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Randa Chahoud erzählt in „Nur ein Augenblick“ von einem in Deutschland lebenden Studenten aus Syrien, der sich auf die Suche nach seinem Bruder im syrischen Kriegsgebiet macht.

Nur ein Augenblick (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Durch die Hölle gehen – und danach weiterleben

Karim (Mehdi Meskar) stammt aus der syrischen Hafenstadt Latakia. Seine Eltern (Husam Chadat und Amira Ghazalla) haben ihn zum Studieren nach Hamburg geschickt, wo er sich fünf Jahre nach seiner Ankunft perfekt eingelebt hat. Seine Freundin Lilly (Emily Cox), die eine Fahrradwerkstatt betreibt, erwartet ihr gemeinsames Kind; mit seinem Kumpel Max (Jonas Nay) arbeitet er an einer ambitionierten Geschäftsidee. Doch dann erfährt Karim, dass sein älterer Bruder im syrischen Bürgerkrieg verschwunden ist und angeblich in ein Foltergefängnis verschleppt wurde. Kurzerhand reist er in die Türkei an die syrische Grenze – und ist bald selbst in großer Gefahr.

Mit Nur ein Augenblick legt die Regisseurin und Drehbuchautorin Randa Chahoud ihr Langfilmdebüt vor; im TV-Bereich verfügt sie unter anderem durch die SciFi-Comedy-Serie Ijon Tichy: Raumpilot (2007-2011) bereits über reichlich Erfahrung. Die Gratwanderung zwischen Drama und Kriegsfilm mit Thriller-Elementen gelingt Chahoud sehr souverän. Zudem merkt man der Umsetzung an, dass sich die Filmemacherin intensiv mit der Thematik befasst hat und einen persönlichen Zugang dazu besitzt. So erklärt die Tochter eines syrischen Toxikologen und einer deutschen Politikwissenschaftlerin, dass es ihr durch ihre syrischen Wurzeln möglich gewesen sei, während des Schreibprozesses durch Gespräche innerhalb ihrer Familie, mit hochrangigen Oppositionellen, langjährigen politischen Gefangenen, Mitgliedern der Syrischen Befreiungsarmee und auch Verfechtern der Assad-Regierung tiefer in die Materie einzutauchen. Auslöser der Entwicklung ihrer Geschichte sei wiederum die Begegnung mit einem Libyer im Jahre 2012 gewesen, der in Berlin studiert habe, ehe er in den Kampf gegen Gaddafi gezogen sei, als er von der Gefangenschaft seines Bruders erfahren habe.

Der Film droht an einigen Stellen allzu überfrachtet zu werden, schafft es insgesamt aber doch, für sich einzunehmen. Stark ist vor allem, wie die Schwierigkeiten einer Rückkehr ins alltägliche Leben eingefangen werden. Als Karim dem Kriegsgebiet nach Monaten entkommen kann und sich im Kreise seiner Familie, nun als Vater eines kleinen Kindes, in Deutschland wiederfindet, schleicht sich ein Gefühl völliger Entfremdung gegenüber seinem Umfeld ein. Die Gewalterfahrungen haben Karim spürbar verändert; die Erinnerungen, die Wut und der Schmerz verfolgen ihn. Und auch aus Lilly ist durch die Ereignisse ein anderer Mensch geworden. Nur ein Augenblick lässt dabei an Werke wie Susanne Biers Brothers – Zwischen Brüdern (2004) denken, bleibt indes nah und präzise an seinem eigenen Sujet, dem Bürgerkrieg in Syrien.

Hauptdarsteller Mehdi Meskar erweist sich als echte Entdeckung; sein Zusammenspiel mit Leinwandpartnerin Emily Cox überzeugt. Die von Meskar und Cox verkörperten Figuren werden facettenreich gezeichnet; gemeinsam suchen Karim und Lilly nach einer Zeit im Ausnahmezustand wieder nach Normalität und persönlichem Frieden. Es wird klar, dass Karim die Erlebnisse in Syrien nicht einfach vergessen kann – doch dass es für sein engstes Umfeld Möglichkeiten gibt, ihn in seiner Verarbeitung und der Bewältigung seines Traumas zu unterstützen.

Nur ein Augenblick (2019)

Der junge Syrer Karim und seine schwangere Freundin Lilly leben in Hamburg ein sorgenfreies Studentenleben. Als Karims geliebter Bruder Yassir in Syrien in ein Foltergefängnis verschleppt wird und Karim beschließt, Yassir aus dem Kriegsgebiet zu retten, bleibt Lilly besorgt und zunehmend verzweifelt zurück. Ein Teufelskreis der Gewalt beginnt …

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