Otto; or Up with Dead People

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine Art schwuler Polit-Trash-Zombie-Porno

Bruce LaBruce (mit bürgerlichem Namen Justin Stewart) ist seit Jahren eine feste Größe des filmischen Underground. Der 1964 in Kanada geborene Filmemacher und Vertreter des „new queer cinema“ dreht seit 1987 seine Filme und sieht sich gerne als „meistgehassten Mann des Filmbusiness“ – ein Ruf, an dem er lange und ausgiebig gearbeitet hat. Explizite homosexuelle Pornographie, kontroverse Themen (so thematisierte er als einer der Ersten schwule Tendenzen wie Skinhead-Fetischismus und andere Phänomene) und sein nach wie vor offen politischer Anspruch, der auch innerhalb der „gay community“ nicht unumstritten ist, erregen weltweit nach wie vor begeisterte Zustimmung oder wütende Ablehnung. Entweder man liebt seine Filme und sieht in ihnen tatsächlich eine konsequente Weiterführung des Werkes von Andy Warhol und Kenneth Anger oder aber man lehnt sie ab. Gleichgültig lassen werden sie den Zuschauer kaum. Das hat sich auch –wer mag sich darüber wirklich wundern? —  mit seinem jüngsten Film Otto; or Up with Dead People nicht geändert, der während der Berlinale 2008 im Panorama das Publikum spaltete.
Der Titelheld Otto ist ein Zombie, der nicht nur der Hauptdarsteller in Bruce LaBruce’ Film ist, sondern auch im Film-im-Film der lesbischen Filmemacherin Medea Yarn (Katherina Klewinghaus; der Rollenname ist übrigens ein Anagramm der Avantgardefilm-Ikone Maya Deren) einen Untoten spielt. Das Anliegen von Yarns fiktivem Film spiegelt dabei die Intentionen des realen Films von Bruce LaBruce wider und agitiert gegen eine Zombie-Gesellschaft, die von Krieg, Zerstörung, Hass und unbändigem Konsum geprägt ist. Erst spät realisiert das Filmteam, dass Otto (Jey Crisfar) seine Rolle nicht aufgrund eines enormen schauspielerischen Talents so ausgezeichnet verkörpert, sondern vor allem deswegen, weil er selbst ein Untoter mit vielfältigen fleischlichen Gelüsten ist…

Bruce LaBruce spart in seinem neuen Film nicht gerade an schaurig-schönen Gore-Effekten und Sexszenen (wobei die expliziteren Sequenzen ausgespart wurden und sich auf der DVD wieder finden sollen), doch den Film alleine darauf zu reduzieren, würde deutlich zu kurz greifen. Otto; or Up with Dead People ist weitaus mehr als ein billiger Sexploitation- und Splatterstreifen und bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für vielfältige Interpretationsansätze: Immer wieder werden Hinweise auf AIDS eingestreut und bezeichnende Porträts homosexueller Subkulturen gezeichnet, werden ganze Filmgenres aufs Korn genommen, wird gegen die Wegwerfgesellschaft und die Auswüchse der Kommerzialisierung aller Lebensbereiche (auch der Sphäre des Sex) gewettert und das hohe Lied des Nonkonformismus und der revolutionären Kraft des sexuellen Aktes gesungen – untermalt von Klängen zahlreicher unbekannter Bands aus dem Myspace-Universum, aber auch von queeren Ikonen wie Antony & the Johnsons oder Coco Rosie. Einmal mehr benutzt Bruce LaBruce die Genrekonventionen von Porno-, Trash- und Horrorfilmen dazu, um seine Sicht der Welt und seine revolutionäre politische Botschaft darzulegen. Und gerade die Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Verweise und Zitate, der Travestien und tiefen Verbeugungen sowie der Kunstgriff des Films-im-Film – alle diese Elemente dekonstruieren die Zeichen und Konventionen der genannten Genres als reines Spielmaterial, als Puzzlestücke, die neu zusammengesetzt einen schaurig-schönen Flickenteppich ergeben.

Otto; or Up with Dead People ist ein zutiefst verstörender und zugleich sehr schlau konstruierter Film, den man kaum jedem Kinobesucher guten Gewissens ans Herz legen darf – zu harsch sind die Bilder, zu krude die Story, zu enervierend die Geräuschkulisse, die Marcuse-Zitate neben Kopulationsgeräusche und organische Sounds montiert und so ein Hörspiel des unersättlichen Körper(Konsums) sinnlich erleb- und erleidbar macht. Zumindest einen guten Magen sollte man mitbringen sowie ein gewisses Interesse an Filmen weit abseits des Mainstream. Neben all dem Grauen und der Agitation aber zeigt der Regisseur immer wieder sein bemerkenswertes Talent für gewagte Twists, tiefe Gedanken und feinsinnige Beobachtungen, die so gar nicht zu all dem Blut passen wollen. Denn wenn man all das Fleisch, all das Blut und die grellen und manchmal sogar witzigen Momente des Films abzieht, entdeckt man unter der schroffen Oberfläche eine Vielzahl zärtlicher Porträts, von denen das vielleicht schönste der Stadt Berlin gilt: Deren Charakterisierung als morbide Hochburg von Untoten ist wahrscheinlich gar nicht so weit von der Realität entfernt, wie wir das glauben mögen.

Otto; or Up with Dead People

Bruce LaBruce (mit bürgerlichem Namen Justin Stewart) ist seit Jahren eine feste Größe des filmischen Underground. Der 1964 in Kanada geborene Filmemacher und Vertreter des „new queer cinema“ dreht seit 1987 seine Filme und sieht sich gerne als „meistgehassten Mann des Filmbusiness“ – ein Ruf, an dem er lange und ausgiebig gearbeitet hat.
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