Our Terrible Country

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Überleben in Syrien?

Ziad Homsi ist Fotograf und Kameramann. Doch in der ersten Szene von Our Terrible Country hat er keine Kamera, sondern ein Gewehr in der Hand. Der junge Syrer beteiligt sich sporadisch am Kampf der Rebellen in seiner Heimatstadt Douma. In diesem Vorort von Damaskus hat auch der bekannte syrische Schriftsteller und Dissident Yassin al-Haj Saleh zusammen mit seiner Frau Samira Unterschlupf gefunden. 16 Jahre hat der studierte Mediziner in den 1980er und 1990er Jahren wegen Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei im Gefängnis verbracht. 2011 ist er untergetaucht, um die Revolution in Syrien zu unterstützen. „Dr. Yassin“, wie sie ihn nennen, ist für die junge Generation in Syrien eine wichtige intellektuelle Stimme.
Auch Mohammad Ali Atassis Dokumentarfilm Our Terrible Country war als Porträt des „Doktors der Revolution“ geplant, mit Ziad Homsi hinter der Kamera. Dann hat es während der Dreharbeiten in den Ruinen von Douma zwischen Ziad und dem 30 Jahre älteren Yassin klick gemacht. Sie werden zu Freunden – und Ziad damit zum zweiten Protagonisten des Films. Statt eines Intellektuellen-Porträts nimmt ein dokumentarisches Roadmovie seinen Lauf, das von einer gefährlichen Reise erzählt, die Yassin schließlich widerwillig ins türkische Exil führt. Für einen Schriftsteller sei es wichtig, in der Situation zu leben, über die er schreibt, sagt er im Film, als er durch die „befreite Zone“ von Douma läuft, vorbei an den zerbombten Häusern. In dieser Situation zu leben – das ist schier unmöglich. Auch davon erzählt der Film am Rande, wenn Yassin später von Istanbul aus mit seiner Frau skypt, die in Douma zurückgeblieben ist, das nun unter Belagerung steht. Benzin und Lebensmittel gingen aus, erzählt sie gerade, da bricht die Internet-Verbindung ab.

Weder Yassin noch seine Frau besitzen einen Pass, das Regime lässt sie nicht reisen. Yassin hat es mit dem Pass seines Bruders nach Istanbul geschafft. Die erste Flugreise seines Lebens. In Istanbul die erste U-Bahn-Fahrt, hier scheitert er fast an den elektronischen Durchgangs-Schranken, die ihm den Weg nicht freigeben wollen. Die Assoziation an einen Grenzzaun drängt sich auf.

Our Terrible Country besticht durch die Nähe zu den Protagonisten und die Authentizität der Situationen, nicht durch filmische Raffinesse. Handkamera, kleines Mikro draufgesteckt, draufgehalten. Doch was sich in diesen – durchaus ein wenig disparat anmutenden – Szenen erzählt, die über ein Jahr hinweg entstanden sind, ist eine ganze Menge: über den Zustand des zerstörten Landes und über die Revolution, die sich zwischen den Truppen des Regimes und dem vorrückenden Islamischen Staats zerrieben sieht. „Die Revolution“ bekommt in Our Terrible Country zwei menschliche Gesichter: zwei Männer, die verschiedenen Generationen angehören und sich beide irgendwann zermürbt fragen, ob alles richtig lief, ob sie wirklich ihr Bestes für ihre Sache getan haben – oder ob sie nicht vielleicht sogar Mitschuld am Aufstieg des IS in der Region haben. Zwei Brüder von Yassin sind von Kämpfern des Islamischen Staats entführt worden, auch Ziad gerät einen Monat lang in ihre Gewalt.

Vieles in Our Terrible Country erzählt sich nur in Andeutungen oder den Zeilen, die Yassin später geschrieben hat und die den Film quasi als Off-Kommentar abrunden. Doch eine Szene entfaltet gänzlich unspektakulär ihre ganze, emotionale Wucht vor laufender Kamera und bildet den Kulminationspunkt des Films: Ziad hat es aus der IS-Gefangenschaft zurück nach Istanbul geschafft, er sitzt neben Yassin mit Freunden im Café und hebt zu einer Lobrede auf seinen väterlichen Freund an, in deren Verlauf sich das ganze Dilemma der beiden Männer entfaltet, ihr ganzer Schmerz sichtbar wird: Zwei, die ihr Land eigentlich nicht verlassen woll(t)en, die Angst um ihre Familien haben und doch nur das Richtige tun wollen. Doch was ist das Richtige in diesen Zeiten?

Our Terrible Country

Ziad Homsi ist Fotograf und Kameramann. Doch in der ersten Szene von „Our Terrible Country“ hat er keine Kamera, sondern ein Gewehr in der Hand. Der junge Syrer beteiligt sich sporadisch am Kampf der Rebellen in seiner Heimatstadt Douma. In diesem Vorort von Damaskus hat auch der bekannte syrische Schriftsteller und Dissident Yassin al-Haj Saleh zusammen mit seiner Frau Samira Unterschlupf gefunden.
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