Nothing Personal

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Keine Fragen, bitte!

Die Radikalität steht ihr ins Gesicht geschrieben: Die junge Holländerin Anne will alle Bindungen hinter sich lassen, absolut einsam sein. Nicht einmal nach ihrem Namen lässt sie sich fragen in Urszula Antoniaks eindringlichem Spielfilmdebüt. Für die faszinierende Darstellung einer ungewöhnlichen jungen Frau wurde Hauptdarstellerin Lotte Verbeek bei der Berlinale als einer der „European Shootingstars 2010“ ausgezeichnet.
Es ist kein Zufall, dass die junge Schauspielerin an Sandrine Bonnaires Streunerin in Agnes Vardas Vogelfrei erinnert – abweisender Blick, trotzige Körpersprache. Die Regisseurin zeigte ihr den Film aus dem Jahr 1985 zur Vorbereitung auf die Rolle der Anne. Aber anders als die Figur von Sandrine Bonnaire (aktuell in Die Schachspielerin zu sehen) zieht Anne nicht sofort weiter, sobald menschliche Nähe droht. Sie bleibt, als sie in Irland auf Martin (Stephen Rea) trifft, einen älteren Mann, der ganz allein in einem wunderschön gelegenen Fischerhaus auf einer kleinen Halbinsel lebt. Die beiden treffen eine Abmachung: Anne arbeitet für ihn, aber er darf keine persönlichen Fragen stellen und nichts von sich erzählen.

Das künstliche Arrangement könnte auch aus einem Film von Eric Rohmer stammen, so kühl geplant scheint die Versuchanordnung, so interessiert der analytische Blick auf die Dynamik, die sich daraus entwickeln wird. Aber im Unterschied zu Eric Rohmer geht es hier nicht um eine distanzierte Betrachtung von dem, wie junge Menschen heute so ihre Beziehungen gestalten. Urszula Antoniaks Erzählhaltung erwächst aus einer sehr persönlichen Erfahrung. Die junge Regisseurin hat ihren Mann durch den Tod verloren. Sie hat das Gefühl der Einsamkeit in einer existenziellen Weise durchlebt – eine Erfahrung, die bei aller Trauer auch kreative Energien und die Einsicht in den Trost und die Freiheit freisetzte, die sich mit der Einsamkeit verbinden können.

Was passiert also, wenn zwei Menschen mitten in einer ebenso kargen wie traumhaften Landschaft aufeinandertreffen, denen die persönliche Freiheit über alles geht? Es passiert einiges, aber glücklicherweise nicht das, was man vermuten würde, vor allem keine billige Bettgeschichte zwischen dem alternden Mann und dem jungen Mädchen. Urszula Antoniak entwirft mit feiner Ironie ein Hin und Her von Anziehung und Abstoßung von tastenden Annäherungsversuchen und entschiedenem Grenzen setzen. Das tut sie in einem ruhigen, musikalischen Rhythmus, mit fein dosierten Highlights, die aber mit genauso reduzierten Mitteln arbeiten wie der Rest des Films. Man muss sich also einlassen auf den langen Atem dieses Films, der sich genauso behutsam an das Wagnis einer Beziehung herantastet wie die Protagonisten. Diese scheinen beide den Schmerz zu fürchten, der mit jedem Sich-Einlassen verbunden ist. So wird das erste Lächeln zu einem revolutionären Ereignis, das gemeinsame Essen zu einer Zeitenwende.

Es ist vielleicht gerade die Zögerlichkeit, die die Faszination dieser Beziehung zweier Beziehungsgeschädigter ausmacht. „Das Talent erkennt, wo seine Grenzen sind“, sagt Martin einmal. Und beharrt auf seiner Einsicht so kompromisslos, dass deren Radikalität sogar noch die von Anne in den Schatten stellt.

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Die Radikalität steht ihr ins Gesicht geschrieben: Die junge Holländerin Anne will alle Bindungen hinter sich lassen, absolut einsam sein. Nicht einmal nach ihrem Namen lässt sie sich fragen in Urszula Antoniaks eindringlichem Spielfilmdebüt.
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