtiger.

Pelo malo

Junior hat krauses Haar — so wie sein farbiger Vater. Doch sein Vater ist tot und Junior will glattes Haar haben — so wie der Sänger, der sein Vorbild ist. Und er will als Sänger mit glattem Haar posieren auf dem Foto, das er zur Schule mitbringen muss, wenn er demnächst die erste Klasse besucht.
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