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Jafar Panahi beschäftigt sich in „No Bears“ mit unsichtbaren Mächten, die die iranische Gesellschaft zum Stillstand zwingen. Er verwebt zwei Handlungsstränge und konfrontiert sich selbst mit den Konsequenzen seiner Arbeit. Entstanden ist dabei keine Meta-Abhandlung, sondern ein nachdenkliches und überraschend selbstkritisches Werk.  

No Bears (2022)

Eine Filmkritik von Moritz Henze-Jurisch

Unsichtbare Mächte

Man sollte jeden Film des iranischen Regisseurs Jafar Panahi als Wunder betrachten. 
Trotz eines seit 2010 gültigen 20-jährigen Berufsverbot und einer sechsjährigen Haftstrafe, die er seit Juli 2022 im Evin-Gefängnis in Teheran absitzen muss, gelang es ihm unter größtem Risiko unabhängige Filme zu produzieren, wie sie wichtiger nicht sein können. In „No Bears“ (Keine Bären) befasst er sich mit der iranischen Politik und Gesellschaft. Und obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte, ist „No Bears“ kein wütender Film geworden. Panahi zeigt sich in seinem vorerst letzten Werk überraschend selbstkritisch und setzt sich nachdenklich mit seiner eigenen Verantwortung als Filmschaffender auseinander.

Ein Paar streitet sich in einer Gasse. Er konnte für sie einen Reisepass organisieren, damit sie das Land verlassen kann. Doch sie möchte nicht ohne ihn gehen. Sein Flehen hilft nicht – sie lässt ihn verzweifelt zurück.
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Der Regieassistent unterbricht die Szene und hört per Videocall die Anweisungen von Regisseur Jafar Panahi an. Dieser versteckt sich momentan in einem abgelegenen Dorf, nahe der türkischen Grenze. Während er aus seiner Isolation mit instabilem Internet versucht, sein Filmteam anzuleiten, gerät er selbst mit der Dorfbevölkerung aneinander. Diese fordert mit zunehmender Intensität die Herausgabe eines Fotos, das Panahi angeblich von einem verbotenen Liebespaar geschossen hat. Es entsteht eine Parallelerzählung über zwei Liebespaare, die sich in gänzlich anderen Umständen befinden und auf deren beider Leben Panahi durch seine Arbeit direkten Einfluss nimmt.

In einer Schlüsselszene des Films wird der Titel No Bears erklärt. Ein Dorfbewohner warnt Panahi davor, nachts das Haus zu verlassen, da dann die Bären kommen. Kurze Zeit später erfährt er: Es gibt hier überhaupt keine Bären. Aber während die Bären nicht real sind, ist es die Angst vor ihnen durchaus. In dieser Metapher finden sich die Kernelemente des Films wieder. Es geht um unsichtbare Mächte und deren Einflüsse auf Leben und Gesellschaft. Ob es nun Panahis verzweifelte Suche nach gutem (unsichtbaren) Internetempfang ist oder die Macht des Regimes, das ihn überhaupt erst in diese Lage brachte: No Bears zeigt jene Mächte nie direkt und trotzdem kontrollieren sie alles. Als sich Panahi in der Wüste mit seinem Assistenten trifft, fragt er ihn, wo sich die türkische Grenze befindet. Dieser antwortet ihm belustigt, er stehe gerade drauf. Panahi weicht sofort zurück. Seine persönliche Grenze befindet sich durch das iranische Regime ebenfalls genau dort; Panahi darf das Land nicht verlassen.

Die Dorfbewohner begründen ihr für Panahi irritierendes Handeln häufig mit verschiedenen Traditionen. Diese scheinen zwar niemand mehr zu verstehen oder für sinnvoll zu erachten, aber hinterfragen oder ändern möchte man sie dennoch nicht. Die Tradition wiegt zu schwer, um sich von ihrer Kontrolle zu lösen. Panahi selbst begegnen sie immer freundlich und mit großem Respekt. Schließlich ist er in ihren Augen ein erfolgreicher Mann aus der Stadt. Trotzdem werden sie zunehmend aufdringlicher und drohen ihm sogar indirekt. Zwischen beiden Parteien befindet sich eine unsichtbare Barriere, die nicht aufgehoben werden kann und eine produktive Kommunikation auf Augenhöhe scheint nicht möglich zu sein.

Anhand des Mikrokosmos Dorf beschäftigt sich Panahi mit der Frage, welche Verantwortung er trägt und welche Konsequenzen sein Handeln mit sich bringt. No Bears ist damit auch ein Film über die Macht, die Jafar Panahi selbst ausübt. So wird nie erklärt, ob er jenes Foto des heimlichen Liebespaars wirklich geschossen hat. Die Macht, über die Zukunft der Liebenden zu entscheiden, hat er dennoch.

So ist der Film, den Panahi drehen lässt, auch realer, als man zu Beginn annimmt. Panahi lockt seine Zuschauer*innen bewusst auf eine falsche Fährte, in dem er nie ganz klarmacht, ob dieser Film im Film nun dokumentarisch oder eben eine Fiktion ist. Hier thematisiert No Bears den eigenwilligen Status von Panahis Filmen als Grenzgänger zwischen Dokumentar- und Spielfilm. Letztlich aber sind alle Überlegungen darüber, wie authentisch das Gezeigte wirklich, irregeleitet. Alles in diesem Film ist real. Panahi zwingt seine Zuschauer*innen nicht nur ihr Sehverhalten zu hinterfragen, sondern dekonstruiert sich ein Stück selbst. Er konfrontiert sich selbst mit den bitteren Konsequenzen seiner Arbeit und stellt sich selbst die Frage, ob er überhaupt das Richtige getan hat.

Dabei ist es unmöglich, No Bears zu sehen, ohne permanent über die aktuellen Zustände im Iran oder das mögliche Schicksal seines Regisseurs nachzudenken. Die volle emotionale Wucht des Films trifft uns als passive Zuschauende dabei auch erst in seinem allerletzten Bild. Panahi kommt sinnbildlich zum Stillstand, aber was sich in seinem nachdenklichen Blick verbirgt, wissen wir nicht. Ist es die Erkenntnis, dass sich die iranische Gesellschaft selbst zu lange durch eine unsichtbare Kontrolle im Stillstand befunden hat und es jetzt endlich eine Veränderung geben muss? Vielleicht ist es aber auch die Erkenntnis, dass alle Bemühungen zu spät kommen und nur noch die Flucht in die völlige Resignation bleibt. Klar ist auf jeden Fall, dass der humanistische Optimismus aus früheren Filmen Panahis mitunter verschwunden ist.

 

 

No Bears (2022)

Der Film folgt zwei parallelen Liebesgeschichten. In diesen werden die Liebenden von „versteckten, unvermeidlichen Hindernissen, vom Einfluss des Aberglaubens und dem Mechanismus der Macht ausgebremst“.

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