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Was wären Sie bereit für ein neues Auto zu tun — wenn Sie es unbedingt brauchen. Im vermeintlichen Land der Freiheit…

One of These Days (2020)

Eine Filmkritik von Lucia Wiedergrün

Im Land der Freiheit

Der Truck – Symbol US-amerikanischer Freiheitsmythen, aber auch Emblem ökonomischer Zwänge und rasant ansteigender Privatverschuldung. In einem Land, in dem der öffentliche Nahverkehr kaum eine Rolle spielt und das Laufen auf der Straße schon die Aufmerksamkeit der Polizei erregen kann, wird das Auto zur notwendigen Voraussetzung gesellschaftlicher Teilhabe und zum unverzichtbaren Ausweis des Bürgerstatus. Bürger ist, wer frei ist — und frei ist, wer sich ein Auto leisten kann, das die Freiheit gewährt, sich jederzeit unbeschränkt in die Weiten des Landes aufzumachen. In Bastian Günthers Drama „One of These Days“ geht es um die enormen Einschränkungen, welche Menschen für diese Freiheit auf sich nehmen.

In einer texanischen Kleinstadt findet im zehnten Jahr der gleiche Wettbewerb statt. Die Regeln sind einfach: zwanzig Teilnehmer*innen stehen um den Preis herum – ein blauer Pick-up-Truck. Alle müssen mindestens eine Hand an das Fahrzeug legen und erst, wer sie zuletzt wegnimmt, kann das Gefährt sein Eigen nennen. Jede Stunde gibt es eine fünfminütige Pause, alle sechs Stunden eine fünfzehnminütige. Damit kann der Horror beginnen. Von einer überzeugten Kirchgängerin, über einen desillusionierten Veteranen bis hin zu einem professionellen Hands-on-Wettbewerbsteilnehmer könnten die Beteiligten unterschiedlicher kaum sein. Nur eines eint sie, die Bereitschaft für den Sieg an ihre Grenzen und weit darüber hinaus zu gehen. Unter den Teilnehmenden ist auch Kyle Parson (Joe Cole) der sich, seiner Frau Maria (Callie Hernandez) und seinem kleinen Sohn beweisen möchte, dass er trotz der Armut für seine Familie sorgen kann. Doch sind es nicht nur die Kandidat*innen, die unter den Anstrengungen des Wettbewerbs leiden, auch seine Initiatorin Joan (Carrie Preston), PR-Managerin des ausrichtenden Autohauses, bekommt die Auswirkungen der Veranstaltung bald zu spüren und so wird auch dem Publikum schnell klar, dass es in der schwülen Hitze des Südens nur eine Frage der Zeit ist, bis es zur Katastrophe kommt.

In der Tradition von Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss (They Shoot Horses, Don’t They?, 1969), einem der Klassiker des New Hollywood-Kinos, erzählt One of These Days vom Zynismus einer Gesellschaft, die behauptet, Wohlstand sei nur eine Frage des Engagements, und vom Grauen einer Werbe- und Unterhaltungsindustrie, in der Demütigung ein Garant für Zuschauerzahlen ist. Dabei verzichtet der Film auf grelle Satire und stark überzeichnete Figuren. Gerade in der zurückhaltenden filmischen Erzählweise tritt die tiefe Verstörung des Gezeigten besonders klar zu Tage. Ist der Anfang noch durchaus komisch, bleibt einem beim Schauen zunehmend das Lachen im Hals stecken. Denn alles Hoffen, das hier wäre eine andere, verstörende Parallelwelt, wird sogleich zunichte gemacht. One of These Days erzählt von Chancenungleichheit, von Verzweiflung und den unerfüllbaren Träumen der Konsumgesellschaft – sprich: vom Leben im Kapitalismus.

Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto klarer wird, dass die ökonomische Notwendigkeit nicht der einzige Motivator für die Teilnehmer*innen ist. Wenn allem ein Wert zugewiesen wird, dann ist auch der Mensch davon nicht ausgenommen. Ausgelaugt von den Tagen ohne Schlaf und von Erschöpfungs-Halluzinationen geplagt, wird der Sieg zur scheinbar einzigen Möglichkeit sich seiner Familie und der Gesellschaft würdig zu erweisen. One of these Days liefert somit einen unaufgeregt verstörenden Bericht über die Demütigungen, die Menschen ertragen, im Versuch ihren Stolz zu waren.

One of These Days (2020)

Bei einem texanischen Hands-On-Wettbewerb stehen die Teilnehmer*innen tagelang um einen neuen Pick-Up-Truck herum, den sie mit einer Hand berühren. Wer am längsten durchhält, gewinnt den Wagen. Ein Psychogramm von Armut, Reichtum und Verzweiflung.

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