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Noch Jahre nach der japanischen Kapitulation wähnten sich einzelne, auf pazifischen Inseln zurückgelassene Soldaten der kaiserlichen Armee im Zweiten Weltkrieg. Der berühmteste von ihnen, Hiroo Onoda, legte seine Waffen erst 29 Jahre später nieder. Der epische Abenteuerfilm erzählt seine Geschichte.

Onoda - 10.000 Nächte im Dschungel (2021)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Der Soldat, der im Krieg blieb

Im Dschungel der philippinischen Insel Lubang versteckt sich ein japanischer Soldat (Kanji Tsuda). Der amerikanische Kriegsgegner oder konkreter noch, die von ihm beklauten einheimischen Bauern, könnten ihm nach dem Leben trachten. Fast 30 Jahre sind vergangen, seit ihn die kaiserliche Armee zum Guerillakrieg auf die Insel entsandte. Nun, im Herbst 1974, wartet ein junger japanischer Tourist (Taïga Nakano) am Bachufer auf ihn, um ihn heim zu holen. „Ich habe 50 Länder gesehen“, sagt ihm der abenteuerlustige junge Mann, nachdem er sich Mut angetrunken hat, „und Sie?“

Wie so manche große Abenteuer einer vergangenen Ära – Lawrence von Arabien oder Papillon – basiert auch dieser Film auf einer wahren Geschichte. Mit epischem Atem und existenzieller Wucht vertieft sich der französische Regisseur Arthur Harari (Schwarzer Diamant) in den Fall des Leutnants Hiroo Onoda. Der kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs auf Lubang stationierte Soldat legte die Waffen erst 1974 nieder. Die Kunde von der japanischen Kapitulation hatte er erst jahrelang nicht vernommen und dann nicht glauben wollen. Onoda war der berühmteste der sogenannten japanischen Nachzügler, die sich isoliert auf pazifischen Inseln noch lange im Zweiten Weltkrieg wähnten, als er schon beendet war. Nach seiner Rückkehr wurde er in Japan als Held gefeiert.

Bei Harari ist Onoda eine tragische Figur, in der sich die existenziellen Widersprüche des Menschen zusammenballen, insbesondere dann, wenn sie als Soldaten dienen. Die eigentliche Filmhandlung wendet sich vom Touristen in der Einleitung ab, um vom jungen Onoda (Yūya Endō) des Jahres 1944 zu erzählen. Weil er dem Befehl, als Kamikazepilot zu sterben, nicht gefolgt ist, wählt ihn der Major Taniguchi (Issey Ogata) für eine Ausbildung in geheimer Kriegsführung aus. Diejenigen, die sie absolvieren, sollen der damaligen japanischen Soldatenehre zuwiderhandeln und sich nicht das Leben nehmen, um den Feind mit in den Tod zu reißen oder um ihm nicht in die Hände zu fallen. Als Onoda nach Lubang entsandt wird, lautet sein Auftrag, im Guerillakrieg in den Bergen auszuharren und zu überleben, bis das japanische Militär ihn und seine Leute abholt. Auf dieser Mission soll Onoda, so schärft es ihm der Major ein, sein eigener Vorgesetzter sein und seine eigenen Entscheidungen treffen.

Die tragischen Untertöne der Geschichte beginnen sehr früh, nicht nur weil die Musik von zarter Melancholie erfüllt ist und dem Geschehen eine entrückte Note verleiht. Kaum ist Onoda zu seiner neuen Einheit auf Lubang gestoßen, da erobern die Amerikaner bereits die Insel. Seine Verantwortung für die Einheit beginnt in dem Moment, als es schon zu spät ist, und der Rückzug in die Berge, den er befiehlt, weist auf die künftige, zunehmende Verstiegenheit der Mission hin. Onoda entfernt sich mit seinen Leuten aus der Zivilisation, die geheime Kriegsführung bedeutet, niemandem zu vertrauen. Er kehrt den Botschaften aus der Außenwelt den Rücken. Bei einer Schießerei in einem zerstörten Dorf ruft ihm ein Einheimischer zu, der Krieg sei beendet, doch nur der jüngste seiner Gefreiten, Akatsu (Kai Inowaki), kommt deshalb ins Grübeln.

