Nine

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Tanz den Fellini!

Es gibt Kombinationen, auf die muss man erst einmal kommen: Aus dem Jahr 1982 stammt die Musicalvorlage zum neuen Film von Rob Marshall (Chicago, Die Geisha), der eine Hommage an das italienische Kino der 1960er Jahre, an Federico Fellini vor allem aber an dessen Meisterwerk sein will. Klingt komisch? Warum eigentlich nicht; immerhin hatte auch der Maestro selbst eine ausgesprochene Vorliebe für das Musical und setzte diesem mit Ginger und Fred gar ein filmisches Denkmal. Zudem ist die Besetzung der Hommage mit Daniel Day-Lewis, Judy Dench, Marion Cotillard, Penélope Cruz, Nicole Kidman, Kate Hudson, der Popsängerin Fergie und Sophia Loren mehr als beeindruckend geraten – zumindest auf dem Papier. Dennoch bleibt die Frage bestehen, ob all diese Zutaten auch ein homogenes Ganzes ergeben – und an wenn sich diese Mixtur eigentlich genau richtet. Und genau darin liegt der Knackpunkt. Doch zunächst zu der Geschichte, die Nine erzählt.
Rom, Mitte der 1960er Jahre: Obwohl seine letzten beiden Filme veritable Flops waren, ist Guido Contini (Daniel Day-Lewis) immer noch der umumstrittene Star des italienischen Kinos. Nun kündigt er auf einer großen Pressekonferenz seinen neuesten Geniestreich an, zu dem die Dreharbeiten in wenigen Tagen beginnen sollen. Und weil Zurückhaltung noch nie zu seinen Stärken gezählt hat, verkündet er der begierigen Journalistenmeute, dass sein Film den selbstbewussten Titel „Italia“ tragen wird. Was außer Guido niemand weiß: Das Ganze ist bislang nichts weiter als ein Hirngespinst, denn der Regisseur hat noch keine einzige Zeile zu Papier gebracht – eine fatale Mischung aus Midlife Crisis und Schreibblockade hat seine kreativen Kräfte nahezu zum Erliegen gebracht. Was man von Guidos unersättlicher Libido nicht gerade behaupten kann. Um dem barbarischen Druck der Erwartungen zu entfliehen, schwingt sich Guido in seinen himmelblauen Alfa Spider und fährt ans Meer, um dort Inspiration für den bevorstehenden Kraftakt zu tanken. Dummerweise kommt ihm sein Produzent schnell auf die Schliche. Auch seiner Frau (Marion Cotillard) bleibt der Ausflug nicht verborgen – was doppelt unangenehm ist, da Guido bereits seine Geliebte (Penélope Cruz) als Muse ans Meer hat holen lassen. Wie soll aus all dem Chaos nur je ein Film entstehen? Dann geschieht das Wunder – und das hat nur teilweise mit dem zufällig im gleichen Hotel logierenden Kardinal zu tun, der ein großer Bewunderer von Continis Filmen ist.

Wer Federico Fellinis kennt, dem dürfte hier vieles bekannt vorkommen. Selbst beim Namen der Hauptperson muss man sich kaum umstellen: Aus Guido Anselmi (in Fellinis Film dargestellt von Marcello Mastroianni) wird in Rob Marshalls Hommage an die glorreichen Zeiten des Cinéma Italiana Guido Contini. Sonst geht der Film aber eher locker mit Fellinis Werk um, vermischt Handlungselemente aus mit angeblichen Details aus Fellinis Leben, Songs und Tanzeinlagen und versucht so eher zu einer Gesamtschau jener Epoche zu kommen. Das Ergebnis dieses Potpourris kann freilich wenig überzeugen. Vielleicht liegt es ja an den rund 45 Jahren, die seit Fellinis Film über das Filmemachen ins Land gegangen sind. Marshalls Zeichnung des Charakters von Guido Contini lässt diesen in keinem Moment als sympathisch oder gar liebenswert erscheinen, er ist vielmehr genau der Typ eines selbstverliebten und egoistischen Regisseurs, wie man ihn in dieser Überzeichnung allenfalls aus Karikaturen und Schmierenkomödien kennt. Auch bei den anderen Figuren und Konstellationen bliebt Marshall auf penetrante Weise an der Hochglanzoberfläche hängen und interessiert sich allenfalls für die opulente Optik und den schnellen Effekt, niemals aber für die Glaubwürdigkeit seiner Geschichte. Am Ende passt immerhin die Botschaft des Films in die Zeit der 1960er Jahre im katholischen Italien: Der kriselnde Regisseur erlangt dank der Freuden der ehelichen Treue seine alte Schaffenskraft wieder und tobt sich von nun an nur noch im heimischen Ehebett sowie hinter der Kamera aus.

