Nora

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Die Geschichte einer Amokläuferin

Auf dem 9. Achtung Berlin Festival setzen sich gleich zwei Filme mit einem Schul-Amoklauf auseinander. Während Thomas Sieben in Staudamm einen eher indirekten Ansatz wählt, um sich mit diesem schwierigen Thema auseinanderzusetzen, stellt Curtis Burz in Nora die Attentäterin selbst stärker in den Mittelpunkt. Erzählt wird die Geschichte jedoch aus der Perspektive der beteiligten Polizistin Maria (Anna Altmann), die während ihres Einsatzes die junge Täterin erschießt. Mit Hilfe privater Videoaufzeichnungen versucht sie anschließend, Noras Entwicklung zu verstehen und das Erlebte zu verarbeiten. Promiskuität, Hoffnungslosigkeit und wachsende Aggression offenbaren sich sowohl Maria als auch dem Zuschauer. Für die attraktive Nora (Stephanie Krogmann) ist es ein leichtes Spiel, die Männer in ihrem Umfeld um den Finger zu wickeln, doch glücklich scheint sie dabei nicht zu sein. Sie wirkt ruhelos, getrieben von einer inneren Kraft, die sie selbst nicht ganz zu begreifen scheint. Am Ende findet sie für den wachsenden Druck nur ein einziges, schreckliches Ventil.
Curtis Burz erzählt seine Geschichte auf drei Ebenen. Zum einen verfolgt er die Entwicklung Marias nach dem Attentat, zeigt ihre Auseinandersetzung mit den Ereignissen und charakterisiert auch sie als eine vom ihrem Umfeld entfremdete Person. Rückblicke in Noras Leben zeigen vor allem ihre von Distanz geprägte Beziehung zu Patrick (Marc Bluhm). Dieser Einblick in die Ereignisse vor dem Attentat wird ergänzt durch Amateur-Aufnahmen, die ein Verehrer Noras in den Wochen vor der Tat angefertigt hat. Hier tritt die junge Frau besonders promiskuitiv auf, und nutzt die Kamera, um sich – oft gemeinsam mit Patrick – sexuell in Szene zu setzen. Begleitet werden alle drei Ebenen von einem männlichen wie auch weiblichen Voice Over. Während die Männerstimme klar Patrick zugeordnet werden kann, bleibt bei der weiblichen Stimme lange unklar, ob es sich um die Gedanken Noras oder Marias handelt. Hierdurch stellt Burz eine interessante Parallele zwischen den beiden Frauenfiguren her. Die Entfremdung von den Mitmenschen und das Entsetzen über beobachtete Gewalttaten beziehungsweise Berichte in den Medien könnten den Gedanken beider Frauen entspringen.

Dass Nora mit einem minimalen Budget produziert wurde, fällt in der ersten Stunde des Films kaum auf. Die häufigen Ortswechsel und Außenaufnahmen täuschen darüber hinweg, dass es an Komparsen und Ausstattung fehlt und schaffen eine gelungene filmische Illusion. Leider wird diese am Ende durch die Darstellung des Attentats vollkommen durchbrochen, die natürlich mit diesen Mitteln nicht überzeugend gestaltet werden kann. Das ist vor allem deshalb bedauerlich, da das Ausagieren der Tat für das Verständnis der Geschichte im Grunde nicht notwendig ist.

Die Überzeugungskraft des Films leidet zudem unter den gestelzten Dialogen. In Anbetracht dessen, dass Nora durch improvisatorisches Arbeiten entstanden ist, überrascht es umso mehr, dass es den Interaktionen der Figuren derart an Natürlichkeit mangelt. Gleichzeitig entsteht hierdurch jedoch ein wachsendes Gefühl von Distanz und Entfremdung. Weder Nora noch Maria scheinen irgendeiner Person wirklich nahe zu kommen. Maria artikuliert diese Probleme sogar einmal offen gegenüber ihrem Psychologen und gibt zu, dass sie selbst zu ihrer Tochter keine Nähe aufbauen kann. Aber auch wenn die betonungsarme Sprache hier einen Zweck erfüllt, erschwert sie es dem Zuschauer, sich auf die Geschichte und ihre Figuren einzulassen. So bleibt auch die Entwicklung Noras trotz der Gedankentexte schwer nachvollziehbar.

Nora ist in Anbetracht des knappen Budgets in gewisser Weise ein bemerkenswerter Film, stellt die Aufmerksamkeit seines Publikums jedoch auf eine harte Probe. Die Figuren sind nicht nur voneinander und ihrer Welt entfremdet, sondern bewahren sich auch eine große Distanz zum Zuschauer. Durch das unglaubwürdig inszenierte Finale verliert der Film darüber hinaus einen Großteil seiner Überzeugungskraft. So kann Curtis Burz uns nicht helfen, das schreckliche Ereignis zu verstehen. Der Amoklauf ist am Ende ebenso „unvorstellbar“ wie am Anfang. Aber auch das ist eine Aussage!

Nora

Auf dem 9. Achtung Berlin Festival setzen sich gleich zwei Filme mit einem Schul-Amoklauf auseinander. Während Thomas Sieben in „Staudamm“ einen eher indirekten Ansatz wählt, um sich mit diesem schwierigen Thema auseinanderzusetzen, stellt Curtis Burz in „Nora“ die Attentäterin selbst stärker in den Mittelpunkt. Erzählt wird die Geschichte jedoch aus der Perspektive der beteiligten Polizistin Maria (Anna Altmann), die während ihres Einsatzes die junge Täterin erschießt.
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