Die Einheit schrumpft schnell auf vier Leute zusammen, wegen Hunger, Krankheiten oder Desertion. Onoda und die drei anderen erkunden die Insel, fertigen eine Karte an, stehlen den Bauern Reis und was sie sonst noch brauchen. Die Regenzeit setzt ein, es muss eine Hütte gebaut werden, die nur notdürftig Schutz vor den Wassermassen bietet. Der Dschungel im Regen bekommt im Film eine fast haptische Qualität, man meint, mittendrin zu stehen. Ab und zu erklingt der einsame Ruf eines exotischen Vogels. Die Isolation, die Entbehrungen strapazieren die Nerven der vier Männer. Akatsu zweifelt immer lauter am Sinn dieser Mission, die beiden anderen Gefreiten beginnen, sich anzufeinden. Onoda bleibt unbeirrt. Im Jahr 1950 kommt eine japanische Delegation auf die Insel, sogar Onodas Bruder und Vater rufen ins Megafon Richtung Berge, er solle doch heimkehren. Sie lassen Zeitungen und ein Radio zurück. Aber was Onoda liest und hört, hält er für Fake News. Das hindert ihn jedoch nicht, 1969 mit seinem einzigen verbliebenen Gefreiten Kozuka (Tetsuya Chiba) gebannt die Mondlandung im Radio mitzuverfolgen.

Welche Anspielungen die Zuschauer*innen in der Geschichte erkennen, dürfte individuell sehr unterschiedlich sein. Da wäre das derzeit aufblühende Phänomen der Verschwörungstheoretiker, die sich von den Medien hinters Licht geführt glauben. Zahlreicher sind die Verweise auf alte Abenteuer- und Westernfilme. Beispielsweise könnte sich der eine oder andere durch die innige Schicksalsgemeinschaft, die Onoda und Kozuka verbindet, als ihre Bärte schon grau geworden sind, an Papillon aus dem Jahr 1973 erinnern. Onoda bleibt schließlich allein – seine Unbeirrtheit, seine merkwürdige Tarnung mit einem Laubgebinde am Rücken, als er aus dem Wald tritt, verleihen ihm etwas Tragikomisches.

Kanji Tsuda spielt die versteinerte Sprachlosigkeit des gealterten Leutnants, sein allmähliches Begreifen, dass der Tourist, dem er begegnet, recht haben könnte, mit einer Würde und Verletzlichkeit, die tief bewegt. Den existenziellen Widerspruch, den sein Major ihm aufbürdete – seine Pflicht zu tun und selbst zu entscheiden – hat Onoda anders als Akatsu beantwortet. Die Armee hat ihm das nicht gedankt, sondern ihn und andere in seiner Lage schlicht zu lange sich selbst überlassen. Da stellt einer sein Leben bedingungslos in den Dienst des Vaterlandes und steht als Narr da, wenn er aus diesem Ausnahmezustand nicht mehr zurück ins friedliche Leben findet. Harari ist ein aufwühlender Film gelungen, der Vergleiche mit den großen Vorbildern des Abenteuer-, Kriegs- und Historienfilmgenres nicht zu scheuen braucht und der lange nachhallt.

Onoda - 10.000 Nächte im Dschungel (2021)

„Onoda – 10.000 Nächte im Dschungel“ handelt von dem japanischen Nachrichtenoffizier Hiroo Onoda, der im Zweiten Weltkrieg als Leutnant auf die philippinische Insel Lubang gesendet wurde. Als Japan kapituliert, kämpft die abgeschieden lebende Gruppe weiter, Onoda fast 30 Jahre bis 1974. 

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