Wer das italienische Kino der 1960er Jahre liebt, dem mag dieses grelle und manchmal ziemlich banale Musical eher wie ein Grusical vorkommen, das sein Thema mit der Lieblosigkeit eines Themenpark-Designers behandelt. Der eigentlich formidable Daniel Day-Lewis gestattet sich in Nine maximal zwei Gesichtsausdrücke und beschränkt ansonsten seine Fähigkeiten darauf, zugleich möglichst verlebt und dennoch attraktiv auszuschauen. Penélope Cruz darf sich immerhin aufreizend gekleidet räkeln und ein Liedchen trällern, während Judi Dench die mütterliche Mentorin Guidos gibt, wenn der wieder einmal total verkatert und ohne Ideen bei ihr in der Garderobe auf dem Tisch liegt und sein Leid klagt, während alle anderen Darstellerinnen dank des flachen Skripts nahezu bedeutungslos werden und eine Ikone wie Sophia Loren lediglich als Guidos tote Mutter durch den Film spuken darf. Vermutlich wurde sie sowieso nur wegen der mangelnden „Italianità“ und als Quasi-Zeitzeugin in Nine untergebracht. Den wahren Geist der 1960er aber vermisst man trotzdem in jeder Szene. Die Künstlichkeit der Dekors, durch die sich der Reigen der Darsteller bewegt, wird eigentlich nur von der Leb- und Lieblosigkeit des Filmes selbst übertroffen, der einiges hätte retten können, wenn er sich wie weiland Fellini nicht so verdammt ernst genommen hätte. Ironische Brechungen sucht man hier freilich vergebens.

Selbst Kate Hudsons eigentlich lobende Hymne auf das Kino jener Zeit verharrt vollkommen in der Betrachtung der reinen Oberfläche, sie reduziert die Meisterwerke von Federico Fellini, Michelangelo Antonioni, Pietro Germi und anderen Größen des Cinéma Italiana darauf, vor allem für die Mode stilprägend gewesen zu sein und schmale Krawatten sowie das „dolce vita“ en vogue gemacht zu haben. So kann man diese Blütezeit des italienischen Films natürlich auch betrachten. Zwingend ist das aber nicht gerade.

Fans jener Filmepoche und Verehrern Fellinis dürfte diese seichte Musicalkost eher schwer im Magen liegen. Und Freunde des Musicals in Deutschland werden höchstwahrscheinlich leichtere Themen oder bekannte Standards bevorzugen, obwohl sie sich immerhin an der Opulenz der Verfilmung erfreuen können. Gut möglich, dass Nine im Mutterland des Entertainment als Kassenmagnet entpuppt. Hierzulande stehen die Chancen dafür deutlich schlechter.

Nine

Es gibt Kombinationen, auf die muss man erst einmal kommen: Aus dem Jahr 1982 stammt die Musicalvorlage zum neuen Film von Rob Marshall („Chicago“, „Die Geisha“), der eine Hommage an das italienische Kino der 1960er Jahre, an Federico Fellini vor allem aber an dessen Meisterwerk „8½“ sein will.
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